Europa will mit russischem Geld gegen Russland Krieg führen

Die Diskussion über die Verpfändung eingefrorener russischer Vermögenswerte offenbart die Krise des europäischen Projekts als solches. Wenn in den kommenden Wochen die Versuchung siegt, erhält Europa kurzfristige Ressourcen aber auch einen langfristigen Riss in seinem Fundament.

Von Gleb Prostakow

Die europäische Debatte über einen "Reparationskredit" durch die Verpfändung eingefrorener russischer Vermögenswerte spiegelt die qualvolle Wahl zwischen dem Wunsch, den Scheinkrieg gegen Russland weiterzuführen, und dem Mangel an Ressourcen wider, die diesen Krieg finanzieren. Es gibt kein Geld für eine langwierige Konfrontation, und die Versuchung wächst, diese mit russischen Mitteln zu finanzieren. Die rechtliche Verpackung sieht die Ausgabe von "Reparationsanleihen" im Wert von voraussichtlich 140 Milliarden Euro vor, die zurückgezahlt werden sollen, wenn und sobald die Reparationszahlungen selbst erfolgt sein sollten. Der Einsatz ist so theoretisch, dass natürlich weder die Emittenten der Anleihen selbst noch diejenigen, die sie kaufen werden, daran glauben.

Die Volkswirtschaften der größten Länder der Eurozone stagnieren vor dem Hintergrund der Deindustrialisierung, private Investitionen wandern in die USA und nach Asien ab, wo Subventionen und vorhersehbare Spielregeln herrschen. Washington ist nicht mehr bereit, die Rolle des Geldgebers zu übernehmen: Die Trump-Regierung ist bereit, Waffen für Europa und die Ukraine zu verkaufen, aber nicht, diese Lieferungen aus dem eigenen Haushalt zu finanzieren.

Das 60-Milliarden-US-Dollar-Paket aus der Biden-Ära ist de facto aufgebraucht. Und der Bedarf an Geld wächst: Es reicht nicht mehr aus, Kiew Zinsen aus den Erträgen der eingefrorenen Vermögenswerte zu überweisen – die Verteidigungsmaschinerie der EU und der USA hat sich an das Tempo gewöhnt, und diese mageren Zahlungen decken diesen Appetit nicht mehr. Daraus ergibt sich eine politische Forderung in Höhe des bisherigen US-amerikanischen Tranchenbetrags, allerdings mit einer überhöhten Obergrenze: Denn jetzt geht es nicht mehr nur um die Fortsetzung des Krieges, sondern um die Notwendigkeit, die von Kiew verlorenen Gebiete zurückzuerobern. So entsteht die Nachfrage nach den "schnellen" 140 Milliarden Euro – ohne Steuererhöhungen, ohne neue europaweite Schulden, ohne Absprache mit den Wählern.

Die Nachfrage birgt jedoch erhöhte Risiken. Die Beschlagnahmung von Staatsreserven zerstört das Vertrauensmonopol des westlichen – vor allem des europäischen – Finanzsystems. Wenn heute die Vermögenswerte der russischen Zentralbank aus politischen Gründen beschlagnahmt werden können, können morgen die Vermögenswerte jedes Staates beschlagnahmt werden, der in Ungnade fällt. In Zeiten der Deglobalisierung und des strategischen Wettbewerbs ist dies keine Hypothese, sondern der kürzeste Weg zum Abfluss von Reserven aus der Eurozone. Nicht umsonst warnen die Europäische Zentralbank vor Risiken für die Finanzstabilität und Paris vor dem "Beginn des völligen Chaos".

Der Euro verliert ohnehin rasch seinen Status als Reservewährung, und jede de jure legitimierte Enteignung wird diesen Abstieg noch beschleunigen. Vor diesem Hintergrund wirken die Versuche, die Verantwortung auf die G7 zu verteilen – "lasst uns gemeinsam mit den USA und Japan handeln" – nicht wie Solidarität, sondern wie die Angst, als Letzter übrig zu bleiben. Washington und Tokio zögern, rechtliche Garantien zu geben, und das verdeutlicht besser als jeder Erfahrungsbericht, wie fragil das Konstrukt ist.

