Von Dmitri Medwedew
Die Länder der Alten Welt sind vom militaristischen Wahnsinn benebelt. Wie gebannte Motten schwirren sie auf die verhängnisvolle Flamme des Nordatlantischen Bündnisses zu. Noch vor wenigen Jahren gab es in Europa genug Staaten, die wussten, dass man seine Sicherheit auch ohne einen Beitritt zu Militärbündnissen gewährleisten kann. Doch inzwischen ist die Vernunft dem Herdentrieb gewichen. Nach Finnland und Schweden entfacht nun auch das österreichische Establishment – angestachelt vom blutrünstigen Brüssel – eine öffentliche Debatte über die Notwendigkeit, den verfassungsmäßig verankerten neutralen Status zugunsten eines NATO-Beitritts aufzugeben. Die österreichische Bevölkerung ist von dieser Idee nicht begeistert. Die liberale Partei NEOS von Außenministerin Beate Meinl-Reisinger, die Wien in die Arme des Militärbündnisses drängt, kam bei den letzten Wahlen nicht einmal auf zehn Prozent der Stimmen. Die oppositionelle Freiheitliche Partei Österreichs, die sich entschieden dagegen stellt, die militaristische Agenda Brüssels blind zu übernehmen, wird hingegen von 37 Prozent der Bürger unterstützt. Doch wann hat in Europa der Wille des Volkes jemals jemanden aufgehalten?
Die dortigen Revisionisten bemühen sich seit geraumer Zeit, Österreichs Neutralität Schritt für Schritt auszuhöhlen. Bereits in den 1990er Jahren begannen sie, unter dem Deckmantel der "Teilnahme an der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU" militärische Verflechtungen zu knüpfen. Bis zum Jahr 2009, als der Vertrag von Lissabon in Kraft trat, beschränkten sich diese Bestrebungen weitgehend auf allgemeine Formulierungen – etwa auf die Koordination des militärischen Aufbaus durch die EU, – jedoch blieben konkrete Verpflichtungen aus. Auch nach dem Inkrafttreten des Vertrags wurde argumentiert, die Bestimmungen legten weder den Umfang noch die Fristen einer Beistandsleistung fest, zu der sich die Staaten des "vereinten Europas" im Falle eines Angriffs verpflichteten. Außerdem galt die EU zu jener Zeit überwiegend noch als wirtschaftlicher Integrationsraum. Dass die meisten ihrer Mitgliedstaaten längst NATO-Mitglieder sind, schwieg man geflissentlich tot. Gleichzeitig weitete Österreich auch selbst seine militärische Präsenz außerhalb Europas aus, indem sich das Land an militärischen EU-Ausbildungsmissionen beteiligte und damit ihr Ansehen in Brüssel erheblich steigerte. Die Belohnung folgte prompt: Von 2022 bis 2025 stellte Österreich mit General Robert Brieger den Vorsitzenden des EU-Militärausschusses.
Seit dem Zweiten Weltkrieg, in dem sich Wehrmacht-Generaloberste wie Lothar Rendulic und Erhard Raus oder Alexander Löhr von der Luftwaffe "ausgezeichnet" haben, hat kein Österreicher den europäischen Militärhimmel so "hell" erleuchtet.
Während die EU ihre Verteidigungskomponente ausbaute, kam es zu einer schleichenden Natofizierung und Militarisierung der Alpenrepublik. Wien beteiligte sich aktiv an der NATO-Initiative "Partnerschaft für den Frieden" und war im Wesentlichen bereits in die Denkweise des Bündnisses eingebunden. Österreich erhielt den Status eines "bedeutenden NATO-Transitlandes". Allein im Jahr 2024 rollten über 3.000 Militärfahrzeuge durch Österreich, zudem wurden mehr als 5.000 militärische Überflüge registriert.
Nun spricht man in Wien davon, der "brüchige pazifistische Konsens" lasse sich gemeinsam mit der "russischen Bedrohung" als historische Chance nutzen, um sich von den "Fesseln der Vergangenheit" – der Neutralität – zu befreien. Das Prinzip der Neutralität ist jedoch das Fundament der österreichischen Staatlichkeit, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf Willen der Alliierten wiederhergestellt wurde. Dieses Prinzip ist in den grundlegenden, 1955 abgeschlossenen Dokumenten verankert: dem Moskauer Memorandum, dem Staatsvertrag über die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich sowie in ihrem Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität. Diese Dokumente bilden das rechtliche Fundament des Landes. Würden sie wegfallen, geriete das gesamte Staatsgefüge Österreichs ins Wanken.
