Von Dagmar Henn
Jetzt wird also so getan, als hätte selbst die Bundesregierung genug von der Reinszenierung des Warschauer Ghettos durch die Regierung Netanjahu. Der Eindruck wird zumindest durch Schlagzeilen wie "Deutschland stoppt Waffenlieferungen an Israel: Zeichen gegen Netanjahu" geweckt.
Das erste, was an den Aussagen von Bundeskanzler Friedrich Merz auffällt, mit denen er einen Stopp von Rüstungsexporten nach Israel erklärt, ist die Formulierung: "Unter diesen Umständen genehmigt die Bundesregierung bis auf Weiteres keine Ausfuhren von Rüstungsgütern, die im Gazastreifen zum Einsatz kommen."
Jeder, der schon einmal mit Juristen zu tun hatte, erkennt die Einschränkung, denn es werden schließlich nur Exporte jener Güter gestoppt, die "im Gazastreifen zum Einsatz kommen". Das größte deutsche Rüstungsgeschäft mit Israel, das derzeit läuft, ist jedoch der Bau von U-Booten, die bekanntlich unter Wasser eingesetzt werden, und daher nicht im Gazastreifen …
Allerdings – da gibt es eine Antwort der Bundesregierung, genauer genommen des Staatssekretärs Dr. Thomas Steffen aus dem Bundesministerium für Wirtschaft, auf eine Frage des Linken-Abgeordneten Jörg Cezanne vom 04.07.2025 auf die Frage nach Ausfuhrgenehmigungen nach Israel für Kriegswaffen, die lautet:
"Im fragegegenständlichen Zeitraum (15. Dezember 2024 bis zum 26. Juni 2025) wurden keine Genehmigungen für Kriegswaffen im Sinne der Fragestellung erteilt."
Das ist natürlich noch keine Antwort auf all das, was unter "sonstige Rüstungsgüter" fällt, von denen Deutschland auch einige nach Israel verkauft, beispielsweise Panzergetriebe. Aber zumindest bezogen auf Munition und Geschosse aller denkbaren Art wird in dieser Antwort zumindest behauptet, da wäre ohnehin nichts gewesen. Auf der Webseite des Wirtschaftsministeriums findet sich dann jedoch als Angabe zu Einzelgenehmigungen für die endgültige Ausfuhr von Rüstungsgütern nach Israel ein Wert von 27.973.483 Euro. Da wären sie dann also, die Panzermotoren …
In einer anderen Antwort auf eine Anfrage teilte die Bundesregierung mit, wie sich die Zahlenverhältnisse im Jahr 2024 bis zum 23. Mai darstellten. Da wurden Ausfuhren in Höhe von 10.094.503 Euro für sonstige Rüstungsgüter, aber ganze 32.449 Euro für Kriegswaffen genehmigt.
Übrigens gab es im Juni vergangenen Jahres ein Verfahren in Berlin, bei dem mehrere palästinensische Organisationen geklagt hatten, um weitere Rüstungsexportgenehmigungen zu verhindern. Eine Klage, die das Berliner Gericht mit der Begründung zurückwies, die Kläger hätten nicht belegen können, dass derartige Exportgenehmigungen anstünden.
Nun, wer damit vertraut ist, wie sich die Rüstungslieferungen in die Ukraine gestaltet haben, insbesondere das Drama rund um die Artilleriemunition, den wundert es nicht sonderlich, dass Kriegswaffen vom Dezember 2024 bis zum Juni 2025 womöglich gar nicht geflossen sind – da war einfach nichts mehr zu holen. Und es gibt immerhin noch diesen anderen Schauplatz, der versorgt werden will.
Was natürlich nichts daran ändert, dass ganz zu Beginn des Gazakriegs "Rüstungsgüter im Wert von 485 Millionen Euro" aus Deutschland nach Israel geliefert worden waren und Deutschland damit in der langfristigen Betrachtung etwa ein Drittel der Waffen nach Israel geliefert hat. Damit hat es nach den Vereinigten Staaten Rang zwei unter den Waffenlieferanten eingenommen.
Nach Angaben des Stockholmer Friedensinstituts SIPRI gingen übrigens in den Jahren 2019 bis 2023 deutsche Rüstungslieferungen nach Israel vor allem an die Marine: 81 Prozent waren Fregatten, 10 Prozent Torpedos. Die verbliebenen 8,5 Prozent waren Motoren für Panzerfahrzeuge, die allerdings als Teil der Fahrzeuge dann sehr wohl in Gaza eingesetzt wurden.
Neben den deutschen Rüstungsexporten, wie den bereits erwähnten U-Booten, die bei ThyssenKrupp in Kiel gebaut werden, gibt es auch Rüstungsexporte in die Gegenrichtung, wie ein Geschäft für 239 Millionen Euro mit dem israelischen Rüstungsunternehmen Elbit. Allerdings ist beides eben durch die Formulierung "im Gazastreifen zum Einsatz kommen" von vornherein dem Blick entzogen.
Übrigens genauso wie die Waffenlieferungen der Vereinigten Staaten nach Israel, die auf zwei Wegen erfolgen: entweder per Schiff (mit dem kleinen Risiko, dass am einen oder anderen Ort dann die Hafenarbeiter Schwierigkeiten machen) oder per Flugzeug. Bei letzterem gibt es auf dem Weg von den Vereinigten Staaten bis Israel eine Zwischenlandung. Diese findet meistens in Deutschland statt und Überflug und Landung müssen genehmigt werden. Die deutsche Regierung befände sich in der privilegierten Position, durch eine Verweigerung dieser beiden Dinge unmittelbar Einfluss auf die US-Waffenlieferungen zu nehmen, also beispielsweise auf die Lieferung der Fliegerbomben, mit denen im Gazastreifen Flüchtlingszelte bombardiert werden …
Wobei das natürlich noch lange nicht das Ende vom Lied ist. Tatsächlich hat mittlerweile Adis Ahmetovic, der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, angedeutet, man könne ja das EU-Assoziierungsabkommen mit Israel teilweise oder vollständig aussetzen. Aber das ist natürlich erst einmal nur ein Gedankenspiel. Und ja, es ist vor allem Deutschland, das eine veränderte Haltung der EU unmöglich macht.
Das absolute Minimum, um mit der Ankündigung einer Einschränkung von Rüstungsexporten so etwas wie Glaubwürdigkeit zu erlangen, wäre eine Auflistung, welche Güter davon tatsächlich betroffen wären und ob es überhaupt bereits erteilte Genehmigungen gibt, die durch diesen Beschluss aufgehoben werden. So, wie diese Ankündigung erfolgt ist, wirkt sie sehr wie eine Luftnummer, bei der man nicht einmal sicher sein kann, dass zumindest die Lieferung der Motoren von MTU eingestellt wird. Allerdings: Zum Stil der derzeitigen Regierung würde das bestens passen.
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