Der barbarische Russe: Wenn der noch fruchtbare Schoß wieder kreißt

In Russland wird gerade über die Abstammung deutscher Politiker von Nazi-Funktionären diskutiert. Die Diskussion geht am Thema vorbei. In Westdeutschland hat keine Entnazifizierung stattgefunden. Deutschland kann daher nicht anders, als seine Geschichte zu wiederholen.

Von Gert Ewen Ungar

Merz hat angekündigt, Deutschland wieder zur größten Militärmacht in Europa machen zu wollen. Die Narrative in den großen deutschen Medien sind gleichgeschaltet, die Beiträge zu Russland und zum Ukraine-Krieg sind über die Breite der deutschen Medienlandschaft bis in die Wortwahl identisch. Es wird durch eine breite Angebotspalette an Zeitungen, Magazinen und Sendeformaten eine Vielfalt der Meinungen und der journalistischen Pluralität vorgetäuscht, die in Deutschland de facto nicht existiert. Verstärkt wird diese Narrativ-Gleichschaltung durch Zensur und Repression gegenüber unabhängigen Journalisten. Der deutsche Informationsraum ist wieder hermetisch abgeriegelt. Presse- und Meinungsfreiheit wird in Deutschland nur noch simuliert.

Deutsche Politik sieht in Russland wieder den Erzfeind und wittert an jeder Ecke russische Bedrohungen. Der Feindbildaufbau in Politik und Medien läuft auf Hochtouren. Dabei wird auf tief in der deutschen Gesellschaft verankerte Klischees und Vorurteile zurückgegriffen, die sich leicht aktivieren lassen. Der barbarische Russe, der vergewaltigt, brandschatzt und nur die Sprache der Gewalt versteht, hat wieder seinen festen Platz in der Berichterstattung deutscher Medien und in den Schilderungen deutscher Politiker. Der slawische Untermensch ist als rassistische Figur wieder fester Bestandteil der deutschen Erzählung über Russland.

Deutschland rüstet sich für einen Krieg mit Russland, das gar keine Kriegsabsichten gegenüber Deutschland hegt. Gleichzeitig unterstützt deutsche Politik mit der Ukraine und Israel gleich zwei rechte Regime. Deutschland liefert Waffen für Genozid und Kriegsverbrechen. Deutsche Politik unternimmt nichts, um Konflikte auf diplomatischem Weg zu lösen, dafür aber alles, um seine imperialistischen Interessen kompromisslos durchzusetzen. Man ist sich entweder mit Deutschland einig, oder man ist nicht mit Deutschland, ist das kompromisslose Motto deutscher Außenpolitik. Deutschland wiederholt nun zum dritten Mal, was bei Versuch eins und zwei zum Glück für die Welt gescheitert ist. 

Die Frage ist, wie es trotz all der Nie-Wieder-Beteuerungen nach 1945 dazu kommen konnte? Woher kommt die fehlende Resilienz? In Russland hat eine Diskussion an Fahrt aufgenommen, in der es um die Nazi-Vergangenheit der Vorfahren der aktuellen Politikerkaste geht. Namentlich genannt werden dabei regelmäßig Kanzler Merz (CDU), die ehemalige Außenministerin Baerbock und der ehemalige Wirtschaftsminister Robert Habeck (beide Bündnis 90/Die Grünen).  

Nun halte ich persönlich diesen persönlichen Ansatz für schwierig. Es gibt wohl kaum jemanden deutscher Herkunft, in dessen Ahnenreihe sich nicht Bewunderer und Unterstützer des Nationalsozialismus finden lassen. Damit lässt sich auch der Wiederholungszwang, dem die deutsche Gesellschaft unterliegt, nicht befriedigend erklären.

Die Erklärung, warum Deutschland seine historisch gemachten Fehler wie im Zwang wiederholt, wenn es nicht unter Aufsicht gestellt ist, liegt nicht an einzelnen Personen, sondern an den institutionellen und strukturellen Kontinuitäten in Deutschland. In Westdeutschland hat eine Entnazifizierung, die diesen Namen verdient, nie stattgefunden.

In Ostdeutschland ist die Situation anders, allerdings wurden nach der Wiedervereinigung Ostdeutsche von allen Posten der Macht ferngehalten. Es gibt im Osten der Republik eine höhere Sensibilität gegenüber Totalitarismus und Faschismus, die allerdings aufgrund des fehlenden Einflusses auf Gesamtdeutschland ins Leere läuft. In Westdeutschland dagegen gab es fließende Übergänge. Hohe Nazifunktionäre schafften es wieder in hohe Positionen und gestalteten den Aufbau der Institutionen der Bundesrepublik aktiv mit. 

Die CDU nahm bedenkenlos ehemalige Mitglieder der NSDAP auf. So konnte 1966 mit Kurt Kiesinger ein ehemaliges NSDAP-Mitglied Bundeskanzler werden. Dass dies möglich wurde, deutet auf ein gesellschaftliches Klima, in dem bewusst weggeschaut wurde. Aber es war eben mehr als nur betretenes Wegsehen. Die alten Nazikader führten kein verstecktes Dasein, sie hatten in der jungen BRD Gestaltungsmacht. Sie konnten ihre Saat säen, und die Saat geht nun auf. Einige Beispiele.