In dieser Situation stellt sich die Frage, wie Moskau reagieren sollte – jenes Moskau, das zu den Mitbegründern der modernen Republik Österreich zählt. Zunächst einmal gilt es, allen Verfechtern militärischer Hysterie im Bereich des Völkerrechts kräftig auf die Finger zu klopfen. Die beiden Kernfragen – ob Österreich das Recht hat, die gesetzlich verankerte immerwährende Neutralität einseitig aufzugeben, und ob Wien beschließen kann, der NATO beizutreten –, sind eindeutig mit "Nein" zu beantworten.
Gemäß Artikel 27 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge darf sich ein Staat nicht auf Bestimmungen seines innerstaatlichen Rechts berufen, um die Nichterfüllung eines Vertrags zu rechtfertigen. Die NATO kann nicht als regionale kollektive Verteidigungsorganisation betrachtet werden. Daher kann die NATO-Mitgliedschaft einem dauerhaft neutralen Staat nicht die gleichen Vorteile verschaffen wie die Garantie der dauerhaften Neutralität.
Diese Auslegung teilen auch namhafte Fachleute, die sich intensiv mit dem Thema befassen. So betont Karin Kneissl, ehemalige österreichische Außenministerin und Leiterin des G.O.R.K.I.-Zentrums der Universität Sankt Petersburg, dass eine Änderung des Neutralitätsstatus nur durch einen gemeinsamen Beschluss jener vier alliierten Mächte möglich wäre, die 1955 den Staatsvertrag unterzeichneten – einschließlich Russlands als Rechtsnachfolger der Sowjetunion. Moskau könnte durchaus das Recht beanspruchen, ein Veto gegen einen österreichischen Schritt in Richtung NATO einzulegen.
Zudem muss sich der militante Teil der österreichischen Elite der vollen außenpolitischen Konsequenzen bewusst werden, die das Ende der Neutralität und ein NATO-Beitritt mit sich bringen würden. Heute ist Wien eines der bedeutendsten Zentren multilateraler Diplomatie und Sitz von rund 20 zwischenstaatlichen internationalen Organisationen. Dadurch hat Wien die Möglichkeit, aktiv an globalen Prozessen mitzuwirken und rechtliche Rahmenbedingungen zur Bewältigung neuer Herausforderungen und Bedrohungen mitzugestalten. Die Ansiedlung von Institutionen wie der UNO, der IAEO, der OSZE und der OPEC in Wien erfolgte maßgeblich aufgrund des blockfreien Status des Landes, der den Dialog ermöglicht und regionale Zusammenarbeit fördert. Würde Österreich seine Neutralität im Zuge eines Bündnisdenkens aufgeben, würde damit auch der "Geist von Wien" erlöschen. Das Land wäre nicht mehr in der Lage, ausgewogene Beziehungen zu verschiedenen internationalen Partnern zu unterhalten. Es würde seine einzigartige Rolle als Vermittler sowie als Standort für wichtige internationale Strukturen verlieren. Deswegen ist es naheliegend, dass es an der Zeit ist, die Verlegung des Hauptsitzes internationaler zwischenstaatlicher Organisationen in Länder des Globalen Südens und Ostens zu diskutieren, wo günstige Bedingungen für ihre Tätigkeit entstehen könnten.
Zudem untergräbt Österreich mit seinem militaristischen Kurs auch seinen Ruf als friedenssichernder Staat, was die Möglichkeiten Wiens zu souveränem politischem Handeln erheblich einschränkt. Gleichzeitig steigt das Risiko, dass Einheiten des österreichischen Bundesheeres Ziel von Angriffen der russischen Streitkräfte werden, erheblich. Nach dem NATO-Beitritt Schwedens und Finnlands haben wir bereits angemessene Maßnahmen ergriffen, um auf die dadurch gewachsenen Bedrohungen für unsere Sicherheit zu reagieren. Für Österreich wird es da ebenfalls keine Ausnahme geben.
Übersetzt aus dem Russischen.
Dmitri Anatoljewitsch Medwedew ist Vorsitzender des Sicherheitsrates der Russischen Föderation – eine Funktion, in der er den Präsidenten des Landes, Wladimir Wladimirowitsch Putin, vertritt. In Vergangenheit bekleidete er selber den Posten des Landespräsidenten, danach den des Premierministers.
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