Von Wladislaw Sankin
Sein prolliges Auftreten in Interviews und sozialen Medien fordert nun seinen Preis: Dem AfD-Mitglied Tim Schramm droht der Ausschluss aus der Partei. Der Vorstand des größten Landesverbands, Martin Vincentz, gilt als gemäßigt und loyal zu abweichenden Meinungsäußerungen, doch auch ihm riss der Geduldsfaden. Wie die Junge Freiheit (JF) am Dienstag berichtete, leitete der Vorstand nun gegen Schramm ein Parteiausschlussverfahren (PAV) ein.
Ein Parteiausschluss ist die schärfste Sanktionsmaßnahme, um parteischädigendes Verhalten einzelner Mitglieder zu ahnden. Nach Auskunft eines Parteirechtlers ist dies eine relativ seltene Angelegenheit: Jährlich werden von bis zu 160 eingeleiteten PAVs nur circa ein Zehntel mit Erfolg für die Ankläger gekrönt. Genauere Zahlen liegen dazu nicht vor.
Die Erfolgsaussichten im Fall Schramm dürften jedoch etwas höher liegen als der bundesweite Durchschnitt. Denn der 22-Jährige hat im Laufe seiner noch kurzen Parteikarriere bereits viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen und viel Streit in parteinahen Kreisen verursacht.
In transatlantischen Medien stellt sich Schramm, der stellvertretende Sprecher der AfD Wuppertal, als Veteran eines Antirussland-Krieges dar, der für die ukrainische Armee Spenden sammelt und angeblichen Opfern der "russischen Propaganda" unter den Parteimitgliedern bei zahlreichen Treffen den "richtigen Standpunkt" zum Ukraine-Krieg beibringt – RT DE berichtete.
Wie RT aus parteinahen Kreisen erfuhr, wird das Ausschlussverfahren mit einem Verstoß Schramms gegen den Vorstandsbeschluss begründet, dass Auslandsreisen immer anzuzeigen seien. Nicht genehmigte Reisen nach Russland haben dem ehemaligen außenpolitischen Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag, Matthias Moosdorf, in der vorherigen Legislaturperiode im Wesentlichen das Amt gekostet.
Aber der Vergleich zu Moosdorf hinkt, denn Schramm war im Unterschied zum international bekannten Cellisten und Musikprofessor Moosdorf nicht zum Musizieren in der Ukraine, sondern um die Russen zu bekämpfen – als Feinde Deutschlands und Europas, wie er ausdrücklich begründet (Multi-Kulti-Russland kämpfe gegen das Europa der Vaterländer, sagt er allen Ernstes. Doch in welchem "Denk-Labor" wurde dieser Irrsinn gezüchtet?!). In seinen Interviews und Tweets behauptet er, in der Ukraine im Mörser- und Drohnenkampf drei Monate lang eingesetzt gewesen zu sein.
Zudem wurden ihm nach JF-Infos auch die Mitgliedsrechte entzogen. Offenbar gab es eine Aufforderung vonseiten des Landesverbands, keine "öffentlichen Äußerungen zum
Russland-Ukraine-Konflikt" mehr zu tätigen. Das sollte Schramm schriftlich versprechen. Möglicherweise erfolgte die Aufforderung nach Beginn der Propaganda-Offensive, die transatlantische Medien mit rechtskonservativer Ausrichtung erst vor wenigen Wochen mit Tim Schramm starteten (offenbar mit dem Ziel, die "Prorussen" in der Partei zu marginalisieren oder gar in die Flucht zu schlagen).
Darüber hinaus verlangte der Vorstand, Schramm müsse "von allen Parteiämtern zurücktreten" und dürfe bis September kommenden Jahres "für keine neuen Parteiämter" mehr kandidieren. Überdies sollte er versichern, sich für die Dauer seiner "AfD-Mitgliedschaft an keinerlei militärischen Handlungen fremder Streitkräfte mehr zu beteiligen". Dieses Prozedere prangerte Schramms Hausblatt JF als Maulkorberlass an.
