Von Alexej Danckwardt
Deutschlands Botschaft in Moskau hat ihr Gebäude erneuert und nutzt die wenige von außen sichtbare Fläche nun für Agitation und Propaganda. Sonst ist die BRD-Botschaft nämlich ein abwehrender, nicht einsehbarer und düsterer Bunkerbau aus dem Kalten Krieg.
Derzeit hängt zur Mosfilmowskaja-Straße hin ein Banner mit dem Konterfei der deutschstämmigen US-Politikwissenschaftlerin Hannah Arendt aus ‒ und ihrem ins Russische übersetzten Spruch "Der Sinn von Politik ist Freiheit". Der Satz ist sprachlich ungenau übersetzt, aber dazu kommen wir noch.
In ihren sozialen Netzwerken, die sich in russischer Sprache an Russen richten (6.000 Abonnenten auf Telegram), wirbt die Botschaft für das Banner:
"Dieser Aufruf könnte derzeit kaum aktueller sein. Er macht uns schmerzlich bewusst, wie sehr die Freiheit in unserer Zeit eingeschränkt ist."
Und ruft auf, Unfälle zu bauen:
"Wenn Sie vorbeifahren, sollten Sie unbedingt Ihren Blick darauf verharren lassen!"
Der Post (85 zustimmende Likes) erschien am Donnerstag und fiel wie zum Hohn zeitlich mit der Nachricht zusammen, dass die Botschaft die in den letzten Jahren restriktive und gemessen an der Größe des russischen Volkes mickrige Visavergabe noch weiter reduzieren und noch restriktiver handhaben will.
Offenbar schließen die deutschen Diplomaten vom oberflächlichen Intellekt derjenigen, die noch zu Botschaftsempfängen geladen werden und erscheinen, auf alle Moskauer. Wie sonst kommt man darauf, die Russen wüssten nicht, wer es ist, der aktuell ihre Freiheit eingeschränkt hat und mit Füßen tritt?
Die Reisefreiheit durch besagte restriktive Visavergabe und seit Jahren auf Initiative der EU verbotene Direktflüge und gestrichene Zugverbindungen, durch künstlich organisierte Torturen an den Grenzübergängen.
Die Meinungsfreiheit durch Strafverfahren für prorussische Äußerungen, die nicht nur mich aus Deutschland herausekelten, durch Sanktionen, durch Hassstiftung aller Art gegen Andersdenkende.
Die Informationsfreiheit, indem YouTube, Facebook und Co. seit 2014 systematisch die Accounts erst aller ukrainischen Politiker und Journalisten des Antimaidan-Spektrums, dann aller Reporter im Donbass und schließlich auch offizieller russischer und oppositioneller ukrainischer Medien sowie russischer Top-Blogger gesperrt und gelöscht haben. Anatoli Scharij, Tatjana Montjan, Nikolai Asarow, Dmitri Putschkow (alias Goblin...) sind da nur die exponiertesten Beispiele. Auch meine Twitter- und Facebook-Accounts sind weiterhin gesperrt, diejenigen von RT DE sowieso.
Wirtschaftliche Freiheiten durch Sanktionen, die dem Prinzip von Kollektivstrafe und Sippenhaft folgen und längst jedes Augenmaß und jede Verhältnismäßigkeit verloren haben. Durch komplett unmöglich gemachte Banküberweisungen, durch den Diebstahl russischen Vermögens in der EU.
Und selbst das Recht auf Leben, zunächst "nur" der Menschen im Donbass, seit drei Jahren aller Russen: Durch Lieferung deutscher Waffen mit Namen aus der Raubtierwelt, von Drohnen und Taurus-Marschflugkörpern an die faschistische Bestie, die sich 2014 mit westlicher, auch deutscher, Hilfe in Kiew eingenistet hat. Durch das Wegsehen und Schweigen bei Terroranschlägen, die diese Bestie in Russland regelmäßig verübt und zu denen sie sich offen bekennt. Durch dreiste Versuche, das Bestialische wegzulügen.
Das ist die "Freiheit", die der "Sinn" deutscher und europäischer Ostpolitik ist. Und anders als der im EU-Parlament patentierte Russen- und Russlandhasser im Botschaftergewand meint, wissen Russen, ja inzwischen sogar die vor kurzem noch in den Westen blind verliebten Moskauer, bestens, wer ihnen ihre ganz konkreten Freiheiten genommen hat. Es ist jedenfalls nicht der russische Staat, der keine oder nur wenige Visa vergibt, Verkehrsverbindungen gestrichen, Banküberweisungen verboten und Accounts von Journalisten und ukrainischen Oppositionellen gelöscht hat.
Ungewollt hat derjenige, der Arendts (ohnehin wenig wahren, fragen Sie am besten die Sklaven im antiken Athen) Satz ins Russische übertrug, den Hohn des Ganzen auf der Nuancenebene sichtbar gemacht.
Wie man ihn korrekt ins Russische übersetzt, hat einst die Landeshauptstadt Stuttgart vorgemacht: "Смысл политики – в свободе" ("Smysl politiki – w swobode"). Die Linguistikexperten in der Redaktion meinten, auch die Übersetzung der Botschaft ("Смысл политики – свобода") sei nicht falsch, und sie verstünden nicht, was ich für ein Problem hätte. Doch das Weglassen der kleinen Präposition "w" macht aus Arendts Gedanken, die Bürgerschaft könne sich durch politische Selbstermächtigung befreien, etwas ganz anderes: Die Politik (im Sinne von "die Herrschenden") ist es, die die Freiheit hat. Die Freiheit nämlich, mit der Bürgerschaft nach Belieben zu verfahren, was die gewählten Monarchen in Brüssel und Berlin aktuell ja auch in vollen Zügen ausleben. Aus "Selbst werdet ihr euch befreien" wurde "Politik macht frei".
Die Kommentare auf dem Telegram-Kanal der deutschen Botschaft sind übrigens ausgeschaltet. Sonst könnten sich die Athener Sklaven Russen ja noch zur freien Rede erdreisten ...
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