Von Dagmar Henn
Das Zeigen der Instrumente ist ein Schritt aus den Vernehmungsprotokollen der Inquisition in der Frühen Neuzeit. Ehe der Delinquent auf die Streckbank gelegt oder ihm die Daumenschrauben angelegt wurden, wurden sämtliche Foltergeräte vorgezeigt und ihre Funktionsweise erläutert. Das sollte den vermeintlichen Ketzer zu einem Geständnis bewegen.
Wenn man zusammenfasst, was seit dem vergangenen Wochenende und dem öffentlichen Eklat zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Regierungschef Wladimir Selenskij geschehen ist, erinnert das sehr an diesen Moment. Schritt für Schritt werden die möglichen Maßnahmen vorgeführt, angefangen mit dem Innehalten der militärischen Lieferungen, den Meldungen zufolge auch aller, die sich bereits auf dem Weg befanden, auf Schiffen oder irgendwo in Polen. Ja, ein klein wenig Dramatik gab es auch da, als Flugzeuge, die für derartige Lieferungen auf dem Weg nach Europa waren, laut NBC im Flug umkehren mussten. Die nächste Meldung lautete, es sei den Briten untersagt worden, Aufklärungsdaten an Kiew weiterzureichen, und inzwischen wurde von CIA-Direktor John Ratcliffe bestätigt, die USA selbst hätten die Lieferungen solcher Informationen an die Ukraine unterbrochen.
Außerhalb der westlichen Blase war die Reaktion auf die erste dieser Meldungen übrigens durchaus zwiespältig. Vielfach im Sinne von "Das glauben wir erst, wenn auch die Aufklärungsdaten gekappt werden". Oder es wurde Enttäuschung darüber artikuliert, dass nicht sofort auf einen Schlag alles angehalten wurde, einschließlich Starlink, das bisher noch zur Verfügung steht. Von dem, was die Führung europäischer Staaten von sich gab, lohnt es nicht zu reden. Denn das aufgeplusterte Geprahle, man könne die USA mühelos ersetzen, klappte vielleicht noch halbwegs bei den Waffenlieferungen, bei den Aufklärungsdaten ist aber Schluss. Weshalb es durchaus sein mag, dass sich im letzten Schritt auch ein Wink mit dem Zaunpfahl an den Brüsseler Selenskij-Fanclub verbirgt.
All jene europäischen Staaten zusammengerechnet, die überhaupt militärische Satelliten besitzen, sind das zwar auch mehr als 40 (acht davon entfallen auf die Bundeswehr, 15 besitzt Frankreich, überraschenderweise neun Italien, Großbritannien sechs), aber man kann davon ausgehen, dass sie kein einheitliches Netz bilden, ganz im Gegensatz zu jenen der USA, die noch dazu die meisten militärischen Satelliten weltweit besitzen ‒ auf jeden Fall mehr als 200. Die Daten, die diese Satelliten liefern, haben bisher das Kräfteverhältnis zugunsten Kiews verzerrt. Alleine könnte die ukrainische Armee nur auf die Aufklärungsdaten zurückgreifen, die ihre eigenen Drohnen liefern. Was weitgehend auf vergleichsweise frontnahe Bereiche begrenzt wäre.
Es sind vor allem die US-Satellitendaten, die Informationen über Truppenbewegungen im russischen Hinterland liefern, und die für die Zieldaten für Angriffe mit HIMARS und ähnlichen Geräten zuständig sind. Die Drohnenangriffe auf Ziele in Südrussland wären ohne diese Daten nicht möglich. Und es ist ausgesprochen fraglich, ob die Satelliten der EU-Länder plus Großbritannien sie ebenfalls liefern könnten. Außerdem stellt sich die Frage, ob nicht ohne die Deckung durch die USA auch die Aufklärungsflieger, die Frankreich und Großbritannien so gerne über das Schwarze Meer schicken, zu legitimen Zielen werden.
Das ist der Punkt, um den man sich im gesamten Westen gern herumgelogen hat: wie weit die Beteiligung an den Kriegshandlungen in der Ukraine eigentlich geht. Die französischen Mirage, die jüngst an die Ukraine gingen und jetzt in Rumänien stehen, haben mit Sicherheit französische Piloten. So, wie die Bedienmannschaften komplexerer Geräte wie des deutschen IRIS-Luftabwehrsystems oder der schon erwähnten HIMARS-Raketenwerfer ebenfalls höchstens zum Teil Ukrainer sein dürften. Schon allein deshalb, weil man die Kontrolle über die nötigen Daten ungern aus der Hand gibt.
Neben der Stilllegung von Starlink, die die Kommandostrukturen der ukrainischen Armee weitgehend lahmlegen würde, gibt es nur noch einen weiteren Schritt, den Trump vollziehen könnte: den Rückzug des mehr oder weniger offiziellen US-Personals verschiedener Geschmacksrichtungen, wie etwa der Besatzung der vor längerem von der New York Times eingestandenen CIA-Posten in der Nähe der russischen Grenze.
