Von Sergei Sawtschuk
Der Inhalt von Wladimir Putins Waldai-Rede und die damit verbundenen Ereignisse deuten klar darauf hin, dass die Geduld und das Vertrauen des Kremls in die Diplomatie mit dem Westen, genauer, mit Europa, erschöpft sind. Am 30. September wurde das Dekret Nr. 693 des Präsidenten der Russischen Föderation auf dem offiziellen Portal für Rechtsakte veröffentlicht – und schlug in der westlichen Presse ein wie eine Splitterbombe in einen geschlossenen Raum. Die US-Nachrichtenagentur Bloomberg interpretierte den Inhalt des Dokuments als Russlands Bereitschaft, westliche Vermögenswerte, die sich in der einen oder anderen Form in Russland befinden, zügig zu beschlagnahmen.
Geschehen ist tatsächlich Folgendes:
Das Präsidialdekret öffnet ein legislatives Fenster für die beschleunigte – und das ist das Schlüsselwort – Übertragung jeglicher westlicher Vermögenswerte in föderales Eigentum zum späteren Weiterverkauf (Privatisierung) und zum Auffüllen des Staatshaushalts. Es wird betont, dass die Beschlagnahmung der Vermögenswerte nicht willkürlich, sondern ausschließlich im Rahmen der Gewährleistung der Verteidigungsfähigkeit und Sicherheit Russlands erfolgen wird. Der Wortlaut ist äußerst allgemein gehalten, was in diesem Fall jedoch positiv ist – weil Moskau damit in seiner Wahl der Anlässe nicht eingeschränkt ist: Sei es die Lieferung von Langstreckenwaffen an die Ukraine, die Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte im Ausland oder auch die Weitergabe der darauf anfallenden Zinsen.
Russlands Regierung ist für die Auswahl einer Organisation mit der entsprechenden Lizenz zur Durchführung von Vermögensbewertungen verantwortlich. Diese Organisation, die die Rolle des Gutachters übernimmt, hat wiederum lediglich zehn Tage Zeit, um ein offizielles Bewertungsgutachten für die Übertragung der beschlagnahmten Vermögenswerte zur anschließenden Versteigerung zu erstellen. Verkäufe von Eigentum im Auftrag der Russischen Föderation werden ausschließlich über die PSB-Bank abgewickelt. Darüber hinaus sieht das Dekret ein Sonderverfahren für die beschleunigte Neuregistrierung von Eigentumsrechten sowie – hier sorgfältig lesen! – ein Sonderverfahren für die Anwendung der Gesetzgebung der Russischen Föderation in Fragen der Privatisierung, der Aktivitäten ausländischer Organisationen, der Wertpapiermärkte, des Bankwesens und des Wettbewerbsschutzes vor.
In der Präambel des Dekrets heißt es, dass all diese Maßnahmen als Reaktion auf die unfreundlichen Aktionen westlicher Länder, einschließlich der Vereinigten Staaten, eingeführt werden. Und der Zeitpunkt der Einführung fällt ja schon ein wenig verdächtig mit dem EU-Gipfel in Kopenhagen zusammen. Dort diskutierten die europäischen Staats- und Regierungschefs erneut die Möglichkeit, russische Vermögenswerte, die im belgischen Finanznetzwerk Euroclear eingefroren sind, zu beschlagnahmen, um damit einen weiteren Kriegskredit an Kiew in Höhe von 140 Milliarden Dollar in den Jahren 2026–2027 zu finanzieren.
Westliche Finanzhaie ziehen um Russlands Geld schon lange ihre Kreise. Vor über einem Jahr untersuchten wir detailliert die Zusammensetzung und Struktur der russischen Vermögenswerte im Ausland – ebenso wie die Gründe, warum Brüssel zögert, sie zu beschlagnahmen.
Washington drängt die Europäische Union seit Jahren aktiv zur offenen Plünderung, doch die Europäer sind anscheinend misstrauisch und haben etwas Bammel: Offenbar ahnen sie, das dies zu Gegenmaßnahmen Moskaus führen würde – und die westlichen Vermögen in Russland werden weitaus höher bewertet als die russischen Devisenreserven im Ausland. Und so taucht die Idee, "die Russen abzuledern und das Geld der Ukraine zu übergeben", immer wieder auf der politischen Agenda des Westens auf – wird aber genauso immer wieder begraben. Emmanuel Macron war bisher der Letzte, der sich urplötzlich gegen einen solchen Diebstahl aussprach – und zu Recht darauf hinwies, dass ein solcher Präzedenzfall nicht nur Russland schaden, sondern das internationale Finanzsystem effektiv zerstören würde, da keine Garantien des Westens mehr als zuverlässig gelten würden. Dies würde zu einem unvorhersehbaren Abfluss von Kapital führen – vor allem von Kapital solcher Länder wie China, die seit langem stark in die EU investieren.
