Von Felicitas Rabe
Die Mehrheit der Ärzte scheint offenbar noch nicht verstanden zu haben, dass man zur Kriegsertüchtigung Deutschlands auf ihre Befindlichkeiten keine Rücksicht nehmen wird. Das ist angesichts einer massiven Umstellung des Gesundheitswesens doch sehr erstaunlich. Denn seit ein paar Jahren wird die Ärzteschaft in steigendem Ausmaß auf eine Kriegsertüchtigung vorbereitet – in Form von Krankenhausreformen oder medizinischen Fortbildungen.
So wird ein großer Teil des medizinischen Sektors aktuell auf die Behandlung von Kriegsversehrten umgestellt. Wie Ärzte selbst berichten, würden sie in medizinischen Zeitschriften kontinuierlich mit entsprechenden Fachpublikationen versorgt, und in Fortbildungen werde ihnen vermittelt, dass der zivile Gesundheitssektor im Falle eines Kriegs vom Militär befehligt würde.
Dazu gehört zum Beispiel auch die Anpassung der medizinischen Triage-Richtlinien. Es handelt sich um jene Entscheidungsvorgaben, nach der Mediziner in zivilen Zeiten Schwerverletzte zuerst behandelten. In Kriegszeiten kämen allerdings zuerst leichtverletzte Soldaten in die medizinische Versorgung, als nächstes behandele man die schwerverletzten Soldaten und nur bei noch vorhandenen Kapazitäten könnten auch Zivilisten behandelt werden. So weit, so schlecht.
Und dass die Ärzte das nicht mitbekommen haben sollten? Die deutschen Mediziner und ihre Fachverbände wendeten sich nämlich am Freitag in einem offenen Brief ganz empört an die Bundesgesundheitsministerin Nina Warken. Diese hatte sich in den Augen der deutschen Ärzteschaft in der vergangenen Woche bei einer Haushaltsdebatte erdreistet, Apothekern und ihren Angestellten zukünftig medizinische Diagnostik, Gesundheitsberatung und die Arzneimittelverschreibung zu übertragen, die bislang nur Ärzten vorbehalten war.
Da hatte Warken also gnädigerweise verfügt, so könnte man meinen, dass schwer kranke Zivilisten auch dann noch ihre verschreibungspflichtigen Medikamente bekommen können, wenn kein Arzt mehr für sie Zeit hat, und dann soll das auch schon wieder falsch sein? Jedenfalls schreiben die Ärzte quasi in völliger Ignoranz, für welche Aufgaben sie aktuell vorbereitet werden, am Freitag in ihrem offenen Brief an die Gesundheitsministerin:
"Mit großer Sorge blicken wir jedoch auf die Pläne aus Ihrem Hause, Apotheken künftig mit Aufgaben zu betrauen, die einer ärztlichen Qualifikation zwingend bedürfen. Die vorgesehene Möglichkeit, verschreibungspflichtige Medikamente ohne ärztliche Verordnung abgeben zu können – sei es bei Folgerezepten für chronisch erkrankte Menschen oder bei vermeintlich 'unkomplizierten Erkrankungen' –, überschreitet aus unserer Sicht eine rote Linie."
Können diese Ärzte denn nicht rechnen? Die Bundeswehr rechnet im Kriegsfall mit rund 1000 verletzten Soldaten pro Tag. Es gibt in Deutschland fünf Bundeswehrkrankenhäuser mit insgesamt 1800 Betten. Die wären doch im Nullkommanichts voll. Da es gleichzeitig beschlossene Sache ist, dass die Soldaten vorrangig vor den Zivilisten medizinisch behandelt werden, ist es doch nach Adam Riese nicht schwer zu berechnen, dass die Zivilisten dann, wenn überhaupt, von Apothekenpersonal behandelt werden müssten. So könnte die Ministerin sich das logisch überlegt haben.
