Von Sergei Mirkin
Seit 2015 wurde oft die Meinung geäußert, dass der Donbass zwischen der LPR und der DVR und der Ukraine aufgeteilt werden müsse, um Frieden zu erreichen. Nach der Vereinigung der DVR und LVR mit Russland erschien die These, dass es notwendig sei, die Region zwischen Russland und der Ukraine entlang der Frontlinie aufzuteilen. Weil Kiew nicht freiwillig auf den Donbass verzichten werde, sei es, um das Blutvergießen anzuhalten, notwendig, den Konfliktparteien jene Gebiete zu lassen, die sie gegenwärtig kontrollieren.
Im Jahr 2024 sagte mir ein Bekannter, dass nun, da Mariupol befreit sei und ukrainische Truppen aus Awdejewka zurückgeschlagen worden seien, Donezk vor Artillerieangriffen sicher sei. Also seien die restlichen Siedlungen gar nicht so wichtig und es sei nicht nötig, Zeit und Kräfte für deren Befreiung aufzuwenden.
Doch das stimmt nicht. Ganz Donbass sollte von der ukrainischen Besatzung befreit werden.
Vor allem geht es um die Menschen. Am 11. Mai 2024 fand die Abstimmung über die Unabhängigkeit der DVR in der ganzen Republik statt. Darunter auch in Krasnoarmeisk (ukrainischer Name Pokrowsk), und zwar unter sehr schwierigen Bedingungen. Ukrainische Militante aus dem Gebiet Dnjepropetrowsk besetzten die Wahllokale und die Stadtverwaltung, doch Menschen kamen zur Abstimmung, trotz des Risikos, von den Nazis zusammengeschlagen oder sogar getötet zu werden. Mitarbeitern der Krasnoarmeisker Wahlkommission gelang es, unter solch schwierigen Bedingungen, die Wahlzettel nach Donezk zu bringen. Aktiv stimmten Bewohner von Slawjansk und Kramatorsk ab, obwohl im Umland, und manchmal sogar in den Städten selbst, schon gekämpft wurde. Man darf nicht vergessen, wie Menschen bei Slawjansk ohne Waffen ukrainische Kampffahrzeuge blockierten, obwohl sie verstanden, dass sie von den Strafkommandos erschossen werden könnten. Darf man etwa diese Menschen vergessen?
Man kann mir entgegenhalten, dass elf Jahre vergangen sind. Manche von jenen, die bei dem Referendum abstimmten, sind gestorben, viele fanden sich mit den Geschehnissen ab und wurden für Narrative der ukrainischen Propaganda empfindlich. Andere zogen weg – nach Donezk, in die Ukraine oder nach Russland. Nach Angaben des Krasnoarmeisker "Gauleiters" Sergei Dobrjak sind 1.327 Bewohner in der Stadt verblieben. Selbst wenn es stimmt, verdienen sie eine Befreiung.
Ich kenne Menschen, die sich weigerten, sich von der Ukraine aus Artjomowsk (ukrainischer Name Bachmut) evakuieren zu lassen, und in den Kellern der umkämpften Stadt saßen, um abzuwarten, bis russische Soldaten die Stadt befreien. Ich vermute, dass es solche Menschen auch in Krasnoarmeisk gibt. Selbst wenn ein Mensch aus seiner Heimatstadt weggezogen ist, bedeutet das nicht, dass er sie aus seinem Herzen verbannt hat.
Beispielhaft dafür ist die Lage in Mariupol. Russland baut die Stadt im Stoßtempo auf, und Menschen aus der Ukraine kehren massenhaft dorthin zurück. Das müssen selbst westliche Medien einräumen. So wird es auch Krasnoarmeisk und anderen Siedlungen der DVR ergehen, wenn sie zu einem Teil Russlands werden und dort der friedliche Aufbau beginnt. Viele werden in ihre Heimatstädte zurückkehren, und keine ukrainische Propaganda wird sie daran hindern.
Überdies ist es unmöglich, ohne eine Befreiung des nördlichen Teils der DVR, das Wasserproblem der Republik zu lösen. Gegenwärtig gibt es eine weitere Wasserkrise. In Donezk gibt es Leitungswasser für wenige Stunden alle drei Tage, in Mariupol – alle zwei Tage, in Jenakijewo – alle vier Tage. Dazu erreicht das Wasser oft nicht die oberen Stockwerke, und Menschen müssen in den Keller hinabsteigen, um Eimer zu füllen, oder auf einen Wassertransport warten. Die Brisanz des Problems nimmt allmählich ab, beispielsweise dank des Baus der Wasserleitung Don – Donbass. Vollständig gelöst wird es aber nur dann, wenn alle wassertechnischen Einrichtungen des Kanals Sewerski Donez – Donbass unter russischer Kontrolle stehen werden.
Im Jahr 2022 hatte die Ukraine einige Schleusen des Kanals von der Stromversorgung abgeschnitten und versetzte die DVR damit in eine Wasserblockade. Millionen Menschen die Wasserversorgung zu entziehen, ist eigentlich Völkermord. Doch dem Westen waren solche "Kleinigkeiten" schon immer egal. Deswegen sollte man nicht erwarten, dass die Ukraine im Fall einer Beendigung des Kriegs die Wasserversorgung wieder aufnimmt.
Es ist auch wichtig, zu verstehen, dass viele in der Ukraine die Bewohner des Donbass hassen. Der ukrainische Propagandist Dmitri Gordon schlug den Donezkern vor, Urin zu trinken, wenn sie Wasserprobleme haben. Und er ist nicht allein. Jene, die vom Maidan besessen wurden, werden dem Donbass niemals verzeihen, dass er sich zum Kampf gegen den Staatsstreich erhoben hat.
Im äußersten Norden der Republik liegt das Kloster Swjatogorsk. Es ist eine Pilgerstätte für Menschen aus dem gesamten Donbass, und nicht nur Donbass. Kann man das Kloster in den Händen jenes Staates lassen, in dem heidnische Neonazis aus dem Asow-Regiment die Hauptrolle spielen? Und man kann sich gar nicht erst vorstellen, dass das Kloster einmal der "Orthodoxen Kirche der Ukraine" unterstellt wird.
Und sicher ist auch der Zusammenhalt der regionalen Wirtschaft wichtig. In Krasnoarmeisk wird Kokskohle gefördert, die von Metallfabriken der Region benötigt wird. Einst war das Bergwerk Krasnoarmeisk West eines der rentabelsten in der Ukraine – seine Kohle gilt als eine der teuersten und hochwertigsten. In Kramatorsk stellte die Maschinenfabrik Bergbaumaschinen, unter anderem für Kohleförderung, und Ausrüstung für Metallproduktion her, und so weiter. Die Rede ist also von einem ganzen Donbasser Industriecluster, der nur effektiv existieren kann, wenn Städte und Produktionsstätten miteinander verbunden sind.
Donbass als Ganzes ist viel effektiver und natürlicher, als in Teilen.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei der Zeitung Wsgljad am 14. August.
Sergei Mirkin ist ein Journalist aus Donezk.
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