Von Dagmar Henn
Jetzt wurde es einmal erfolgreich vorexerziert, wohin "unsere Demokratie" der rumänischen Geschmacksrichtung führt, aber es steht zu fürchten, dass die vermeintlichen Demokratieschützer auch diesmal nichts verstehen. Ludwigshafen hat am Sonntag den ersten Wahlgang der Bürgermeisterwahlen absolviert, nach dem Ausschluss des AfD-Kandidaten, und das Ergebnis ist, wie zu erwarten, erschütternd.
Wobei es schon putzig ist, wie der örtlich zuständige Sender SWR sich die Geschichte zurechtschönt. Es habe "ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Kandidat Klaus Blettner (CDU/FWG) und SPD-Kandidat Jens Peter Gotter" gegeben. Bletter sei auf 41,2 Prozent der Stimmen gekommen, und Gotter auf 35,5 Prozent. Aber – nicht einmal dem SWR gelingt es, die unschöne Tatsache völlig zu verschweigen, dass diese Wahl keine war. Diese 41,2 bzw. 35,5 Prozent beruhten nämlich nur auf 29,3 Prozent der Wahlberechtigten, und 12.943 respektive 11.160 abgegebenen Stimmen, bei insgesamt 118.314 Wahlberechtigten.
Unter den insgesamt 34.631 abgegebenen Stimmen fanden sich 3.201 ungültige Stimmen, ein vergleichsweise hoher Prozentsatz (2017, bei der letzten OB-Wahl, hatte es bei einer Wahlbeteiligung von 60,2 Prozent insgesamt 1.913 ungültige Stimmen gegeben); vermutlich eine Folge eines Aufrufs der AfD, bei der Wahl durch eine ungültige Stimme zu protestieren.
Aber es gibt noch ein kleines Detail, das jedem, der mit dem Wahlverfahren und dessen Risiken vertraut ist, die Haare zu Berge stehen lässt. So berichtete der SWR:
"Bis zum Sonntagmittag hatten nach Angaben der Stadtverwaltung bereits 24.590 Wählerinnen und Wähler ihre Stimmen abgegeben. Der größte Teil davon – etwas mehr als 16.000 Stimmen – ging in den vergangenen Tagen und Wochen über die Briefwahl ein."
Das sind 46 Prozent aller abgegebenen Stimmen. 2017 lag der Anteil der Briefwahlstimmen zwar bereits relativ hoch, von 72.262 abgegebenen Stimmen gingen 22.885 per Briefwahl ein, aber mit 31,6 Prozent liegt der Anteil deutlich niedriger. Die Briefwahl, darin sind sich alle Experten einig, ist im deutschen Wahlsystem der fälschungsanfälligste Bereich. Eine Kombination einer extrem niedrigen Wahlbeteiligung mit einem hohen Anteil an Briefwahlstimmen, das erzeugt auf jeden Fall ein sehr unangenehmes Gefühl.
Und eine Halbierung der Wahlbeteiligung? Wenn man Demokratie nicht als Pfründe betrachtet, sondern als einen politischen Prozess, der es ermöglicht, den Willen der Bürger abzubilden und zu realisieren, muss das erschüttern. Die Kommunalwahlen sind schließlich die Wahlen, bei denen noch am Ehesten Veränderungen erreicht werden können, was viele kommunale Bürgerentscheide belegen. Eine Wahlbeteiligung von 29,3 Prozent wäre schon schlecht, wenn es keinen massiven politischen Konflikt gäbe, weil sie im günstigsten Falle Passivität anzeigt. Aber unter den aktuellen Umständen, nach dem massiven Eingriff des Wahlausschusses in die Kandidatenliste, ist das ein klares Zeichen der Ablehnung. Was auch immer der Bürgermeister zu regieren meint, wenn die Stichwahl vorüber ist – Ludwigshafen ist es nicht.
Wenn man davon ausgeht, dass bei der Stichwahl die Zahl der Wählenden sich ein weiteres Mal halbiert (wie das 2017 der Fall war), dann wird der vermeintliche Sieger von höchstens zehntausend Ludwigshafenern gewählt, und kann sich nur auf 8,5 Prozent der Wahlberechtigten stützen, weil der Rest ihn nicht gewählt haben wird.
