Fleiß um jeden Preis: Die ARD und der verordnete Arbeitswahn

Politiker und Medien hetzen gegen Arbeitslose, um Kürzungen und Repressionen gegen sie zu begründen. Das "ARD"-Magazin Monitor kritisiert das zu Recht. Doch statt zu analysieren, versteigt es sich in das Bullshitbingo der Politik über Fleiß und Faulheit – und fordert sogar mehr Ein-Euro-Jobs.

Von Susan Bonath

Was fiele wohl mehr ins Gewicht: Wenn für einen Monat alle Minister, Regierungsbeamten und Unternehmensberater ausfielen, oder für den gleichen Zeitraum alle unterbezahlten Pflege- und Reinigungskräfte streikten? Die Frage, die einst der Kabarettist Volker Pispers so ähnlich einmal formulierte, lässt sich relativ leicht beantworten: Während die Mehrheit Ersteres vermutlich kaum mitbekäme, wenn nicht die Tagesschau darüber berichtete, träte im letzteren Fall das pure Chaos und Schlimmeres ein.

Man könnte auch Folgendes fragen: Wer schadet der Bevölkerung eigentlich weniger: Ein vom Steuerzahler überbezahlter Kriegstreiber in der Politik, der dafür sorgt, dass immer mehr Staatsmilliarden in die Rüstungsindustrie sickern statt in Schulen und Krankenhäuser? Oder jemand, der keiner Lohnarbeit nachgeht, von 563 Euro plus Mietbeihilfe sein Dasein fristet und niemandem etwas zuleide tut? Auch hier kann der Punkt abseits von Polemik und etwaigen Neidgefühlen nur an Letzteren gehen.

Statt solche Fragen zu stellen oder das Wesen von Lohnarbeit und die Ursachen für Arbeitslosigkeit systemisch zu beleuchten, begründete das ARD-Magazin "Monitor" seine Kritik an der politischen und medialen Hetze gegen Arbeitslose mit hart ein-Euro-jobbenden Bürgergeldbeziehern. Es sang ein Loblied auf ihren Fleiß um jeden Preis als höchste Tugend des perfekten Lohnabhängigen. Die Botschaft: Seht her, die sind doch gar nicht alle faul, da gibt es welche, die ackern leidenschaftlich sogar für lau. So kann man auch das Geschäft der Hetzer und Spalter erledigen.

"Faulpelze" verhungern lassen

Beeindruckend sind die zusammengestellten Zeugnisse der Hetzkampagnen gegen Bürgergeldbezieher von ganz oben. "Diejenigen, die nicht arbeiten, aber arbeiten können, werden in Zukunft kein Bürgergeld mehr bekommen", tönte etwa Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), der seine Karriere beim weltweit mächtigsten Vermögensverwalter BlackRock fürs höchste Amt ruhen ließ. Doch wer beurteilt eigentlich, wer genau was arbeiten können soll? Die Antwort liegt auf der Hand: Jobcenter-Angestellte.

Auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann spuckte Gift und Galle gegen Erwerbslose: "Der Staat geht davon aus, wenn jemand arbeiten kann, dass er auch arbeiten geht", polemisierte er bei Markus Lanz im ZDF. Die SPD als Juniorpartner lässt sich nicht lumpen und zieht mit: "Wer Grundsicherung bezieht und arbeiten kann, der muss mitziehen", trommelte Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas im Bundestag. Die Geschichte vom arbeitsscheuen Bürgergeldempfänger ist auch in dieser Wirtschaftskrise Programm.

Lobgesänge auf Ein-Euro-Jobs

So nötig die Kritik daran, so herrschaftskonform sind die Schlüsse des Magazins: Es präsentierte ältere Ein-Euro-Jobber, die für die mickrige Aufwandsentschädigung von einem bis zwei Euro pro Stunde (ohne Anspruch auf Urlaub oder Ausgleich bei Krankheit) Arbeiten verrichten, für die sie angemessen entlohnt werden müssten. Darunter ist ein 64-Jähriger, der trotz Schmerzen bereitwillig mit schwerem Gerät Rasen trimmt und Hecken schneidet. Maßnahmen statt Arbeitsplätze: So sparen klamme Kommunen viel Geld.

Zu sehen ist eine 42-Jährige, die zu gleichen "Konditionen" in einem Caritas-Sozialkaufhaus jobbt, das es gar nicht bräuchte, wenn es keine Armut gäbe. Demütig lässt das Magazin sie in die Kamera sagen, dass es ihr "ja nicht ums Geld" gehe, "sondern darum, wieder eine Struktur zu haben." Aha, wer arbeitslos ist, gammelt demnach den ganzen Tag herum, wenn der Staat nicht nachhilft. Das hätte auch von Merz kommen können. Das Magazin zeigt überdies eine 48-Jährige, die 40 Wochenstunden in einem privaten Supermarkt auf Staatskosten ackert und einen 46-Jährigen, der seinem Ein-Euro-Job im Verkauf nachtrauert.