Der deutsche Auslandsgeheimdienst BND hat seine Wurzeln in der Organisation Gehlen. Ihr Gründer, Reinhard Gehlen, war während der NS-Zeit Leiter der Militäraufklärung Fremde Heere Ost. Es waren die USA, die Gehlen beim Aufbau eines deutschen Geheimdienstes unterstützten und zunächst auch finanzierten. Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass der BND zwar überall russische Aktivitäten wittert, zum großen Abhören durch die USA aber schweigt.

Nachdem Edward Snowden 2013 das Ausmaß der Spionagetätigkeit der US-Geheimdienste aufgedeckt hatte, blieb es in Deutschland unangemessen still. Darüber, dass die USA diese Praktik aufgegeben haben, den kompletten Datenverkehr weltweit zu überwachen, ist nichts bekannt. Während die großen US-Tech-Giganten wie Google, Microsoft und Facebook mit US-Geheimdiensten kooperieren und dabei nicht nur Daten zugänglich machen, sondern auch Hintertüren zur Überwachung in Apps und Software einbauen, bleibt der Blick des BND streng nach Osten gerichtet. Da stand und steht für ihn und seine Vorgängerorganisationen der Feind. 

Ebenfalls Mitglied des Nachrichtendienstes Fremde Heere Ost und Gründungsmitglied der Organisation Gehlen war Klaus Ritter. Auf einer Reise in die USA im Jahr 1959 wurde Ritter mit der Arbeit von Think-Tanks vertraut gemacht. Ritter gründete daraufhin im Jahr 1962 die Stiftung Wissenschaft und Politik, die deutsche Politik und Medien zu außenpolitischen Themen berät. Gern stellt die Stiftung auch Interview-Partner zur Verfügung. Claudia Major, die aus den Sesseln deutscher Talkshows unermüdlich für eine Eskalation gegenüber Russland die Werbetrommel rührt, ist dafür ein Beispiel. Damit erklärt sich auch, warum Claudia Majors Ausführung zu Russland so ähnlich wie der Generalplan Ost der Nazis klingt. Sie stammen schlicht von dort. Das Dossier zum Ukraine-Krieg auf der Seite der Stiftung lässt wenig Zweifel an der Kontinuität von vor 1945 bis heute aufkommen. Unter anderem von dort beziehen die deutschen Medien ihr Wording und werden darüber ideologisch gleichgeschaltet. 

Der Faschismus bleibt eng mit der deutschen Politik verwoben. Das gilt selbstverständlich auch für die Grünen. Zu deren Gründervätern zählten gleich mehrere ehemalige Nazis. Jürgen Trittin sprach vor einigen Jahren bereits von "erheblichen Schnittmengen" und "zahlreichen Berührungspunkten" zwischen grüner Umwelt- und Nazi-Ideologie. Der Eindruck, die Grünen streben nach einer faschistischen Öko-Diktatur, kommt nicht von ungefähr. Es ist einfach so. Die totalitäre Ideologie ist in die Tiefen ihrer politischen DNA eingeschrieben.

Was für Politik und hohe Bundesämter gilt, gilt natürlich auch für die Medien. Für nahezu alle großen Blätter, für die Zeit, den Spiegel und die Welt schrieb unter unterschiedlichen Pseudonymen Paul Schmidt, der während der NS-Herrschaft Pressechef von Außenminister von Ribbentrop war. Hans Abich, in den Siebzigern Programmdirektor bei der ARD, lernte sein Handwerk im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Wer sich mit diesem Wissen heute die Tagesschau ansieht, den wundert nichts mehr. Der antirussische Spin der deutschen Journaille wurde früh angestoßen.

Das ist natürlich nur eine kleine Auswahl, allerdings ließe sich die Liste der Kontinuitäten zwischen Nazi-Deutschland und der späteren Bundesrepublik noch lange fortsetzen. Klar ist, dass es einen echten Bruch nie gegeben hat, und er von den Alliierten, allen voran den USA auch nie gewünscht war. Deutschland sollte Bollwerk gegen die Sowjetunion und später gegen Russland bleiben. Dafür war man bereit, den Pakt mit deutschen Faschisten einzugehen. Sie sahen darin eine Einladung, ihre Arbeit auch nach 1945 fortzusetzen.

Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch, warnte Bertolt Brecht und behielt rückblickend recht. Heute kreißt dieser Schoß wieder. Gewährt man Deutschland Freiraum, werden die Strukturen aktiv, die der Bundesrepublik in ihren Anfangsjahren von alten Nazikadern eingepflanzt wurden. Deutschland kann gar nicht anders, als seine Geschichte zu wiederholen, denn die Weichen wurden nie anders gestellt. Es soll auch nicht anders. Deutschland soll als Antirussland wirken, auch wenn das bedeutet, dass dadurch Europa wieder in Schutt und Asche gelegt werden könnte. Die sich für die Zeit danach stellende Schuldfrage ist damit allerdings auch geklärt. 

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