Das Ergebnis zeigt, wie fahrlässig und arrogant alle gehandelt haben, die diesen Wahlausschluss inszenierten. Der Schaden ist bereits angerichtet. Ganz im Gegensatz zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts wie der davor liegenden Instanzen, die alle meinten, es genüge doch, dass der ausgeschlossene Kandidat nach der Wahl klagen könne. Es ist erstaunlich – alle Umfragen der letzten Jahre belegen, dass das Vertrauen in sämtliche Institutionen immer tiefer in den Keller rauscht, aber alle meinen sie noch, so tun zu können, als wäre da kein Problem. Im Gegenteil, die Uneinsichtigkeit ist manifest. Die scheidende Bürgermeisterin Jutta Steinruck setzte noch einmal nach und meinte, der Wahlausschuss habe doch die Regeln des Rechtsstaates eingehalten. "Es gibt inzwischen drei Gerichtsentscheidungen, die das bestätigen" (die geringe Wahlbeteiligung quittierte die Dame mit Wählerbeschimpfung: Sie müssten "ein bisschen mehr Verantwortung für die eigene Stadt, für das eigene Umfeld" übernehmen...).
Ein klarer Fall von jein. Denn inhaltlich wurde die Sache noch gar nicht behandelt; alle Entscheidungen bestätigen nur, dass kein vorläufiger Rechtsschutz im Sinne einer einstweiligen Anordnung zu gewähren sei, also die Wahl erst einmal ohne den AfD-Kandidaten Joachim Paul stattfinden dürfe. Das ist keine inhaltliche Bestätigung des Beschlusses des Wahlausschusses, der sich auf ein zusammengestöpseltes Verfassungsschutz-Dossier stützte, in dem Vorträge über das Nibelungenlied als Beleg rechtsradikaler Gesinnung angeführt wurden; eine Sichtweise, nach der Angela Merkel, die regelmäßig bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth gesichtet wurde (deren politische Geschichte weit anrüchiger ist als die des Nibelungen-Lieds), nie Kanzlerin hätte werden dürfen.
Ludwigshafen ist eine Stadt, die besonders heftig von den deutschen Krisen getroffen ist. Der Ausländeranteil beträgt 29,7 Prozent. Die Arbeitslosenquote liegt mit 9,8 Prozent über dem Durchschnitt, das verfügbare Einkommen darunter, die Quote der Bezieher von Bürgergeld beträgt 14,4 Prozent. Obwohl das Land Rheinland-Pfalz erst im vergangenen Jahr 570 Millionen Euro Altschulden der Stadt übernommen hat, werden die Schulden im laufenden Jahr bei einem Fehlbetrag von jetzt schon 148 Millionen Euro am Jahresende mit 1,4 Milliarden Euro fast wieder den Stand des Jahres 2023 erreichen. Gleichzeitig sind 454 Stellen unbesetzt, nicht nur in der Kinderbetreuung, sondern auch in der Verwaltung.
Das größte Problem der Stadt Ludwigshafen ist jedoch der Bundespolitik zu verdanken – die Stadt lebt von der chemischen Industrie, vor allem von BASF, mit 38.221 Mitarbeitern (Stand Februar 2025) mit großem Abstand der größte Arbeitgeber. BASF hat bereits an mehreren Standorten schrittweise die Produktion zurückgefahren, und schon länger die Strategie verkündet, auf die teure Energie in Deutschland (dank Russlandsanktionen) mit einer Verlagerung Richtung China zu reagieren. Das Stammwerk in Ludwigshafen soll bis Ende 2026 eine Milliarde an laufenden Kosten einsparen. Noch läuft ein Standortsicherungsvertrag, der betriebsbedingte Kündigungen ausschließt. Aber Ludwigshafen und Umgebung hängen auf Gedeih und Verderb an der BASF.
Zweitgrößte Firma ist die Medien Union GmbH, früher "Rheinpfalz"-Verlag, an einer Reihe von Tageszeitungen und Fachzeitschriften beteiligt, mit 4.700 Mitarbeitern, und auf Platz 3 findet sich schon die Stadt Ludwigshafen selbst. Das ist keine Zusammensetzung, die einen großen Aufschwung erwarten lässt, der den kommunalen Haushalt wieder sanieren oder die Armut in der Stadt senken könnte.
Ja, es erstaunt ein wenig, dass die beiden Kandidaten, zwischen denen die Stichwahl ausgetragen werden wird, bereit sind, sich auf den Job unter diesen Bedingungen einzulassen. Der Handlungsspielraum ist ohnehin begrenzt – zuletzt wurde immer mal wieder ein städtischer Haushalt von der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD), die für die Haushaltsaufsicht zuständig ist, abgelehnt. Und dass der Chef dieser ADD letztlich der Auslöser des Wahlausschlusses des Kandidaten Paul war, dürfte daran auch nichts ändern, ob der Sieger nun der von ihrem Chef Thomas Linnertz gewünschte Jens Peter Gotter ist oder sein CDU-Konkurrent Klaus Bletter.
