Warum unterstützte AfD-Parteivorsitzende Weidel Russlandhasser im NRW-Wahlkampf?

Die AfD hat bei den Kommunalwahlen im bevölkerungsreichsten Bundesland Deutschlands gut abgeschnitten. Diese ist allerdings eine andere AfD als jene im Osten, denn gerade in diesem Teil des Landes toben sich veritable Russenhasser aus. Die AfD-Führungsspitze scheint das jedoch nicht zu stören.

Von Astrid Sigena und Wladislaw Sankin 

Die Verdreifachung der Stimmen für die AfD bei den Kommunalwahlen in NRW ist zweifellos ein Achtungserfolg für die bundesdeutsche Paria-Partei. Nach diesen Wahlen steht fest: Die AfD ist auch im westlichsten Bundesland Deutschlands angekommen. Doch wer sind die Leute, die der AfD dort ein Gesicht geben? Bekanntermaßen ist die AfD laut dem Gründungsvater und Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland ein "gäriger Haufen". Und gerade im Westteil der AfD toben sich auch veritable Russenhasser aus. Die AfD-Führungsspitze scheint das allerdings nicht zu stören.

Deutlich wurde das im NRW-Wahlkampf. Die Parteivorsitzende Alice Weidel tourte durch NRW und ließ sich neben dem jungen Wuppertaler Kandidaten Tim Schramm ablichten. Schramm schrieb auf X zu dem Bild: "Gestern mit @twittschler und @Alice_Weidel auf Wahlkampftour in NRW gewesen. Es gibt viel zu tun."

Zur Erinnerung: Schramm ist ein gerade mal 22-Jähriger AfDler, der nicht nur Spenden für die ukrainische Armee gesammelt und diese auch eigenhändig an die Front gebracht, sondern der auch für drei Monate aufseiten der regulären ukrainischen Truppen in der Provinz Saporoschje (Raum Guljaipolje) gekämpft hatte. Seit seiner Rückkehr aus seinem Kurzzeittrip in den Ukraine-Krieg geht Schramm auf Werbetour für die ukrainische Sache und wird in den rechtsalternativen Medien als Streiter für die Freiheit Europas herumgereicht.

Die Ukraine ist für den Ukraine-Kämpfer der "ideal-rechte Staat", von dem "wir als Rechte viel lernen könnten" (in der Diskussion mit Aron Pielka). Russland hingegen sei ein "imperialistisches Multi-Kulti-Shithole" (!), das nichts zustande bringe. Auf seinem X-Account fällt Schramm neben seinem maßlosen Russenhass auch mit Beleidigungen gegen die sogenannten "Russenstusser" und "Boomer" in der Partei und im Vorfeld auf (also Leute, die gegen einen Konflikt mit Russland sind und/oder sich sogar für Freundschaft mit Russland einsetzen) – RT DE berichtete.

Tatsächlich erreichte Schramm im Wuppertaler Stimmbezirk 51 die Mehrheit der Stimmen, dürfte also bald als Ratsherr die Geschicke der Stadt mitbestimmen. Besonders pikant: Mittlerweile läuft in NRW ein Parteiausschlussverfahren gegen Schramm, weil er Medienberichten zufolge nicht auf seine provokanten öffentlichen Äußerungen zum Ukraine-Konflikt und auf eine Kandidatur für Parteiämter verzichten wollte. Nota bene: Der Grund für das Ausschlussverfahren ist Schramms Weigerung, sich dem von ihm sogenannten "Maulkorberlass" unterzuordnen, nicht aber sein Russenhass oder die Möglichkeit, dass Schramm im Krieg seinen Hass verwirklicht und Russen getötet haben könnte (eigenen Angaben zufolge hat er als "Mörserschütze gekämpft und als Drohnenpilot Aufklärungsmittel geflogen").

Auf Rechtstwitter (also dem AfD-nahen Umfeld auf X) wunderte man sich allerdings über die dilettantische Abfassung des Antrags zum Parteiausschlussverfahren, das die freie Meinungsäußerung eines Parteimitglieds zu einem bestimmten Thema einschränken will. Die Frage stellt sich, ob dieser unterstellte Dilettantismus als Unvermögen, ein Versehen oder Absicht aufzufassen ist; Letzteres mit dem Ziel, dass das Parteiausschlussverfahren vor den Parteischiedsgerichten oder endgültig vor ordentlichen Gerichten scheitert. Mit einem PAV-Antrag hätte man dann die beleidigten "Russenstusser" in der Partei zufriedengestellt, und nach dem Scheitern des PAVs könnte man sich dann die Hände in Unschuld waschen: Wir haben ja alles versucht, aber es hat leider, leider nicht geklappt ...