Unterdessen sucht die EU aktiv nach Schlupflöchern und hält an ihren Hoffnungen, uns auszurauben, hartnäckig fest. Beispielsweise werden die Zinsen aus eingefrorenen russischen Einlagen regelmäßig an Kiew überwiesen. Wir werden hier näher darauf eingehen, da dieses Thema regelmäßig von verschiedenen Russophoben zum Aufwiegen von Emotionen ausgenutzt wird.
Zinsen aus russischen Einlagen wurden tatsächlich wiederholt in Form eines weiteren Kredits an Kiew überwiesen. Mit anderen Worten: Brüssel nimmt fremdes (also russisches) Geld und überweist es der Ukraine in Form eines Staatskredits, wodurch die Auslandsverschuldung der Ukraine kontinuierlich steigt. Die Europäische Kommission und das ukrainische Finanzministerium gaben kürzlich bekannt, dass seit Anfang 2025 umgerechnet 25,5 Milliarden US-Dollar der oben genannten Zinsen nach Kiew überwiesen wurden. Bei der Betrachtung solcher Aussagen muss man unbedingt stets bedenken, dass sie manipulativ sein und darauf abzielen könnten, interne Spannungen in Russland zu schüren.
Der genannte Betrag ist eindeutig aus diesem Blickwinkel zu betrachten, da Brüssel im vergangenen Dezember eigenhändig eine verbindliche Anordnung für alle Euroländer erlassen hat, russische Vermögenswerte bis zum Ende des Ukraine-Konflikts einzufrieren. Darin wurde klargestellt, dass die Gesamtaktiva zu diesem Zeitpunkt auf umgerechnet 280 Milliarden US-Dollar geschätzt wurden und die jährlichen Zinsen zwischen 3 und 5 Milliarden US-Dollar lagen. Das bedeutet, dass alle über diesen Betrag hinausgehenden Kredite und Tranchen, die Selenskij für seinen fortlaufenden Mord an der Ukraine zugewiesen wurden, in Wirklichkeit Gelder aus den nationalen Haushalten der EU-Mitgliedsstaaten sind. Um zu verstehen, wie viel Geld europäische Beamte ihren Steuerzahlern aus der Tasche, ja vom Mund gezogen haben, werfen wir einen Blick auf die Erklärung von Ursula von der Leyen. Im Juni dieses Jahres berichtete sie, dass die europäischen Kredite und Anleihen seit Beginn der militärischen Sonderoperation durch Russland 150 Milliarden US-Dollar überschritten hätten.
Tun wir jedoch nicht so, als wären die Zinsen aus Russlands Vermögenswerten, die im Rahmen einer de facto Verpfändung für Kredite der EU-Staaten an Kiew gestohlen werden, eine Kleinigkeit. Über die rein emotionale Komponente hinaus belaufen sie sich ganz konkret auf über 400 Milliarden Rubel pro Jahr, die dem Haushalt Russlands zurückgeführt werden müssen.
Wladimir Putin und Russlands diplomatisches Korps appellieren unermüdlich an den Westen, die Spannungen nicht weiter zu eskalieren und den Konflikt nicht in eine noch größere und akutere Phase hineinzutreiben, in die europäische Länder dann direkt verwickelt wären. Doch die Unterzeichnung des oben genannten Dekrets könnte darauf hindeuten, dass der Kreml die Hoffnung aufgegeben hat, die Vernunft seiner Gegner zu erreichen – und dass Russland, das den Schlitten so lange und beharrlich gespannt hat, im Falle einer weiteren Eskalation der Lage sehr schnell handeln wird.
Ein wichtiger Faktor zum Verständnis der gegenläufigen Prozesse ist die Tatsache, dass Moskau noch nicht auf die Verstaatlichung des Eigentums und der Vermögenswerte internationaler Konzerne und Unternehmen zurückgegriffen hat. Bisher wurde einigen Organisationen aus unfreundlichen Ländern eine externe (staatliche) Verwaltung aufgezwungen, und der Prozess der Vorbereitung – aber eben noch nicht darüber hinaus – zum Einzug des Eigentums wurde eingeleitet. Laut Bloomberg hat der Wert der beschlagnahmten oder eingefrorenen westlichen Vermögenswerte seit 2022 umgerechnet 48 Milliarden US-Dollar oder fast vier Billionen Rubel erreicht.
Aber – und das ist der springende Punkt – der Artikel von Bloomberg erinnert uns: Im Sommer 2022, als der Hungertanz um die russischen Konten in Belgien begann, wurde eine Gegenprüfung durchgeführt. Der Wert westlicher Vermögenswerte in Form von Krediten, Bau- und Infrastrukturprojekten sowie Direktinvestitionen in Produktionsprojekte wurde auf eine Billion US-Dollar geschätzt.
Und Putins jüngstes Präsidialdekret erlaubt nun deren Beschlagnahmung und einen Besitzerwechsel im Turbomodus. Es sei denn, gewisse Leute kommen endlich zur Vernunft.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist zuerst am 5. Oktober 2025 auf "ria.ru" erschienen.
Sergei Sawtschuk ist Kolumnist bei mehreren russischen Tageszeitungen mit Energiewirtschaft als einem Schwerpunkt.
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