Mein Migrant, dein Migrant: Die Konrad-Adenauer-Stiftung untersucht die Migrationsbevölkerung

Was wählen sie denn so, die Migranten in Deutschland? Das wollte die Konrad-Adenauer-Stiftung wissen, und noch ein paar Dinge mehr – bereits zum dritten Mal innerhalb eines Jahrzehnts. Die Befragten antworteten jedenfalls nicht so, wie man es ihnen unterstellen würde.

Von Dagmar Henn

Wenn die Konrad-Adenauer-Stiftung eine Studie "Wahlverhalten von Menschen mit Migrationshintergrund" beauftragt, dann ist das erst einmal eine Arbeit im eigenen Interesse – die Stiftung als strategisches Zentrum der CDU will natürlich wissen, ob und wie sie bei diesen Bevölkerungsgruppen punkten kann. Immerhin haben 15 Prozent der Deutschen einen Migrationshintergrund. Die rund 3.000 Personen wurden nicht befragt, um die Öffentlichkeit zu informieren, sondern um einen Einblick in die Verkäuflichkeit des Produkts CDU zu erhalten.

Die 3.000 teilten sich auf in etwa gleich starke Gruppen: Deutsche ohne Migrationshintergrund, Deutsche mit Migrationshintergrund (die wahlberechtigt sind) und Ausländer (die es nicht sind). Dann, das ist der vielleicht interessanteste Teil der Studie, werden die Deutschen mit Migrationshintergrund und die Ausländer nach ihrem Herkunftsland aufgeteilt, und die drei größten Gruppen werden genauer betrachtet: Türkisch-, Polnisch- und Russischstämmige. Zuguterletzt wird dann – wie gesagt, wir reden hier von der CDU – nach Religion aufgeteilt, in Konfessionslose, Katholiken, Protestanten, Orthodoxe und Moslems.

Was auch in der wissenschaftlichen Sprache der Studie wahrnehmbar ist, ist eine gewisse Verblüffung über die Unterschiede. Also, dass die Türkeistämmigen (worunter sowohl Deutsche türkischer Abstammung als auch Ausländer mit türkischem Pass zusammengefasst sind) eigentlich Parteipräferenzen zeigen, die man eben in der Arbeiterschaft erwartet – 35 Prozent SPD, 14 Prozent Linke und 18 Prozent BSW; das sieht auf jeden Fall etwas anders aus, als die meisten Deutschen von dieser Gruppe erwarten, obwohl sich 78 Prozent als Moslems definieren. Und das ist eine ziemlich stabile Präferenz, nur dass seit der ersten Umfrage dieser Art, die die KAS im Jahr 2015 durchführte, die SPD von 56 Prozent auf 35 gefallen ist. Zwischendrin konnte davon sogar die CDU profitieren, die im Jahr 2019 auf 31 Prozent kam. Das ist aber inzwischen vorbei; die Stimmen sind inzwischen beim BSW gelandet.

Oder dass die Polnischstämmigen mit einem Drittel AfD wählen oder wählen würden. Da hat die CDU, die 2019 noch 58 Prozent der Stimmen kassieren konnte, ordentlich eingebüßt und kann nur noch 25 Prozent erwarten. Übrigens hatten hier die Grünen ein Zwischenhoch im Jahr 2019 mit 19 Prozent; jetzt stehen sie noch bei elf.

Die Spätaussiedler, die schon von der Definition her zur Gruppe der Wahlberechtigten gehören, verhalten sich da übrigens insgesamt ähnlich; die CDU hat im Zeitverlauf viele Stimmen an die AfD abgeben müssen. 2015 lag sie noch bei 55 Prozent, davon sind noch 25 übrig, während die AfD von drei Prozent im Jahr 2015 auf 31 Prozent stieg. Hier steht das BSW übrigens bei 13.

Richtig heiter ist die Aufteilung des Wahlverhaltens nach Konfessionen. Bei den Konfessionslosen ist die Spaltung am extremsten – 25 Prozent wählen Grün oder würden Grün wählen, aber auch 18 Prozent die AfD; Katholiken und Evangelen sortieren sich brav Richtung CDU mit 41 respektive 32 Prozent, während bei den Orthodoxen die AfD mit 39 Prozent die Führung übernimmt, und zuguterletzt die Moslems ganz anders wählen, als das Klischee erwartet, nämlich zu 37 Prozent SPD, 29 CDU und elf Prozent Linke. Wer da, trotz der immer laut propagierten Toleranz und zahlreicher entsprechender Politiker, nicht wirklich Fans findet, sind die Grünen, die mit sechs Prozent mit der AfD und dem BSW gleichauf liegen … Wenn man nach diesen Maßstäben geht, sind also die deutschen Moslems, zumindest in den Teilen, die wählen oder wählen wollen würden, definitiv links vom deutschen Mainstream.

Die Russischstämmigen sind übrigens in Bezug auf die AfD ebenso gespalten wie in Bezug auf die Frage, ob "Russland alleine schuld am Krieg in der Ukraine" sei – das meinen 30 Prozent völlig, 14 zum Teil, 16 zum Teil nicht und 34 gar nicht. Was die Autoren der Studie etwas wundert, sich aber dadurch erklären dürfte, dass, weil ja auch Ausländer befragt wurden, sich in dieser Kategorie auch Ukrainer befinden. Die eben in der Gruppe der Spätaussiedler nicht mit erfasst sind, weshalb da 49 Prozent die Behauptung einer Alleinschuld Russlands ganz ablehnen und 15 Prozent eher ablehnen. Auch hier dürfte das Ergebnis bei den Türkischstämmigen überraschen: 21 Prozent glauben die Alleinschuld, zehn Prozent glauben sie ein wenig, 26 Prozent glauben sie eher nicht und 28 Prozent glauben sie gar nicht. Was bedeutet, die NATO-Positionen werden weitaus kritischer gesehen als in der deutschen Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Sogar die Polnischstämmigen sind nicht ganz so gutgläubig wie die deutsche Bevölkerung ohne Migrationshintergrund, auch wenn hier der Unterschied am geringsten ist. Vor allem in Bezug auf die geplante Wehrpflicht ist das interessant – insgesamt ist die Bevölkerung mit Migrationshintergrund da wohl noch unwilliger als die ohne.

