Merz stürzt in Umfragen ab – nur die CDU-Anhänger finden seine großmannsüchtige Außenpolitik toll

Schaut der Bundeskanzler noch in die Umfragen? Oder sucht er in der Presse nur noch nach Lobhudeleien, sammelt sie und fährt damit von einem – ach so wichtigen epochalen – Gipfel-Treffen zum anderen? Die Schere zwischen der Eigenwahrnehmung seines Handelns und den Realitäten im Land wird jeden Tag größer.

Von Wladislaw Sankin 

In Deutschland wird die glühende Russophobie des amtierenden Kanzlers in der Presse eher heruntergespielt, denn damit würden gereizte Reaktionen in Russland auf seine Eskapaden – vom Putin-Ultimatum vor der Wahl bis zur Leugnung der Leistung der Roten Armee – womöglich etwas plausibler erscheinen. Und die Russen dürfen bekanntlich nicht plausibel erscheinen, nur böse.

In Russland dagegen wird genau registriert, was Merz und seine Regierung zum Ukraine-Konflikt und Russland so sagen. Viele Experten weigern sich jedoch, den Bundeskanzler allzu ernst zu nehmen. 

Dennoch sieht man in Merz eine Gefahr, aber etwas anders als in Deutschland erwartet. So schreibt Deutschland-Kenner Timofej Borissow, dass das Merzsche antirussische Auftreten sehr theatralisch sei. Aber einen Krieg gegen Russland anzufangen, traut er ihm schon zu – aus Dummheit. 

Am 9. Juli sagte Friedrich Merz in einer Rede im Bundestag, dass die Mittel der Diplomatie im Ukraine-Konflikt ausgeschöpft seien. Er verspreche, die Bundesregierung werde Kiew weiterhin "mit allen in ihrer Macht stehenden Mitteln" im Kampf gegen Russland unterstützen. Das bedeutet natürlich Krieg bis zu einem möglichen Zusammenstoß der europäischen "Koalition der Willigen" mit den russischen Truppen. Merz fügte hinzu: 

"Wir wissen uns einig mit der großen Merhheit, mit der überwältigenden Mehrheit unserer Bevölkerung in dieser Aufgabe." 

Als er dies sagte, waren die Ergebnisse einer Forsa-Umfrage schon veröffentlicht, die offenlegte, dass die Unzufriedenheit der Deutschen mit seiner Arbeit als Kanzler alarmierende Maße angenommen hatte. Innerhalb nur einer Woche sank die Zufriedenheit von 42 auf 35 Prozent. "Kanzler fast so unbeliebt wie Scholz bei Ampel-Start", stellten die Medien fest.

Nur eine Minderheit von 38 Prozent der Bundesbürger sei mit der Arbeit der Großen Koalition insgesamt zufrieden, hieß es, eine Mehrheit von 58 Prozent jedoch nicht. Vor allem die Stromsteuer erzeuge Unzufriedenheit. Eine große Mehrheit von 65 Prozent der Bundesbürger habe kein Verständnis dafür, dass die Bundesregierung die Stromsteuer nicht für alle Bürger, sondern bis auf Weiteres nur für Industrieunternehmen und Betriebe der Land- und Forstwirtschaft senken wolle.

Die Rede ist mitunter vom "Stromsteuer-Debakel". Ein klarer Wortbruch bezüglich eines CDU-Wahlversprechens: "Der Strom muss für alle günstiger werden", hatte die Partei in ihrem Sofortprogramm zu den Wahlen geschrieben. Beobachter ziehen schon ungute Parallelen zum Heizungsgesetz, das zum Kipppunkt der Ampel-Regierung wurde. 

Bei möglichen Neuwahlen sind wir aber doch noch nicht. Es kann doch sein, dass dieser innenpolitische Kleinkram die Bürger nicht mehr interessiert und sie froh sind, endlich so einen energischen Kanzler auf der Weltbühne zu haben – den "Germany ist back on track"-Kanzler. 

Doch auch diesen Schluss geben die Umfragen nicht her. Noch vor wenigen Wochen titelten Medien aus einer Forsa-Umfrage: "Deutsche wünschen sich Telefonat mit Putin". 56 Prozent der Befragten hielten es für sinnvoll, dass Friedrich Merz zeitnah ein Gespräch mit Putin führen würde. Sie hoffen, dass ein Telefonat mögliche Lösungen für ein Ende des Ukraine-Krieges aufzeige.

Noch deutlicher zeigte sich die Kluft zwischen Politik und Bürgerwünschen nach Frieden in einer Studie des Instituts for Global Affairs, über die im Juni 2024 die NachDenkSeiten berichtet hattenDanach antworteten 88 Prozent der Teilnehmer in Deutschland, Frankreich und Großbritannien (Länder, die heute den Kern der "Koalition der Willigen" bilden) auf die Frage, ob die NATO-Staaten mit Russland in Verhandlungen zum Ukraine-Konflikt treten müssten, mit verschiedenen Varianten des "Ja".

DAS ist die überwiegende Mehrheit, Herr Merz, und sie steht nicht auf ihrer Seite!

Das Gefälle zwischen Bürgerwillen und Politik kann damit kaum noch deutlicher werden. Allerdings könnte die Merz-Popularität, soweit noch vorhanden, allein auf einer Stilfrage beruhen: nach Schlaftablette Scholz, Merz, der Draufgänger. Erfrischend! Und in der Tat, das Draufgängertum kommt bei seinen Wählern (noch) gut an. Die gleiche Forsa-Umfrage im Juni ergab, dass 89 Prozent der CDU/CSU-Anhänger seinen diplomatischen Stil loben. 

Allerdings wurde die Umfrage kurz vor der "Drecksarbeit"-Aussage durchgeführt, die er am 17. Juni tätigte. Hat den Union-Wählern auch das geschmeckt? Wenn sie Leser solcher Sprachrohre der Bundesregierung wie der Fränkischen Landeszeitung waren und bleiben, dann ja. Deutschland wird dank Merz als Akteur wahrgenommen, schreibt Journalist Harald Baumer in einer Kolumne. Er lobt:

"Friedrich Merz hat eine ganze Reihe von Dingen richtig gemacht. Außen- und sicherheitspolitisch sorgte er dafür, dass die Bundesrepublik wieder als Akteur wahrgenommen wird"

Also, den Journalisten-Geschmack trifft der Back-on-Track-Merz offenbar schon. Gerne übersehen die Hof-Schreiber des Kanzlers seine schreienden Lügen über "überwiegende Mehrheit", die ihm zufolge seinen Aufrüstungswahnsinn und die geifernde Russophobie angeblich gutheißen. Ja, wie uns dieser "Akteur" in den Krieg reitet (Lawrow), so schreiben sie uns in den Krieg.

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