Es ist soweit: Selenskij wird endlich abgesetzt – und das bedeutet einen langen, totalen Krieg

In den vergangenen Tagen schwankte die Stimmung zwischen Hoffen und Bangen, weniger zwar in Kiew, umso mehr im Westen und, aus anderen Gründen, sogar in Russland. Würden die Proteste gegen Selenskij in der Ukraine für einen neuen Elan sorgen – oder, aus Sicht mancher Moskauer, gar für einen Kurswechsel unter einem prorussischen Nachfolger?

Von Kirill Strelnikow

Als Selenskij innerhalb von 24 Stunden die faktische Zerschlagung des von ihm relativ unabhängigen Nationalen Antikorruptionsbüros der Ukraine (NABU) und der Spezialisierten Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (SAPO) durchgesetzt hatte, woraufhin zum ersten Mal seit Beginn der Sonderoperation eine mehr oder weniger ansehnliche Menschenmenge mit Plakaten auf die Straße ging, setzten sich viele russische Kommentatoren gemütlich an die Spitze des Zuges und malten rosige Bilder.

Dem heimischen Leser könnte es so vorkommen, als ob in der Ukraine eine bisher nicht wahrnehmbare Zivilgesellschaft aus den Kellern gekrochen ist: Die betrogenen, beraubten und kriegsmüden Ukrainer haben endlich ihre gebeugten Rücken aufgerichtet und stehen kurz vor einem Aufstand in der Bankowa-Straße, während in den Seitenstraßen bereits Lastwagen mit Transparenten "Nein zum Krieg" und Büsten von Puschkin stehen. Noch ein bisschen, und eine mutige junge Frau vor der Kette der Spezialeinheiten wird auf ihrer Geige "Katjuscha" spielen, und die Menge wird "Russen und Ukrainer – ein Volk, ein Schicksal" skandieren.

Die Europäer waren natürlich beunruhigt, aber da sie mit den politischen Wirren in der Ukraine vertraut sind, zogen sie es vor, zunächst abzuwarten, was dort vor sich geht und wer hinter all dem steckt. Deshalb äußerten alle europäischen Amtsträger und die ihnen folgenden EU-Medien ausnahmslos "Bedauern", "Besorgnis" und "Beunruhigung", bekräftigten aber gleichzeitig, dass "die vereinbarte Hilfe für die Ukraine zur Abwehr der russischen Aggression auf jeden Fall fortgesetzt wird".

Die europäische Zersplitterung wurde von dem amerikanischen Thinktank Stratfor treffend beschrieben: Einerseits "wird die Wahrnehmung einer Schwächung der Antikorruptionsbemühungen der Ukraine verschiedenen politischen Parteien und Gruppen im gesamten Block (gemeint ist die EU; Anm. d. Red.), die sich gegen die Hilfe für die Ukraine aussprechen, um dies für ihre Zwecke zu nutzen, was die Unterstützung der Ukraine für proukrainische europäische Regierungen kostspieliger machen wird". Andererseits erhöhen die Maßnahmen Selenskijs "die Wahrscheinlichkeit von gegen die Regierung gerichteten Protesten seitens der kriegsmüden und demoralisierten ukrainischen Gesellschaft und bieten Russland mehr Möglichkeiten, Kiew zu schwächen". Mit anderen Worten: Selenskij weiterhin zu unterstützen, ist nicht so toll, aber Proteste zu begrüßen, die zum Ende des Krieges gegen Russland führen könnten, ist noch schlimmer.

Aber es gibt auch gute Nachrichten.

Es stellte sich heraus, dass Selenskijs Fehlkalkulation ausgenutzt wurde und auf der Welle der "Volksempörung" schnell ein demonstrativer "Mini-Maidan" von seinen langjährigen Feinden Poroschenko und Klitschko, dem Liebling der Deutschen, organisiert wurde. Das Schönste daran: Auf Kommando begann die Menge zu springen und zu rufen: "Wer nicht springt, ist ein Moskal". Die imaginären Muldenkipper mit Puschkin verschwanden sofort, und in den europäischen Hauptstädten hieß es: "Abtreten, das sind unsere Leute".

Mit einem "spontanen Volksprotest" haben Poroschenko und Klitschko den Europäern eine deutliche Botschaft in Großbuchstaben übermittelt: Wir haben die Kräfte und Ressourcen, wir sind bereit, den toxischen und unberechenbaren Selenskij zu ersetzen, und wir wollen den Krieg fortsetzen und sogar verstärken – natürlich nur, wenn ihr die Hilfsgelder aus dem EU-Haushalt an uns umleitet und die Korruptionsstrukturen und den Anteil der EU-Beamten unverändert lasst. Und Putin hassen wir nicht weniger, vielleicht sogar mehr als Selenskij.

