Postdemokratie: Frankreich sucht weiter passende Regierung zum Spardiktat

In Frankreich ist die Regierung erneut gestürzt. Es war die dritte in weniger als einem Jahr. Die Instabilität ist Ausdruck einer größeren Krise der westlichen Demokratien. Der Souverän ist entmachtet, der eingeschlagene Weg führt zwangsläufig in den Totalitarismus.

Von Gert Ewen Ungar

Als der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch vor 20 Jahren sein Buch "Postdemokratie" veröffentlichte, bestimmte es unmittelbar die Diskussion über den Zustand der Demokratien in der westlichen Hemisphäre. Die Leser fanden den Grund für ihre Politikmüdigkeit plötzlich ausformuliert.

Die zentrale These des Buchs ist schnell umrissen. In den entwickelten Demokratien sind zwar die demokratischen Institutionen noch intakt. Es gibt Parteien, es werden weiterhin Wahlen durchgeführt und es finden politische Debatten statt. Allerdings ist das System in einer Weise ausgehöhlt, dass sich ein einmal eingeschlagener politischer Kurs durch demokratische Partizipation nicht mehr ändern lässt. Das demokratische System existiert noch in einer Art Perversion seiner selbst, der Souverän ist entmachtet, der Debattenraum verengt, das zentrale politische Argument ist TINA, "there is no alternative". Damit erodiert der Glaube an das demokratische Versprechen. 

Bedenkliche Entwicklungen in vielen westlichen Demokratien

Inzwischen lassen sich ganze Bücherschränke mit Analysen und Untersuchungen über die simulative Demokratie in Westeuropa füllen, an der bedenklichen Entwicklung geändert hat sich dadurch nichts. Sie ist im Gegenteil weiter fortgeschritten. Die Demokratiemüdigkeit wandelte sich in ein Gefühl der Verzweiflung an der Demokratie. 

Inzwischen lässt sich zudem deutlich erkennen, dass die demokratischen Institutionen durch die Sinnentleerung instabil werden. Das jüngste Beispiel dafür ist Frankreich. Am Montag scheiterte die Regierung von Premierminister Bayrou. Sie war lediglich neun Monate im Amt. Die Vorgängerregierung von Michel Barnier brachte es sogar nur auf 90 Tage. In Deutschland und Großbritannien scheint das System zwar noch etwas stabiler, aber es ist im Grundsatz nicht anders. 

Nachdem im letzten Jahr die Ampel zerbrach, wurstelt sich nun eine schwarz-rote Koalition so über die Tage. Sie als groß zu bezeichnen, verbietet sich angesichts des massiven Stimmenverlustes bei den letzten Bundestagswahlen, den die beiden ehemaligen Volksparteien CDU und SPD hinnehmen mussten. 

Großbritanniens Premierminister Keir Starmer hält sich knapp über Wasser, mehr aber auch nicht. Auch dort hangelt man sich von Krise zu Krise und Skandal zu Skandal. Rückhalt bei den Wählern genießen weder Frankreichs Präsident Macron noch Bundeskanzler Merz oder Premierminister Starmer. Sie führen Regierungen ohne Volk, deren einziger Zweck es ist, Politik auf dem eingeschlagenen Kurs zu halten – komme was da wolle. Militarisierung, Aufrüstung, Konfrontation mit Russland, Finanzierung der Ukraine, alles zulasten der Bürger und durch Absenkung des Wohlstandsniveaus. Dass es den westeuropäischen Regierungen an Rückhalt fehlt, ist daher kein Wunder.

Der Souverän in Westeuropa ist entmachtet. Der Zusammenbruch von Frankreichs Regierung passt wie ein Stein in ein Mosaik, das ein größeres Bild vom Fall Europas in den Totalitarismus zeigt. In Frankreich wird nun weiter für ein vorgegebenes Sparprogramm eine Regierung gesucht, der es gelingt, dieses Programm gegen den Willen der Bürger umzusetzen. Die Verhältnisse sind auf den Kopf gestellt. 