Während sich das Anhalten der Militärhilfe mit einiger Zeitverzögerung auswirken dürfte, wirkt die Kappung des Informationsstroms sofort. Es geht also um eine schrittweise Verschärfung der Maßnahmen.
Die Frage, warum Trump nicht alles auf einmal gekappt hat, lässt sich übrigens sehr einfach beantworten. Das Ziel ist schließlich, Kooperation zu erzwingen. Das funktioniert besser, wenn noch Eskalationsschritte übrig sind, eben wie beim Zeigen der Instrumente. Die Vorgabe war relativ klar: eine öffentliche Entschuldigung Selenskijs und das Bekunden guten Willens, was Friedensverhandlungen betrifft. Sicherheitsberater Mike Waltz sprach von "vertrauensbildenden Maßnahmen".
In russische Richtung könnte man sagen, dass der aktuell letzte Schritt, eben die Einstellung der Lieferung von Aufklärungsdaten, allmählich den Eindruck glaubwürdigen Interesses an Verhandlungen seitens der USA erwecken könnte. Das ist vor allem vor dem Hintergrund der zahlreichen gebrochenen Zusagen des Westens auch nötig. Schließlich war es der Westen, der die auf Grundlage der Minsker Vereinbarungen von 2015 durchaus mögliche Befriedung sabotierte und der seitdem immer wieder erkennen ließ, nicht ernsthaft verhandeln zu wollen. An diesem Punkt muss sich Trump aus einem Loch herausgraben, das sein Vorgänger gegraben hat. Ebenfalls "vertrauensbildende Maßnahmen".
Übrigens, bei allem Trommeln auf die Brust, das die EU derzeit liefert, um das Thema "russische Schattenflotte" ist es aktuell etwas ruhiger geworden. Zuletzt machte sich vor allem Greenpeace noch unangenehm in dieser Richtung bemerkbar (auch gleich mit einer Ausweitung auf das Mittelmeer). Das könnte fast eine kleine Denkpause sein, ob ohne US-Unterstützung das Risiko nicht zu hoch ist, nur ein paar künstliche Riffe in der Ostsee zu schaffen. Aber vielleicht ist es voreilig, dieser irren Truppe einen Anfall von Vernunft zuzuschreiben.
Auf jeden Fall erlebt der Kiewer Haufen jetzt eine praktische Demonstration, was es heißt, wenn die Unterstützung aus den USA, die in den letzten Jahren stetig ausgeweitet wurde, wegfällt. Das ging schon in den ersten Wochen bis zu Zielkoordinaten für die Artillerie. Damals kursierten Kopien entsprechender Mails. Der ganze Größenwahn, den Selenskij bei seinem Auftritt im Oval Office durchscheinen ließ, beruht auf geliehener Stärke, angefangen bei der industriellen Basis (mit der selbst der gebündelte Westen nicht beeindrucken konnte) bis hin zu Satellitendaten und Starlink. Wenn schon der Blutzoll, den das ukrainische Regime in den letzten drei Jahren entrichtet hat (oder vielmehr seine Bevölkerung hat entrichten lassen), nicht genügte, um innehalten zu machen, sorgt vielleicht ja ein Zurechtstutzen auf das natürliche Maß dafür.
Die Phase des Zeigens der Instrumente entwickelt sich übrigens schnell. Im Zusammenhang mit den Aufklärungsdaten soll es zwei Stufen gegeben haben. Erst wurde nur die Information gekappt, die für Angriffe in Russland genutzt werden konnte ‒ Stunden später wurde der gesamte Fluss unterbrochen. In Kiew wird man sich bald entscheiden müssen, ob man sich auf die Brüsseler Darsteller verlässt oder doch lieber schnell den Kotau vor Washington vollzieht. Mit oder ohne die amtierende Koksnase.
Vielleicht haben die Einwohner der EU ja Glück, und Selenskij oder wer auch immer knickt schnell genug ein, dass die geplante große Rüstungsshow in Brüssel nur eine lächerliche Nummer bleibt. Denn so, wie die meisten Regierungen der EU sich derzeit verhalten ‒ als hätten sie einen Selbstmordpakt geschlossen und suchten jetzt krampfhaft nach einem Ersatz für das atomare Inferno, das die Regierung Biden zu versprechen schien ‒, kann man nur hoffen, dass die globale Entwicklung sie rasch am Wegrand liegen lässt, weil das Zeigen der Instrumente die gewünschte Wirkung erzielt.
Mehr zum Thema ‒ Droht Kollaps der ukrainischen Armee nach dem Stopp der US-Waffenlieferungen an Ukraine?