Jedenfalls hält das vom AfD-Landesvorsitzenden Martin Vincentz und dem Landesvorstand in Gang gebrachte Parteiausschlussverfahren politische Größen wie Tritschler und Weidel nicht davon ab, sich mit Schramm ablichten zu lassen und sich mit ihm zu solidarisieren. Eventuell geht es dabei auch um innerparteiliche Machtkämpfe, sodass man vermuten könnte, Weidel wolle Tritschler den Rücken stärken. Vincentz werden Intrigen gegen Schramms Ex-Chef Tritschler vorgeworfen; Mitarbeiter von Vincentz sollen sogar so weit gegangen sein, Schramm finanzielle Vorteile versprochen zu haben, wenn er kompromittierendes Material gegen Tritschler liefere.

Das gemeinsame Foto mit "Schrammi" (so sein Spitzname in der rechten Szene) wiederum fiel Robert Ketelhohn auf, einem Influencer aus dem parteinahen Umfeld. Auf Facebook schrieb er: "Der Russen-töten-Safari-Tourist Schramm, gegen den ein Parteiausschlußverfahren läuft, hat sich im Wahlkampf zum Photo neben die Weidelsche geschlichen." Dabei ging Ketelhohn davon aus, dass Weidel in Unkenntnis der Person Schramms das Selfie gestattet habe, und implizierte, dass sie Opfer einer Intrige geworden sei. Die Kommentatoren unter dem FB-Post waren nicht so gnädig mit der AfD-Parteivorsitzenden und verwiesen darauf, dass Weidel der Fall Schramm aus den Medien wohlbekannt gewesen sein musste, zumal es sich offensichtlich um einen gemeinsamen Wahlkampfauftritt mit Tritschler handelte, dem früheren Chef Schramms.

Die ganze Diskussion darüber, ob Weidel wisse, mit wem sie es bei der Personalie Schramm zu tun habe, hätte sich allerdings erübrigt, wenn dem Verfasser ein weiteres, ebenso auf X gepostetes Video Schramms nicht entgangen wäre. Die nur halbminütige Aufnahme zeigt, wie Weidel bei einem gestellten Interview Tritschlers mit "Schrammi" nach dem Redebeitrag Schramms das Wort ergreift, um ihm den Rücken zu stärken. Da sagte Schramm knapp, dass sein Thema die "furchtbare Qualität" der Straßen sei. Dass der strebsame Jüngling die dröge Kommunalpolitik mit Straßen und Kitas nur als Sprungbrett für die große Parteikarriere betrachtet, dürfte schon klar sein. Ob seine Wähler wissen, was ihren Kandidaten wirklich umtreibt? Die Sequenz belegt jedenfalls eindeutig: Der junge Kommunalpolitiker mit Kampferfahrung im Ukraine-Krieg genießt die uneingeschränkte Unterstützung der Parteivorsitzenden. 

Denn Schramm ist Trischlers Mitarbeiter in seinem Kölner Büro. Trischler wiederum genießt offenbar das vollste Vertrauen Weidels. Seine gemeinsamen Wahlkampfauftritte mit der AfD-Chefin werden mit einem Logo geschmückt, das Weidel und Trischler in einem Cabrio sitzend zeigt. Da herrscht familiäre Harmonie, vermittelt das Bild. Für Schramm setzte sich der Landesvize Trischler im Zuge des PAV auch energisch ein. Während er es nicht für nötig hielt, seinen Kampfeinsatz gegen Russland als unvereinbar mit Parteipositionen zu kritisieren, nannte er Schramms Hass-Attacken gegen Russland "Ansichten" und verglich sie mit den Höflichkeitsbesuchen der AfD-Abgeordneten in der russischen Botschaft am 8. Mai (was falsch ist – die russische Botschaft lädt zur Siegesfeier am 9. Mai ein). Wie könnten es nicht dulden, "dass hochrangige Funktionäre am 8. Mai in der russischen Botschaft die vermeintlichen Befreier bejubeln oder mit der Russlandfahne durch Berlin turnen", sagte Trischler in einem Interview.

Sonst ist Tritschler eher unauffällig und keiner Sympathie für das Selenskij-Regime verdächtig; seine Unterstützung für Schramm ist allerdings durchaus irritierend. Man könnte von einer gefährlichen Indifferenz gegenüber Schramms Treiben sprechen, mit der Tritschler seiner Partei einen Bärendienst erweist.

Ketelhohns Vorwürfe gingen aber noch weiter. Er erkannte in Schramms Medienpräsenz "eine strategisch geplante Kampagne mit Schramm als Schlüsselfigur – im Sinne einer Marionette, deren Fäden andere ziehen". Und: Man suche "Gelegenheiten, die Canaille innerhalb der AfD-Szene (samt Umfeld) immer wieder werbewirksam zu placieren". Wer seiner Ansicht nach die Fäden hinter dieser medialen Kampagne zieht, verriet Ketelhohn nicht, sodass man hier nur mutmaßen kann, dass es Kreise sein müssen, die die AfD auf NATO-Kurs bringen und damit zu einem annehmbaren Koalitionspartner für die Union machen wollen. Ketelhohn ist sich jedoch sicher, dass es sich um eine Geheimdienstoperation handele, unter Mitarbeit von "IMs" und "Einflussagenten" in Partei und Vorfeld. Zuletzt wurde ein nahezu flehender Appell laut: "Tino Chrupalla ist DRINGEND gefragt."