Nachdem sich Schramm geweigert hatte, die Erklärung zu unterzeichnen, setzte der Vorstand das Ausschlussverfahren in Gang und entzog ihm unverzüglich die Mitgliedsrechte. Im Unterschied zum Entzug der Mitgliedschaft greift der Entzug der Mitgliedsrechte sofort und kann juristisch nicht angefochten werden. Nun versuchen Schramms Unterstützer, aus dem gelegentlichen Kämpfer "an der Ostfront" (das ist ausdrücklich seine Wortwahl) ein Opfer zu machen, das für seine Meinung einstehe.
So sprach das Landesvorstandsmitglied Sven Tritschler gegenüber der JF von einer "maximal unklugen Entscheidung des Landesvorstands". Zwar teile er nicht alle Ansichten Schramms, aber wenn sich die AfD in dem Konflikt neutral positionieren wolle, "können
wir es nicht auf der einen Seite dulden, dass hochrangige Funktionäre am 8. Mai in der russischen Botschaft die vermeintlichen Befreier bejubeln oder mit der Russlandfahne durch Berlin turnen".
Dieser Vergleich lässt tief in die russophoben Abgründe blicken. Mit Russen an ihrem Feiertag gemeinsam anzustoßen und eine positive Einstellung zur russischen Fahne zu haben ist demnach nicht weniger kriminell als ein unangemeldeter Kampfeinsatz mit Waffen (mit sicheren Todesfolgen für ebenjene Russen) und Propaganda damit. Ein weiterer Unterstützer des "Schrammi" (so sein Profilname auf X): der aus der AfD ausgeschlossene Politiker Matthias Helferich, dessen rechtsextreme Haltung in einem parteiinternen Schiedsverfahren festgestellt wurde. Wahrlich: Diejenigen Parteimitglieder, die an den extremistischen Rändern balancieren und es dann einmal nicht mehr schaffen und fallen, finden schnell zueinander.
Trotz aller Kritik: Das entschiedene Vorgehen gegen Tim Schramm ist keine Laune des Landesvorstands Vincentz. Auch wenn es die JF in ihrer Bildsprache so gern als ungleiches Duell auslegen würde: Aus Parteikreisen ist bekannt, dass der Landesvorstand die Deckung der Parteiführung auf Bundesebene hat. Da hat ein 22-jähriger irrlichternder Jungpolitiker aus der Provinz eigentlich nur wenig Chancen. Sein Ausschluss ist kein Verfahren, das "umstritten" ist ‒ es ist die Vollstreckung des Parteiwillens.
Es wäre sogar verwunderlich, wenn es zu keinem Ausschlussverfahren gekommen wäre. Denn der Schaden, den Tim Schramm mit seiner Propaganda-Offensive auf der Ebene der Parteibasis innerhalb nur weniger Wochen angerichtet hat, ist gewaltig. Er hat tausende Menschen vor den Kopf gestoßen und komplett irritiert – auch den Autor dieser Zeilen.
Schramm ging nicht als Privatmann in die ukrainischen Gräben. Er versuchte, seinen bewaffneten Kampf gegen Russland zum nachahmungswürdigen Weg eines wahren "Rechten" zu stilisieren. Damit hat er offenbar in der Tat nicht wenige Parteimitglieder überzeugt. Mit diesem allerdings noch überschaubaren Erfolg versuchte er dann den Eindruck zu erwecken, dass eben "viele" in der Partei so denken würden und dass die Stimmung bereits im Kippen begriffen sei.
Mit diesem Auftreten hat er im immerhin zahlenmäßig größten Landesverband, Nordrhein-Westfalen, der zugleich den höchsten Anteil russlanddeutscher Wähler aufweist, den falschen Eindruck erwecken können, dies sei nun die neue Parteilinie: eine Abkehr von der Neutralität im Konflikt hin zu jener Politik, wie sie auch die übrigen Parteien vertreten – mit Ukraine-Unterstützung und Konfrontation mit Russland bis hin zum bewaffneten Konflikt als zentralem Bestandteil ihres Kurses.
Nun: Die Korrektur ist erfolgt, die notwendigen personellen Konsequenzen wurden gezogen.
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