Die wirkliche Überraschung, wenn man an die üblichen Klischees denkt, ist die Antwort auf die Frage, ob Zuzugsmöglichkeiten für Ausländer beschränkt werden sollen. Bei dieser Antwort gibt es eine Skala von eins bis zehn, wobei jeder Wert über fünf ein "Ja" bedeutet. Bei den Deutschen ohne Migrationshintergrund war das Ergebnis 6,0 – allerdings auch bei den Russischstämmigen. Bei den Spätaussiedlern liegt er bei 6,2, und bei den Polnischstämmigen sogar bei 6,6; einzig die Gruppe der Türkischstämmigen ist mit 4,9 noch minimal für weniger Einschränkungen. Ist es das, was man blind erwarten würde? Dass Migranten zum Teil sogar deutlich stärker für Zuwanderungsbeschränkungen sind als Deutsche?

In Wirklichkeit ist das gar nicht so überraschend. Weil es die Gesamtgruppe namens "Migrant" eben nicht gibt. Zwischen dem, nehmen wir mal das Klischee, verrenteten türkischen ehemaligen Stahlarbeiter und dem jugendlichen algerischen Tagedieb schafft auch die Tatsache, dass sie beide Moslems sind, wenig Gemeinsamkeit. Die Ursprungsgesellschaften können nun einmal extrem unterschiedlich sein. Insgesamt sind jedoch, wenn man mal von der sozialen Frage absieht, die meisten Migrationsgruppen vor allem dann deutlich konservativer, wenn es um so etwas wie LGBT geht, aber auch, wenn es um Rechtsbegriffe geht. Was die absurde Situation schafft, dass große Teile der vermeintlich durch eine lasche Justiz begünstigten Migrationsbevölkerung es ganz und gar nicht begrüßen, wenn beispielsweise, wie gerade erst in Wien geschehen, Gruppenvergewaltiger freigesprochen werden. Ja, man kann zumindest vermuten, dass zwar die Gruppe der Türkischstämmigen knapp für Lockerungen bei der Migration ist, aber womöglich auf eine präzisere Frage, die sich auf das Thema Asyleinwanderung beschränkt, doch eine andere Antwort gegeben hätte. Weil der eigene Familiennachzug das eine ist, der stetige Zufluss in die Sozialsysteme aber das andere.

Ja, man hätte es sich rein aus Unterhaltungsgründen doch gewünscht, wenn eine Frage nach LGBT gestellt worden wäre. Es gibt zumindest ein Indiz, wie die Reaktion aussähe – das findet sich in der Entwicklung der Zustimmung zu den Grünen, die zwar auch bei den Deutschen ohne Migrationshintergrund ihren Gipfel im Jahr 2019 hatte (29 Prozent) und seitdem um fast ein Drittel gesunken ist (20 Prozent), sich jedoch in der Gruppe der Deutschen mit Migrationshintergrund, die immerhin von den Grünen besonders hofiert wurde, glatt halbiert hat, von 23 auf zwölf Prozent. Und das, obwohl ihnen verblüffend hohe Werte bei der Problemlösungskompetenz zugeschrieben werden. Da liegt zumindest die Hypothese nahe, dass eben die ganze Betonung von LGBT in der Migrationsbevölkerung nicht wirklich gut ankommt.

Schon witzig, dass die Konrad Adenauer Stiftung nach diesem Punkt nicht gefragt hat. Andere Bereiche, die ebenfalls interessant wären, wie die Wohnungspolitik, tauchen gar nicht auf. Was kein Wunder ist, da die CDU schlicht gar keine hat. Oder etwa, was von der Aufrüstung gehalten wird, oder von der Billionenschuld. Oder davon, das Bildungssystem weit nach unten anzupassen. Gut, in diesen Bereichen kann die CDU keinen Stich machen. Da muss sie sich an die Zwischenbereiche halten, wie, dass für die Migrationsbevölkerung Wirtschaftswachstum wichtiger ist als Klimaschutz.

Erstaunlich ist, dass nur eine einzige Gruppe bei den vielfältigen Aufteilungen der Meinung ist, es gebe keine Partei, die die Interessen von Migranten vertrete – das sind die Türkischstämmigen, bei denen 43 Prozent dieser Aussage teilweise oder ganz zustimmen und nur 40 Prozent sie teilweise oder ganz ablehnen; bei den anderen Gruppen ist es nur eine deutlich kleinere Minderheit, die sich nicht vertreten fühlt. Andererseits – so oberflächlich diese Studie letztlich bleibt, eines zumindest lässt sich auch aus diesen Daten bereits erkennen: Eine Politik im Interesse der in Deutschland lebenden Migrationsbevölkerung und eine Politik der unbegrenzten Zuwanderung, das sind zwei Paar Stiefel. Was eigentlich nicht wundern müsste, denn wer weiß besser, dass Migration keine säkulare Form der Erlösung ist, als jene, die die Erfahrung bereits hinter sich haben? Aber von dieser Erkenntnis ist die deutsche Politik nach wie vor weit entfernt.

Mehr zum ThemaNeues Europa mit neuem Gesicht – kein Plan für die Lösung der Immigrationskrise