Die deutsche Sektion der 'Internationalen Organisation der Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs – Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.' (IPPNW) weiß schon seit Monaten Bescheid und erklärt die verschärfte Kriegsvorbereitung im Gesundheitsbereich wie folgt:
"Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit ist am 1. Januar 2025 der 'Operationsplan Deutschland' [1] in Kraft getreten – ein tausendseitiger Strategieplan, erarbeitet seit 2023 unter der Federführung der Bundeswehr. Er legt die verpflichtenden zivilen Unterstützungsleistungen für das Militär im Fall der Landes- und Bündnisverteidigung fest. Die Details unterliegen der Geheimhaltung."
Auf jeden Fall sollen alle Bereiche der Gesellschaft auf die Bedürfnisse des Militärs und die Erfordernisse der Kriegsführung ausgerichtet werden, so die IPPNW. Der Gesundheitsbereich würde im Verteidigungs- und Bündnisfall eine Schlüsselrolle spielen und sei deshalb auch besonders von der Umstellung betroffen. Die Versorgung von Verwundeten werde zur gesamtstaatlichen Aufgabe.
Dazu müsse man noch bedenken, schreibt die IPPNW, dass Deutschland im Bündnisfall sowohl das Aufmarschgebiet für NATO-Truppen als auch die Drehscheibe für verletzte Soldat*innen und Zivilist*innen wäre. Dementsprechend rechne man mit Patientenzahlen, welche von unserem Gesundheitswesen versorgt werden müssten, die alles übersteigen würden, was wir von Katastrophen oder aus Pandemiezeiten kennen würden. Die IPPNW zitiert die Berechnungen der Bundeswehr: "Die Bundeswehr rechnet mit bis zu 1.000 verletzten NATO-Soldat*innen täglich, über Jahre hinweg."
Dagegen wirkt es doch geradezu naiv und kleinlich, wenn die Ärzte, die doch alle über die Entwicklung und ihre zukünftigen Aufgaben informiert werden, jetzt auf einmal gegen die Ausweitung der zivilen medizinischen Versorgung durch Apothekergehilfen rebellieren. Gemäß dem seit Januar geltendem Operationsplan Deutschland ist ja die medizinische Versorgung von Zivilisten von den Medizinern gar nicht zu schaffen.
In ihrem offenen Brief widerspricht die Ärzteschaft der Ministerin bezüglich ihrer angeblichen Vorstellung, damit würde man die Arztpraxen entlasten. Dieses Argument greife ins Leere, heißt es in dem Schreiben. Denn, so die Ärzte, "im Gegenteil, es entstehen Doppelstrukturen, die mehr Bürokratie als Entlastung schaffen". Chronisch kranke Menschen bräuchten kontinuierliche ärztliche Begleitung. Nur der Arzt könne die Therapie dem Krankheitsverlauf anpassen, Komplikationen erkennen und die Patientensicherheit gewährleisten. Die Ausweitung von Krankheitsdiagnostik und -behandlung auf Apotheker diene nicht dem Wohle des Patienten. Es dürften keine "Aufgaben an Apotheken ausgelagert werden, die originär ärztliche Qualifikationen erfordern".
Die Ministerin möge sich deswegen von diesen Plänen wieder distanzieren, fordert die Ärzteschaft: "Wir regen daher eindringlich an, im Rahmen der geplanten Reformen zur Stärkung der Apotheken von jeglichen Überlegungen einer Abgabe von verschreibungspflichtigen Medikamenten ohne ärztliche Verordnung sowie einer Ausweitung von Impfungen und Früherkennungsuntersuchungen in Apotheken Abstand zu nehmen."
Aber mit welchen ärztlichen Ressourcen man die erwarteten Kriegsversehrten im NATO-Drehkreuz Deutschland und gleichzeitig auch Zivilbevölkerung versorgen könnte, dazu äußert sich die deutsche Ärzteschaft interessanterweise nicht. Die großen Medizinerverbände kritisieren die Kriegsertüchtigung des Gesundheitswesens bislang nicht. Dabei wissen deren Funktionäre mit hoher Wahrscheinlichkeit Bescheid. Den Brief unterschrieben haben folgende Verbände:
Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten e.V. (BDI), Hausärztinnen- und Hausärzteverband, Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen e.V. (BVKJ), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Bundesärztekammer, Marburger Bund, Hartmannbund
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