Dieser Zustand einer weitgehend handlungsunfähigen Kommune ist selbst genug Bedrohung für die Demokratie, da er die Entscheidungsmöglichkeiten nimmt, gleich, wie Stadtrat und Bürgermeisteramt besetzt sind. Man müsste eigentlich erwarten, dass man unter diesen Bedingungen die verbliebenen demokratischen Entscheidungsmöglichkeiten hütet und nicht zusätzlich gefährdet, weil es weitaus leichter ist, Vertrauen zu verlieren als es wiederzugewinnen.
Übrigens war nach der Entscheidung des Wahlaussschusses lauthals skandalisiert worden, Bürgermeisterin Jutta Steinruck und andere Mitglieder des Wahlausschusses seien bedroht worden. Die Zeit und die Süddeutsche berichteten ausführlich darüber. Geblieben sind – nach großzügigen Anzeigen seitens der Stadtvertreter – ganze 42 Schreiben, in denen jetzt auf den Verdacht der Beleidigung geprüft wird (man weiß ja, wie empfindsam Politiker zu sein pflegen), und ganze zwei Ermittlungen, in denen es um eine Drohung gehen könnte...
Auch hier – man sollte erwarten, dass dieses Ergebnis zumindest ansatzweise Selbstkritik wegen der reißerischen Darstellung der "Hassmails" auslöst. Aber davon ist nichts zu finden. Ganz im Gegenteil. Der Leiter des SWR-Studios Ludwigshafen hält sich in seinem Kommentar ganz an die von Steinruck vorgezeichnete Linie, als hätte es nichts Ungewöhnliches gegeben:
"Nur 29,3 Prozent der Wahlberechtigten sind zur Wahl gegangen. Oder anders formuliert: 70 Prozent der möglichen Wählerinnen und Wählern ist es völlig egal, wer die Verwaltung dieser Stadt leitet, wer dem Stadtrat vorsteht und die Stadt nach außen vertritt. Das ist erschreckend."
Dabei zeigt das Wahlergebnis im Grunde das genaue Gegenteil. Denn auch die Wahlverweigerung ist nicht notwendigerweise ein unpolitischer Akt; im Gegenteil, die wenigen Studien, die es dazu gibt, deuten an, dass Desinteresse als Motiv eher selten ist. Es ist vielmehr anzunehmen, dass viele Ludwigshafener es nicht einsahen, an einer Wahl teilzunehmen, die zur Farce verkommen ist, weil ein aussichtsreicher Kandidat gestrichen wurde. Das muss nicht heißen, dass sie alle AfD gewählt hätten – es gibt auch noch Menschen, denen das Prinzip der Wahl etwas bedeutet, und die derartige Manöver nicht billigen.
Joachim Paul hat jedenfalls angekündigt, weiter gegen diese Wahl vorzugehen.
"Wir sind fest entschlossen, die Wahl anzufechten. Ob schon nach der ersten Runde oder nach der Stichwahl, müssen meine Anwälte klären."
Und wenn in diesem Verfahren das bizarre Dokument des Verfassungsschutzes als hinreichender Grund akzeptiert wird, einen möglichen Kandidaten der Stichwahl auszuschließen? Es mag ja sein, dass einige Leute in den herrschenden Parteien es geradezu begrüßen würden, ginge nur noch eine kleine Minderheit zur Wahl, die mit ihnen völlig übereinstimmt, und daher nicht die mindesten Hemmungen aufweist, durch welche Manöver auch immer sicherzustellen, dass es keine unpassenden Ergebnisse gibt.
Und dann gibt es andere, wie den bereits erwähnten Studioleiter des SWR, die durchaus wahrnehmen, welche objektiven Probleme es gibt, die die Entscheidungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene minimieren. Und dann trotzdem bereit sind, auf eine zusätzliche, politisch motivierte Einschränkung dieser Entscheidungsmöglichkeiten zu reagieren, als sei da nichts gewesen.
Der wahre Skandal dieser Wahl in Ludwigshafen ist wieder einmal, dass sie kein Skandal ist. Dass die Gleichschaltung in Parteien und Medien noch immer so sicher funktioniert, dass nicht nur der undemokratische Charakter dieser Abstimmung verleugnet wird, sondern auch die sichtbar gewordene Verärgerung der Bevölkerung darüber. Auch in Ludwigshafen war es nicht die AfD, die die Demokratie gefährdet, sondern die Mischung aus Hysterie und Prinzipienlosigkeit, mit der auf sie reagiert wird. Aber Verzeihung, ich vergaß – es handelt sich um "unsere Demokratie", da gehört das mit dazu.
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