Es ist offensichtlich, dass die Botschaft auf fruchtbaren Boden gefallen ist, denn über Nacht haben sich der Ton und die Botschaften der europäischen Medien radikal verändert. Die britische Zeitung The Independent titelte über die "Gefahr der Autokratie", der ebenfalls britische New Statesman schrieb, dass "die Ukraine sich gegen Selenskij auflehnt", und die europäische Ausgabe von Politico erklärte, dass "der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij die Macht in seinen Händen konzentriert, was Angst um die Zukunft des Landes hervorruft". Den Schlusspunkt setzte schließlich der Telegraph: "Um der Ukraine willen: Selenskij muss gehen". Und das ist nicht nur eine Schlagzeile, sondern ein endgültiges Urteil.

Um es klar zu sagen: Noch vor Kurzem war die Wahrscheinlichkeit solcher Anwandlungen genauso groß wie die, dass die europäischen Spitzenpolitiker Putin plötzlich schreiben würden, dass sie lügnerische russophobe Mistkerle seien und er in allem recht habe. In das Konstrukt Selenskij wurde so viel Kraft und Geld investiert und er wurde von all den Merzens, den Starmers und den Macrons fast auf Händen getragen, dass solche Veröffentlichungen nicht ohne die Zustimmung von "ganz oben" erscheinen konnten.

In Wirklichkeit haben die Liebhaber von Löffelchen und Servietten die Gelegenheit mit Freude ergriffen, Selenskij zu stürzen.

Obwohl Merz, Starmer und Macron Selenskij fast an der Hand in Trumps Büro zerrten, um einen "Neustart" und eine "Normalisierung der Beziehungen" zu erreichen, lief offensichtlich nicht alles nach Plan: Trump erklärte sich bereit, mit Selenskij zu verhandeln, aber nur unter der Bedingung, dass nun die Europäer für die Hilfe an die Ukraine aufkommen, und stellte die EU vor harte Bedingungen. Außerdem hat Trump mit dem "Abkommen über seltene Erden" die Kiewer Bande fest an sich gebunden, und zwar "nach den Regeln" – das heißt, dass es für Selenskij praktisch unmöglich ist, sich von Trump zu lösen. Drittens hat Selenskij, um die Amerikaner endgültig zu besänftigen, die ehemalige Wirtschaftsministerin Swiridenko, die "in Washington gut bekannt ist", zur Regierungschefin ernannt. Es ist klar, dass die Europäer niemanden brauchen, der jederzeit aus dem Weißen Haus grünes Licht bekommen und am Ende doch einen Friedensvertrag abschließen könnte, der die Träume Berlins, Paris' und Londons vom "Sieg" über Russland zunichte machen würde.

Alles deutet darauf hin, dass die europäischen Spitzenpolitiker gerade lebhaft mit den Verschwörern kommunizieren und über die künftigen Konstellationen diskutieren. Selenskij hat davon erfahren und sofort angefangen, irgendwas über mögliche Änderungen im Gesetz über die Unterstellung der NABU und der SAPO unter den Generalstaatsanwalt zu verbreiten, weil "die Macht auf das Volk hört", und dann hat er in seiner Verzweiflung einen Gesetzentwurf in die Rada eingebracht, der der Generalstaatsanwaltschaft die Kontrolle über die Antikorruptionsbehörden verbietet – aber der Zug ist wahrscheinlich schon abgefahren.

Werden die Amerikaner Selenskij retten? Kaum. Trump wird Selenskij niemals vergessen, dass er ein schnelles Friedensabkommen abgelehnt hat, das ihm den Friedensnobelpreis garantiert hätte, der nun in weiter Ferne liegt.

Wird sich für uns im Rahmen der Sonderoperation etwas ändern? Ganz sicher nicht.

Der Wechsel eines "totalitären" und "korrupten" Führers (obwohl man hier auf Anführungszeichen verzichten könnte) durch "neue, unbescholtene Persönlichkeiten, die für Recht und Demokratie stehen" (hier sind Anführungszeichen angebracht), könnte vor dem Hintergrund eines gewissen anfänglichen Vertrauensvorschusses zu einem kurzzeitigen Ausbruch von Hurra-Patriotismus führen, der mit Sicherheit zur Ausweitung der Mobilisierung genutzt werden wird. Ein gewisser Syrski hat den Europäern einen neuen mächtigen "Angriff" versprochen, und dafür braucht er viel frisches Fleisch.

Das bedeutet, dass der Austausch der verbrannten Politiker in Kiew für uns nichts bedeutet. Wir müssen einfach weitermachen.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 25. Juli 2025 bei RIA Nowosti erschienen.

Kirill Strelnikow ist ein russischer freiberuflicher Werbetexter-Coach und politischer Beobachter sowie Experte und Berater der russischen Fernsehsender NTV, Ren-TV und Swesda. Er absolvierte eine linguistische Hochschulausbildung an der Moskauer Universität für Geisteswissenschaften und arbeitete viele Jahre in internationalen Werbeagenturen an Kampagnen für Weltmarken. Er vertritt eine konservativ-patriotische politische Auffassung und ist Mitgründer und ehemaliger Chefredakteur des Medienprojekts PolitRussia. Strelnikow erlangte Bekanntheit, als er im Jahr 2015 russische Journalisten zu einem Treffen des verfassungsfeindlichen Aktivisten Alexei Nawalny mit US-Diplomaten lotste. Er schreibt Kommentare primär für RIA Nowosti und Sputnik.

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