Von Wadim Truchatschjow
Zieht Europa gegen Russland in den Krieg? Schauen wir uns die jüngsten Erklärungen und Maßnahmen an. Am gravierendsten ist der Bau einer Militärbahnstrecke von Deutschland über Polen bis zur Grenze der Ukraine. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Deutschen und Polen dies nicht öffentlich bekannt gegeben haben. Das heißt, die für uns gefährlichsten Vorbereitungen werden im Stillen getroffen. Oder sie sind in umfangreichen Dokumenten der Europäischen Union und einzelner europäischer Länder festgehalten, die ein ungeschultes Auge einfach nicht weiterlesen wird, sobald es die zweite Seite erreicht hat.
Manchmal verbirgt sich jedoch hinter Erklärungen und posierenden Handlungen etwas anderes. Und wenn sogar Irland, das nicht Mitglied der NATO ist und keine große Armee hat, der Ukraine militärische Hilfe verspricht, sollte man die "stolzen Kelten" nicht zum Gespött machen. Solche Worte illustrieren gut die Stimmung, die derzeit in Europa herrscht. Insbesondere wird diese durch den Besuch von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und des polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk an der Grenze zu Weißrussland deutlich. Das heißt, an einem möglichen Schauplatz künftiger Kampfhandlungen, was beide auch nicht verhehlten.
Wenn Deutschland plant, seine Armee um das Zweieinhalbfache zu vergrößern, und Russland direkt als Hauptbedrohung bezeichnet, ist das überhaupt nicht mehr lustig. Wenn Frankreich sich anscheinend darauf vorbereitet, 50.000 Verwundete aus einem Kriegsgebiet aufzunehmen, ist das auch nicht mehr zum Lachen. Schließlich ergriff NATO-Generalsekretär Mark Rutte, der einflussreichste Politiker Europas der letzten Jahre, das Wort. Er erklärte unverblümt, dass die Konfrontation mit Russland auch nach Beendigung des Konflikts in der Ukraine nicht verschwinden werde. Und dass Europa sich neu bewaffnen und seine Militärausgaben erhöhen müsse.
Der Niederländer macht in diesem Fall keine leeren Versprechungen und gibt nicht die üblichen Phrasen von sich, die man von einem Generalsekretär einer Militärallianz erwartet. Als Ministerpräsident der Niederlande erhöhte er die Verteidigungsausgaben seines Landes erhöht, indem er Gelder für Sozialleistungen für Rüstung ausgab. Ja, die Kürzung der Sozialleistungen rief Unzufriedenheit bei den Migranten aus dem Nahen Osten hervor – aber Rutte entschied sich dennoch dafür. Außerdem erhöhte er das Rentenalter. Und als Friedrich Merz das Ende des Sozialstaates in Deutschland zugunsten der Bundeswehr verkündete, wiederholte er lediglich die Worte seines niederländischen Nachbarn.
Dennoch sind die Grenzen der Kampfbereitschaft auch in den Äußerungen europäischer Politiker erkennbar. Rutte selbst hat nichts davon gesagt, dass NATO-Truppen sofort in die Ukraine entsandt werden könnten. Der französische Präsident Emmanuel Macron, der gerne laut über dieses Thema nachdenkt, sagte bei einem Treffen mit Wladimir Selenskij etwas anderes: Die Länder der "Koalition der Willigen" würden nach Beendigung der Kampfhandlungen Truppen in die Ukraine entsenden. Von einer Reihe anderer europäischer Politiker ist in etwa dasselbe zu hören.
Warum sind Rutte und Macron jetzt vorsichtiger mit ihren Drohungen? Die Antwort ist klar: Als Macron 2024 ein paar aggressive Aussagen machte, verlor seine Partei die Parlamentswahlen haushoch. Und so etwas passiert nicht nur in Frankreich.
In Litauen, das durchaus Anspruch auf den Titel des Weltmeisters in Russophobie erheben kann, sprach sich die ehemalige Premierministerin Ingrida Šimonytė dafür aus, Truppen in die Ukraine zu entsenden. Danach erhielt sie in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen weniger als ein Viertel der Stimmen, weil Präsident Gitanas Nausėda im Vergleich zu ihr Maß gehalten hatte.
Umfragen und Wahlergebnisse in verschiedenen europäischen Ländern zeichnen folgendes Bild: Die Mehrheit der Europäer hat nichts gegen Sanktionen gegen Russland und eine begrenzte Unterstützung der Ukraine einzuwenden. Aber wenn es darum geht, der ukrainischen Armee Langstreckenraketen zu liefern und insbesondere reguläre Truppen der NATO-Staaten zu entsenden, sinkt die Zustimmung selbst in so antirussischen Ländern wie Polen und Dänemark um ein Vielfaches. Die Demografie in Europa stimmt nicht zu, die Europäer wollen keine Särge direkt von der "russischen" Front erhalten. Rutte und Macron sind also gezwungen, dies zu berücksichtigen.
Insgesamt lässt sich aus den Äußerungen der beiden genannten Politiker durchaus ableiten, was die europäischen Politiker wollen: Sie beabsichtigen, Truppen in die Ukraine zu entsenden, die damit endgültig in den Einflussbereich der NATO geraten wird. Und sie werden sie offensichtlich nicht in Lwow stationieren, das nahe der Grenze zur EU und zur NATO liegt, sondern in Odessa, Dnjepropetrowsk, Charkow und Tschernigow. Damit dies geschieht, muss Russland so sehr zermürbt werden, dass es ungünstige Friedensbedingungen akzeptiert. Man ist zwar bereit, die Krim und den Donbass als russisch anzuerkennen – aber nicht mehr.