All das suggeriert zunächst mal Folgendes: Wer sich nicht so willig ausbeuten lassen will wie die Gezeigten, es aus verschiedenen Gründen vielleicht nicht kann, ja, den könne der Staat dann wohl verhungern lassen. Er muss nur ordentlich sortieren in "Fleißige" und "Faule". Faul ist demnach, wer solche Ausbeutung verweigert, vielleicht auch nur ein wenig lustlos dabei wirkt, den Lohnarbeitsfetisch zu preisen.

Entlassungswellen und Nutznießer

An dieser Stelle hätte "Monitor" mal auf die aktuelle Entwicklung schauen und sich fragen können: Was erwartet eigentlich die Tausenden von Arbeitern, die krisenbedingt kurz vor ihrer Entlassung stehen? Umschulungen sind dank der Dauersparprogramme in Deutschland schließlich Mangelware, insbesondere für Ältere. Ford will beispielsweise knapp 3.000 Stellen streichen, und Daimler 5.000. Und auch viele andere Unternehmen sind auf diesem Weg. 

Sollen die Betroffenen dann alle für Ein-Euro-Jobs bereitstehen, wenn sie innerhalb eines Jahres nichts Neues finden? Und was sollen jene tun, die durch Ein-Euro-Jobber ersetzt werden? Auch ein-Euro-jobben? Die Spirale, die so was nach sich zieht, könnte lang werden, zumal das Angebot an neuen Arbeitsplätzen seit Monaten rapide schrumpft und private wie staatliche Nutznießer bekanntlich wie Pilze aus dem Boden schießen, wenn's auf diese Weise was zu gewinnen gibt

Teurer Überwachungsapparat

Und so fällt das Resultat der öffentlich-rechtlichen "Kritik" dann wie erwartet aus: Der Staat müsse mehr Geld für "Eingliederung in den Arbeitsmarkt" ausgeben, auch für Ein-Euro-Jobs. Dass die Regierung seit Jahren an dieser Stelle das Geld zusammenstreicht, die Jobcenter die verbliebenen Mittel überdies in ihren überbordenden Verwaltungsapparat umschichten, kritisierte "Monitor" dann auch. Doch dass der Apparat nicht zuletzt so teuer ist, weil dort nicht nur gerechnet und vermittelt, sondern überwacht, bespitzelt, kontrolliert und bestraft wird, verschweigt das Magazin.

Angeblich, so behauptet "Monitor" dann weiter, seien die Ein-Euro-Jobs vor allem deshalb nötig, weil sie ein Sprung in den sogenannten "ersten Arbeitsmarkt" seien. Dass das nicht stimmt, ist aber längst belegt. Bereits 2008 berichtete unter anderem die taz, dass diese sogenannten Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung laut einer Studie großflächig reguläre Stellen verdrängten, aber nur in zwei Prozent der Fälle zu einer festen Anstellung führten. 

Lohnkosten sparen

Zu Hochzeiten dieser Beschäftigungsmaßnahmen hatte sich ein ganzes Netz aus Firmen entwickelt, die Ein-Euro-Jobber beschäftigten. Hunderte Euro, die diese pro Person vom Staat kassierten, landeten vor allem in ihren Taschen. Seit Jahren unterfinanzierte Kommunen ersetzten ihre regulären Arbeitskräfte in der Grünanlagen-, Park- und Denkmalpflege durch verpflichtete Hartz-IV-Arbeiter. Ob in Jugendclubs und Sportvereinen, Fitnesscentern und Sozialkaufhäusern, Stadtarchiven und der Forstwirtschaft: Überall mussten bezahlte Angestellte den neuen Billigstjobbern weichen. Böse Zungen sprachen von einem staatlichen Programm für Lohndrückerei.

Das war auch der Grund, warum der Staat diese Maßnahmen nach und nach zurückfahren musste. Wobei es trotzdem immer wieder neue Varianten davon gab, beispielsweise in Form von 80-Cent-Jobs für Flüchtlinge. Das schwebt der GroKo nun für alle Arbeitslosen vor, die nicht schnell genug einen neuen Job finden – und "Monitor" promotet das, gut versteckt hinter richtiger Kritik.

Abgründe des Sozialdarwinismus

Fest steht schon jetzt: Mit Merzscher Härte werden die Zeiten rauer für Lohnabhängige. Wer seinen Arbeitsplatz verliert und keinen neuen findet, weil er zu alt, zu krank ist oder keine Umschulung bekommt, darf sich dann auch als Faulpelz und Gammler beschimpfen lassen oder findet sich für ein, zwei Euro pro Stunde mit Heckenschere, Laubgebläse oder Schneeschaufel im Park wieder, wenn er überleben will.

Und wer weiß, vielleicht kommen ja Kanzler Merz und Co. auf die Idee, die Arbeitslosen in die Rüstungsindustrie zu zwingen, damit die Kriegswirtschaft den Euro für die Profiteure wieder rollen lässt? Oder wie wäre es in naher Zukunft mit einem Ein-Euro-Job im Schützengraben im Dienst "fürs Vaterland"? Der Abgrund des Sozialdarwinismus lässt noch einiges an Tiefe offen. Ob "Monitor" dann auch so "kritisch" dafür werden würde?

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