In Rumänien wurden die Präsidentschaftswahlen annulliert, weil der Wahlsieger Calin Georgescu unter anderem für seine NATO-kritische Haltung gewählt wurde. Ohne massive politische Einflussnahme von außen ist dieser Vorgang undenkbar. Der Verdacht fällt auf Brüssel. Auch in Frankreich wurde der wichtigsten Konkurrentin Macrons, Marine Le Pen, die Teilnahme an den Präsidentschaftswahlen per Gerichtsbeschluss untersagt. 

In Deutschland nur scheinbar stabile Verhältnisse

In Deutschland sind die Verhältnisse nicht annähernd so stabil, wie sie scheinen, und das liegt nicht nur an den internen Streitereien der Koalitionäre. Dem BSW fehlten nur rund 9.000 Stimmen, um in Fraktionsstärke in den Bundestag einziehen zu können. Der Wahlprüfungsausschuss bleibt dennoch untätig. Über sechs Monate nach der Bundestagswahl liegt von ihm immer noch keine Entscheidung vor. Eine Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht wegen Untätigkeit des Wahlprüfungsausschusses wurde Ende August abgeschmettert. 

Sollte das BSW in den Bundestag einziehen, wäre dies das Ende der schwarz-roten Koalition. Dass hier auf Zeit gespielt wird, beschädigt das Vertrauen in die demokratischen Institutionen und stützt die These von der Entrechtung des Souveräns. 

In einer funktionierenden Demokratie wäre in einem Fall, in dem berechtigte Zweifel an den ermittelten Mehrheitsverhältnissen bestehen, die Überprüfung des Ergebnisses die drängendste Aufgabe. In Deutschland lässt man sich Zeit. Ein den Skandal thematisierendes Medienecho bleibt weitgehend aus. Wahlergebnisse muss man jetzt auch nicht überbewerten, ist die Message, die sich ergibt. Dass in Deutschland zudem inzwischen ebenso regelmäßig wie rechtlich völlig fragwürdig Kandidaten der AfD von Wahlen ausgeschlossen werden, ist das i-Tüpfelchen.

An den Rändern der EU zeigt sich der Sturz in den postdemokratischen Totalitarismus jedoch besonders deutlich. In Moldawien sind in diesem Monat Parlamentswahlen. Die Oppositionsführerin sitzt im Gefängnis, führende Politiker aus der EU bis hin zu Staatschefs mischen sich aktiv in den Wahlkampf ein, und laut Gerüchten laufen die Vorbereitungen für eine Annullierung der Wahl für den Fall, dass sie nicht das gewünschte Ergebnis bringt – die Zustimmung zur Fortsetzung des EU-Kurses. 

Hier zeigt sich in aller Deutlichkeit auf welchem Weg die westeuropäischen Postdemokratien sind. Der aufgeführte demokratische Zirkus dient nur noch dazu, einen eingeschlagenen politischen Kurs zu legitimieren, auch wenn der sich gegen die Interessen der Bürger richtet. Ist auf diesem Weg auch mit viel Trickserei die "demokratische Legitimation" nicht zu erhalten, wird Demokratie mit juristischen Mitteln vermeintlich legal ausgehebelt.

Im Ergebnis richtet sich die vor allem aus Brüssel gesteuerte Politik immer klarer gegen die Interessen der Bürger. Um den eingeschlagenen Kurs dennoch durchzuhalten, muss zwangsläufig die Repression zunehmen. Dass in der EU immer stärker zensiert und die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird, muss Lesern von RT nicht extra bewiesen werden. Sie nehmen Mühen auf sich, um die Einschränkungen zu umgehen. Der von Westeuropa eingeschlagene Kurs führt in einen repressiven Totalitarismus, der dann allerdings "Demokratie" genannt werden wird. Das Orwell′sche Neusprech erklingt schon jetzt in nahezu jedem Statement von der Leyens klar und deutlich. 

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