Ob man wirklich so weit wie Ketelhohn gehen sollte und Schramms unerklärliche Popularität auf "IMs" zurückführen sollte? Einleuchtender ist als Erklärung der in der Partei und im rechten Vorfeld grassierende Männlichkeits- und Kriegerkult, der jeden Mann, der gedient hat (besonders mit Fronterfahrung), als "echten Kerl" einstuft, egal, für welche Sache er gekämpft hat.

Ketelhohn erwähnt auch mehrere Interviews mit "Schrammi", wobei er besonders auf Martin Müller-Mertens vom (angeblich prorussischen) Sender AUF1 losgeht, den er "armselig" nennt und der offensichtlich Geld benötige. Tatsächlich hinterfragt Müller-Mertens (im Gegensatz zu Aron Pielka in der Honigwabe) Schramms Ausführungen (Russlands militärische Sonderoperation sei "ein Völkermord wie er im Buche steht") kaum und macht eine schwache Figur. Schramm dagegen, dem Müller-Mertens die erwünschten Antworten ("internationale Solidarität") teils in den Mund legt, kann sich als jugendlicher Held mit Hang zum soldatischen Leben präsentieren. Schramms Fake News, etwa zur ukrainischen Zwangsrekrutierung oder Zuständen in Russland, darf er bei Müller-Mertens unwidersprochen verbreiten. Zwischendurch dann die Werbung für die AUF1-Friedensmedaille: "Ich habe Nein zum Krieg gesagt."

Mittlerweile hat Schramm auf Ketelhohns Vorwürfe auf X reagiert: Ketelhohn sei ein "Schizo-Boomer" und geisteskrank …

Auch der russische Fernsehkanal Rossija 1 machte am Sonntag den Wahlkampf im NRW zum Thema und suchte den Gelsenkirchener AfD-Kandidaten Norbert Emmerich für ein Straßeninterview aus. Die Partei bekomme in der Stadt kein Büro angemietet und werde regelmäßig angegriffen, berichtet der Kandidat. Das Kamerateam wird Zeuge, wie der 72-Jährige von einer jungen Aktivistin als "Nazi" beschimpft wird. Am Montag schaffte es Emmerich auf Titelbilder vieler Leitmedien, weil er bei der OB-Wahl fast 30 Prozent der Stimmen bekam und es damit in die Stichwahl gegen einen SPD-Kandidaten schafft. Würde Schramm dem russischen Fernsehteam auch ein Interview geben?

Die Frage ist natürlich rhetorisch gemeint. Dafür kommt im Beitrag kein Geringerer als Markus Frohnmaier vor, der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion. Aus der Sequenz wissen wir, dass er nach einer Washington-Reise auch für Gespräche nach Moskau und Peking kommt – er will nämlich freundliche Äquidistanz zu allen Großmächten wahren. Aber weiß der Diplomat, dass sein erfolgreicher NRW-Parteifreund und Protegé der Parteivorsitzenden für westliche Truppen in der Ukraine, den Taurus-Einsatz und die Vernichtung russischer Panzerwerke wirbt? Russland müsse finanziell trocken gelegt werden, fordert der Vertreter einer Partei, die die antirussischen Sanktionen in ihrem Programm ablehnt. Wird auch dafür diese Person von der Parteivorsitzenden mit einem gemeinsamen Auftritt geadelt?

Manche im Bundestag mögen in der Tat angesichts des schieren Wachstums der Partei den Überblick verloren haben, welcher Kommunalpolitiker was sagt. Auch müssen sie nicht unbedingt wissen, was in der X-Blase gepostet wird. Aber in Russland werden die außenpolitischen Diskussionen in den bundesdeutschen Parteien genau verfolgt. Und vielen Deutschland-Kennern ist der massive Pro-NATO-und Pro-Ukraine-Schwenk in der AfD nicht entgangen. Etwa dem Schriftsteller und Journalisten Witali Wolkow, der der Meinung ist, dass Deutschland unaufhaltsam auf einen Krieg mit Russland zurast. Nur ein Wunder könne Deutschland davor noch bewahren, so systematisch bereiteten sich die Bundesregierung, die deutsche Gesellschaft und die Medien darauf vor. Dass man den Aufstieg der AfD zu diesem möglichen Wunder nicht mehr zählen kann, dürfte inzwischen auch den künftigen Gesprächspartnern Frohnmaiers in Moskau klar geworden sein.

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