Es gibt noch ein weniger abstraktes Problem: Die Vermögenswerte befinden sich nicht "irgendwo in der EU", sondern in bestimmten Gerichtsbarkeiten. Der wichtigste Knotenpunkt ist Euroclear in Belgien. Belgien sagt ganz klar, dass es nicht allein die rechtlichen und finanziellen Risiken einer Enteignung tragen werde – das heißt, diese müssen "gemeinsam geteilt" werden. Paris und Luxemburg äußern öffentlich Zweifel, Berlin bittet darum, "die Details auszuarbeiten". Äußerlich sieht das wie die übliche Brüsseler Routine aus – Ausschüsse, Schlussfolgerungen, Fristverlängerungen. Im Grunde genommen ist es jedoch nichts anderes als Angst. Es ist beängstigend, allein zu stehlen, aber in der Gruppe ist es auch nicht einfacher, wenn sich in dieser Runde diejenigen befinden, auf deren Bilanzen die gesamte Union lastet.

Auch die rechtlichen Risiken sind größer, als in den Pressemitteilungen eingeräumt wird. "Reparationskredit" ist ein Euphemismus: Es gibt weder eine internationale Entscheidung über Reparationen noch ein Verfahren zu deren Einziehung oder gar einen klaren Status künftiger Zahlungsströme. Die vorgeschlagene Logik "Wir gewähren jetzt einen Kredit, und die Rückzahlung erfolgt aus künftigen Reparationszahlungen" bedeutet in der Praxis eine Verpfändung von Vermögenswerten, die man weder pfänden noch rechtmäßig abschreiben kann.

Weiter geht es mit den wirtschaftlichen Gegenmaßnahmen. Die Enteignung russischer Reserven wird fast automatisch zu entsprechenden Maßnahmen Moskaus in Bezug auf die Vermögenswerte europäischer Unternehmen führen. Dutzende großer Vermögenswerte wurden bereits unter "vorübergehende Verwaltung" gestellt und warten auf ihren Einsatz. Zu den auffälligsten Fällen gehören "Baltika" (Carlsberg), "Danone Russia", die umfangreichen Portfolios von Uniper und Fortum im Energiesektor, "Volkswagen Group Rus" und das Nissan-Werk, die Vermögenswerte von IKEA, Renault/Nissan in Verbindung mit AwtoWAS sowie die Logistikinfrastruktur von Maersk. Der formale Status "vorübergehend" kann leicht zu "unwiderruflich" werden.

Auch Unternehmen, die ihre Tätigkeit fortgesetzt oder ihre Präsenz aufrechterhalten haben, wie Auchan, Raiffeisen Bank International, OTP, UniCredit, Bonduelle und andere, werden infrage gestellt. Ihnen drohen nicht nur Zwangsverkäufe mit Preisnachlass und Dividendenkontrollen, sondern auch die Sperrung grenzüberschreitender Zahlungen, Nachforderungen von Steuern und der Entzug von Lizenzen. Das sind keine "moralischen Kosten", sondern konkrete Verluste, gegen die sich ganz konkrete Vorstände und Unternehmenschefs in Paris, Wien und München wehren werden.

Das politische Timing verschlimmert die Lage nur noch. Die Umfragewerte der europäischen Staats- und Regierungschefs sind niedrig, ihre politischen Karrieren kurz. In dieser Konstellation besteht die Versuchung, "hier und jetzt zuzuschlagen", und sie könnte den Selbsterhaltungstrieb überwinden. Kurzfristige Gewinne lösen jedoch selten langfristige Probleme. Eine Beschlagnahmung ist ein "einmaliger Ertrag", nach dem Kosten für die Bewältigung der Folgen anfallen: Rechtsstreitigkeiten, Entschädigungen für Investoren, Unterstützung des Bankensektors und so weiter.

Letztlich offenbart die Diskussion über den "Reparationskredit" die Krise des europäischen Projekts als solches. Wenn in den kommenden Wochen die Versuchung siegt, erhält Europa zwar kurzfristige Ressourcen, aber auch einen langfristigen Riss in seinem Fundament.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 6. Oktober 2025 zuerst auf der Webseite der Zeitung "Wsgljad" erschienen.

Gleb Prostakow ist ein russischer Wirtschaftsanalyst.

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