Friedrich Merz - ein wirtschaftspolitischer Geisterfahrer

Auf dem Landesparteitag der CDU hat der Kanzler erneut verdeutlicht, dass er keine funktionierenden Rezepte hat, um Deutschland auf Wachstumskurs zu führen. Friedrich Merz will einfach ein bisschen weiterwursteln, solange es eben geht. Die deutsche Gesellschaft wird das weiter spalten.

Von Gert Ewen Ungar

In einem lesenswerten Interview mit der Berliner Zeitung stellt der britische Konfliktforscher David Betz fest, dass in Europa fast alle Voraussetzungen für die Entstehung von Bürgerkriegen erfüllt seien. 

Am Wochenende machte Bundeskanzler Friedrich Merz auf dem CDU-Landesparteitag deutlich, dass sich unter seiner Kanzlerschaft an der brisanten gesellschaftlichen Gemengelage nichts ändern wird. Im Gegenteil werden unter seiner Kanzlerschaft die gesellschaftlichen Spannungen zunehmen und die Mittelschicht weiter erodieren. Es geht so weiter, wie es die letzten Dekaden eben lief. 

Merz greift zu einer Rhetorik, die abgelutschter nicht sein könnte. Merz will den Sozialstaat und die Rente "reformieren", sprich zurückbauen. Er fordert von den Deutschen mehr Leistungsbereitschaft und größere Flexibilität. Diese Platte hat seit Langem einen Sprung.

Dass sie sich und ihren Lebensstil ändern müssen und ihr Anspruchsdenken gegenüber dem Staat zurückfahren sollen, hören die Deutschen seit über zwei Dekaden. Man kann es auch anders sagen: Seit über zwei Dekaden geht es mit Deutschland bergab. In den vergangenen beiden Jahren hat sich der wirtschaftliche Niedergang aufgrund der Russlandsanktionen noch einmal beschleunigt. 

Merz hat kein gesellschaftlich verträgliches Rezept, das eine Kehrtwende zu dauerhaftem Wachstum einleiten könnte. Es interessiert ihn auch gar nicht. Merz ist ein Blender, der sich an die Macht gemauschelt hat, um genau eins nicht zu tun: dem Wohl der Deutschen zu dienen. Merz will im Interesse von BlackRock und Co. einfach ein bisschen weiterwursteln – so lange, wie es eben geht.

Merz hat in Niedersachsen in einem höchst widersprüchlichen Redebeitrag deutlich gemacht, dass er darauf vertraut, mit bloßer Rhetorik und schönen Worten über den Niedergang des Wirtschaftsstandorts Deutschland noch einmal eine gewisse Zeit hinwegtäuschen zu können. An der Umverteilungsmaschine, die zum Nachteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von unten nach oben verteilt, wird Merz nichts ändern. Ganz im Gegenteil.  

Unter Beibehaltung der Russlandsanktionen und angesichts von Zöllen in Höhe von 15 Prozent auf Einfuhren aus der EU in die USA setzt Merz wirtschaftspolitisch weiterhin auf den Export. Das ist schon etwas mehr als bloß naiv. Das ist eine offene Kampfansage an die deutsche Mittelschicht sowie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Am Exportmodell festzuhalten bedeutet konkret, die durch die hohen Energiepreise und die US-Zölle verursachten Preissteigerungen deutscher Erzeugnisse müssen ausgeglichen werden, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Bürokratieabbau und verbesserte Abschreibungen allein werden es nicht schaffen. Da bleibt dann nur noch eins und dieses eine spricht Merz natürlich nicht aus: Lohnsenkungen. Merz glaubt, mit breitem Verzicht ließe sich Deutschlands Wirtschaft wieder aufrichten. 

Für die Inlandsnachfrage will er nichts tun. Er will im Gegenteil die Bundesbürger zum Sparen erziehen. Mit der Frühstart-Rente sollen die Deutschen schon von Kindesbeinen an von der Tugend des Konsumverzichts überzeugt werden. Das mag auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen, ist aber unter einem volkswirtschaftlichen Blickwinkel kontraproduktiv. Wer spart, entzieht dem Gesamtsystem Nachfrage. Sparen alle, führt das zum Niedergang der Wirtschaft.

Das ist im Kern das deutsche Problem seit der Erfindung der Metapher von der schwäbischen Hausfrau als Vorbild für gesamtwirtschaftliches Wirtschaften. In Deutschland spart der Staat, es sparen die Unternehmen und es sparen die privaten Haushalte. Daran will Merz auch nichts ändern. Das Einzige, was die deutsche Wirtschaft noch ein bisschen über Wasser gehalten hat, war der Export. Aber dieses Modell bricht gerade krachend zusammen. Wenn Merz an diesem Modell festhält, hat das für die deutsche Gesellschaft weitreichende negative Konsequenzen. Der weitere Abstieg ist vorprogrammiert.  

Merz behauptet, mit der Ernennung einer Wirtschaftslobbyistin zur Wirtschaftsministerin sei volkswirtschaftliche Kompetenz ins Wirtschaftsministerium eingezogen. Das ist zu bezweifeln. Zwar hat Katharina Reiche sicherlich mehr Einblick in Zusammenhänge der Unternehmensführung als ihr Vorgänger Robert Habeck. Das allerdings ist keine Kunst. Dass sie sich von grünen Traumtänzereien verabschiedet hat, ist positiv anzumerken. Zu einer Volkswirtin macht sie das aber nicht.  

Fakt ist: Mit seinem Festhalten am Exportmodell reitet Merz ein bereits totes Pferd noch weiter zu Tode. Die Deutschen sollten sich auf weitere Jahre der Rezession und des wirtschaftlichen Niedergangs einstellen. Eine andere Perspektive eröffnete die Rede von Merz vor den CDU-Delegierten in Niedersachsen nicht. 

Dabei werden die Auswirkungen auf die deutsche Gesellschaft durch diese wirtschaftspolitische Geisterfahrt von Merz weitreichend sein. Es ist kaum anders vorstellbar, als dass unter Merz sich die Spaltung der deutschen Gesellschaft weiter vertiefen und das Vertrauen in die politischen Institutionen weiter erodieren wird.

Die unangemessenen Rezepte von Merz liefern nicht nur keine Lösung, sondern tragen zur wachsenden Ungleichheit maßgeblich bei. Merz macht sich dabei noch nicht einmal die Mühe, eine neue rhetorische Verpackung für seine alten Rezepte zu bemühen. Mit Merz als Kanzler bewegt sich alles weiter in eine bedenkliche Richtung hin auf einen Kipppunkt. 

David Betz hält die Wahrscheinlichkeit der Entstehung eines Bürgerkriegs in Westeuropa für hoch. Nach den Gründen gefragt, antwortet er:

"Weil in Westeuropa heute fast alle strukturellen Voraussetzungen für einen Bürgerkrieg erfüllt sind – und zwar in einer Form, wie man sie in der Fachliteratur als geradezu 'idealtypisch' bezeichnen würde. Wir sprechen von Faktoren, die seit Jahrzehnten erforscht sind: tiefe gesellschaftliche Spaltung, ein beschleunigter Statusverlust der einst dominanten Mehrheitsbevölkerung und ein dramatischer Zusammenbruch des Vertrauens in die Institutionen."

Merz hat auf dem CDU-Parteitag in Niedersachsen deutlich gemacht, dass er als Kanzler seinen Anteil dafür leisten wird, dass sich diese idealtypischen strukturellen Voraussetzungen weiter stabilisieren werden. Der deutschen Gesellschaft stehen turbulente Zeiten ins Haus. Ach übrigens: Putin kann nichts dafür.

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