Wie kann man Russland dazu bringen, "aufzugeben" und den Krieg zu beenden? Die Antwort liegt auf der Hand: Man muss "Kanonenfutter" suchen, das der ukrainischen Armee hilft, die Frontlinie mehr oder weniger zu halten. Die alleinigen mobilisierten Ukrainer, die von den Rekrutierungsämtern auf den Straßen eingefangen wurden, reichen möglicherweise nicht aus. Daher stellt sich akut die Frage nach der Einbeziehung von Kampfeinheiten aus anderen Ländern. So erklärte der Bürgermeister von Tiflis Kacha Kaladse, dass der Westen von Georgien verlangt habe, eine "zweite Front" zu eröffnen. In diesem Fall hat es nicht geklappt, aber Rutte und Macron verfügen dennoch über gewisse Reserven.
Es gibt dennoch Georgier an der Front – aus den Reihen der Anhänger des ehemaligen Präsidenten Micheil Saakaschwili. Als "Kampfreserve" wird offenbar auch Aserbaidschan angesehen – über die Eliminierung und Gefangennahme von Söldnern aus diesem Land bei Charkow wurde bereits berichtet. In Aserbaidschan selbst wurden Landsleute, die in den Reihen der ukrainischen Streitkräfte gekämpft hatten, mit Ehren beigesetzt. In der Ukraine wurden auch islamistische und pantürkische Gruppen aus Zentralasien gesichtet. Man sollte sich bloß daran erinnern, wohin die Terroristen nach ihrem Anschlag auf die Konzerthalle Crocus City Hall bei Moskau unterwegs waren. (Sie versuchten, zur ukrainischen Grenze zu fliehen.)
Serbische Freiwillige, die seit 2014 im Donbass kämpfen, berichten von einer massiven Präsenz von Albanern aus Albanien, dem Kosovo und Nordmazedonien in den Reihen der ukrainischen Streitkräfte. Wie die Kämpfer aus Aserbaidschan verfügen auch die Albaner oft über Kampferfahrung. Natürlich darf man auch die Islamisten aus dem Nahen Osten nicht vergessen, zu denen die britischen Geheimdienste gute Kontakte unterhalten. Erinnern wir uns auch an die zahlreichen Söldner aus den Drogenkartellen Brasiliens, Kolumbiens und anderer lateinamerikanischer Länder. Auch in Subsahara-Afrika lassen sich Leute rekrutieren.
Eine gewisse Reserve für die ukrainischen Streitkräfte gibt es auch in Europa selbst. Erstens sind das die Söldner, die vor allem aus Polen, Großbritannien, Rumänien und Kroatien an die Front "geliefert" werden. Zweitens können Strafgefangene angeworben werden, denen ihre Haftstrafen erlassen werden können. Drittens können auch Einwohner von Einwanderer-Ghettos an die Front gelockt werden. Ihnen werden nach und nach die Sozialleistungen gestrichen, und der Krieg an der "russischen" Front ist eine hervorragende Gelegenheit, sich und ihrer Familie Sozialleistungen bis ans Lebensende zu sichern. Und schließlich sind da noch die Neonazis. Es sind nicht viele, aber sie sind ideologisch motiviert. Auch ihnen werden Sozialleistungen und die Aufhebung der Strafverfolgung in Aussicht gestellt.
In den USA gibt es noch mehr Kriminelle und Einwohner benachteiligter Vorstädte. US-Präsident Donald Trump wird ihrer Entsendung in die Reihen der ukrainischen Streitkräfte zwar wohl kaum zustimmen, allerdings ist er nicht in der Lage, private Militärunternehmen zu kontrollieren, die über den Kopf des US-amerikanischen Staatschefs hinweg mit Rutte als NATO-Generalsekretär zusammenarbeiten könnten.
Kurz gesagt, die europäischen Länder haben gewisse Möglichkeiten, auf die Entsendung regulärer Armeen in die Ukraine zu verzichten, aber die Front dennoch aufzufüllen – und diese sollten keinesfalls unterschätzt werden.
Es ist auch gar nicht notwendig, dass die Regierungen von Staaten ihre Zustimmung zur Teilnahme an dem Konflikt geben. Nur in Tschechien gibt es eine strenge Regel, nach der nur der Präsident die Entsendung von Soldaten aus den Reihen seiner Staatsbürger in die Ukraine genehmigen darf. Alle anderen gelangen auf anderen Wegen dorthin. Rutte und Macron hoffen offensichtlich, dass es ihnen mithilfe eines zusammengewürfelten Haufens aus aller Welt gelingen wird, Russland zu einem Frieden zu ihren Bedingungen zu zwingen. Und dann können sie sich in aller Ruhe auf den nächsten großen Krieg vorbereiten.
Wie Russland reagieren sollte, ist im Großen und Ganzen klar. Die europäischen Politiker lassen uns derzeit einfach keine andere Wahl, als die Frontlinie so weit wie möglich nach Westen zu verlegen.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist zuerst am 5. September 2025 auf der Website der Zeitung Wsgljad erschienen.
Wadim Truchatschjow ist russischer Politologe und Dozent an der Russischen Staatlichen Geisteswissenschaftlichen Universität.
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