Kanzlerduell: Von Fatalismus und Ausweglosigkeit

Das Rede-Duell zwischen Bundeskanzler Scholz und seinem Herausforderer Friedrich Merz (CDU) lieferte vor allem eine Erkenntnis: Richtig was zu wählen, gibt es in Deutschland nicht. Weder Merz noch Scholz können die Probleme lösen. Das liegt an ihrem Verhältnis zur deutschen Propaganda.

Von Gert Ewen Ungar

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) führte gemeinsam mit seinem Herausforderer Friedrich Merz, dem Kanzlerkandidaten der CDU, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen vor, was passiert, wenn in einem Land strenge Zensur herrscht. Sowohl Scholz als auch Merz glauben die deutsche Propaganda oder geben zumindest vor, es zu tun. Die lautet kurz zusammengefasst: Putin führt einen imperialistischen Krieg, hat der EU den Gashahn zugedreht und ist verantwortlich für die wirtschaftliche Misere im Land. 

Wer diesen Unsinn glaubt, kann die Probleme Deutschlands nicht lösen, denn er scheitert schon an der Analyse ihrer Ursachen. Sowohl Scholz als auch Merz glauben diesen Unsinn jedoch. Damit ist eigentlich alles gesagt, was die Deutschen von der bevorstehenden Bundestagswahl zu erwarten haben. Die Lösung der grundlegenden Probleme Deutschlands wird es mit den streitlustigen Herren nicht geben. Im Gegenteil. 

Putin hat den Deutschen nicht das Gas abgestellt. Scholz kann diese Aussage wiederholen, sooft er will, sie wird dadurch nicht wahrer. Er weiß auch, dass sie von ihm frei erfunden ist, denn er persönlich hat das Angebot Putins abgelehnt, Deutschland durch den noch intakten Strang von Nord Stream mit Gas zu versorgen.

Das Angebot steht übrigens noch immer. Der russische Botschafter in Deutschland, Sergei Netschajew, hat erst in der vergangenen Woche in einem Interview mit dem russischen Sender Rossija 24 an das Angebot Putins erinnert und zudem auf eine lange Zeit der Kooperation im Energiebereich verwiesen, von der beide Seiten profitiert haben. 

Der Nachweis seiner Aussage ist für das deutsche Publikum jedoch nur schwer zu führen, denn der Sender, der in russischer Sprache sendet, ist in Deutschland zensiert. Das sagt viel über das Ausmaß der Angst im politischen Establishment vor Fakten. Für alle Hartnäckigen, VPN-Nutzer und Kenner der russischen Sprache, ist das sehenswerte Interview hier zu finden.

Die Energiekrise in Deutschland wurde von der deutschen Politik und nicht von Putin oder dem "russischen Angriffskrieg" verschuldet. Wenn man das nicht zugeben möchte, kann man das Problem auch nicht lösen. Weder Merz noch Scholz geben es zu. 

Den Gashahn richtig zugedreht hat dagegen die Ukraine. Sie hat einen Durchleitungsvertrag mit Gazprom auslaufen lassen. Seit dem 1. Januar fließt kein russisches Gas mehr durch die Ukraine in die EU. Russland hat stets auf eine Verlängerung des Vertrags gedrängt. Die Ukraine hat abgelehnt. 

Über TurkStream wird die Slowakei versorgt. Die Geschichte, Russland habe das Gas abgedreht, ist von der deutschen Propaganda schlicht frei erfunden. Als Randbemerkung sei hier erwähnt, dass die Ukraine am 11. Januar eine Gasverdichterstation von TurkStream auf russischem Gebiet mit Drohnen angegriffen hat. 

Russisches Gas fließt jetzt noch über die Türkei in die EU. Diese Absurdität muss man sich vor Augen führen. Es gibt bestehende, direkte Leitungen, die aus ideologischen Gründen nicht genutzt werden. Wer von den Wählern glaubt, einer der beiden Herren verfüge über wirtschaftspolitische Kompetenz, sollte sich die Abläufe, die zur westeuropäischen Gaskrise führten, noch einmal in Erinnerung rufen. 

Deutschland muss sich aus der Abhängigkeit von russischen Energieträgern befreien, ist zwischen den Kanzlerkandidaten Konsens. Das ist ein weiteres Indiz für die mangelnde Lösungskompetenz beider Kandidaten. Wer die deutsche Industrie zwingt, die gleiche Ware, die andere günstiger bekommen können, zu einem höheren Preis einzukaufen, verschafft ihr einen Wettbewerbsnachteil. An diesem fundamentalen Zusammenhang kann weder Scholz noch Merz etwas ändern.

Dieser politisch erzwungene Wettbewerbsnachteil kann dann, wenn überhaupt, nur noch über das Absenken der Löhne ausgeglichen werden. Diesen Zusammenhang sollten sich die deutschen Wähler vor Augen führen. Es geht um ihren Wohlstand und ihr Gehalt. Das wird weder unter Scholz, noch unter Merz steigen. Es ist dagegen mit Reallohnverlusten und einem sinkenden Lebensstandard in Deutschland zu rechnen. 

Und wer an dieser Stelle mit "Bürokratieabbau" kommt, hat die deutsche Misere noch nicht verstanden. Mit Bürokratieabbau lässt sich nicht das Investitionspotential entfesseln, dass es bräuchte, um Deutschlands Rückstand aufzuholen. Bei Bürokratieabbau geht es um ein paar Millionen, es braucht aber zig Milliarden. 

Deutschland wird immer russisches Gas beziehen, es ist nur die Frage zu welchem Preis. Auf diese Tatsache habe ich bereits 2021 hingewiesen. Das Festhalten an einem "Ausstieg" aus russischen Energieträgern hat schwerwiegende wirtschaftliche Konsequenzen, auf die beide Kandidaten keine befriedigende Antwort haben. Was sie dazu sagen, fällt in die Kategorie "Geschwurbel". 

Unsinn ist auch die Annahme, man könnte eine stabile Sicherheitsarchitektur in Europa ohne oder sogar gegen Russland errichten. Beide Kandidaten glauben das. Sie wollen die Ukraine und Deutschland massiv aufrüsten und kriegstüchtig machen. Die Behauptung allerdings, Putin habe vor, in Länder der EU einzumarschieren, lässt sich nur zum Preis der Abschirmung des deutschen Informationsraums aufrechterhalten. Es ist Propaganda und Desinformation.

Die russische Politik hat das wiederholt nicht nur zurückgewiesen, sondern zudem angeboten, eine inklusive Sicherheitsarchitektur für alle Länder auf dem eurasischen Kontinent zu errichten. Russland weist in diesem Zusammenhang beständig auf das Konzept der kollektiven Sicherheit hin. Das bedeutet konkret, Sicherheit gibt es entweder für alle oder für niemanden. Scholz und Merz glauben jedoch, durch Aufrüstung und die Stärkung der NATO könnte es Sicherheit nur für Westeuropa geben. Ihr Konzept führt zu Sicherheit für niemanden.

Den Ukraine-Konflikt lösen sie damit nicht, sie befeuern damit im Gegenteil den Krieg und die Instabilität in Europa. Das Problem ist nur zu lösen, wenn sowohl auf die Sicherheitsinteressen der Ukraine als auch auf die Russlands Rücksicht genommen wird. Dazu ist weder Scholz noch Merz bereit.

Die Ursache des Konflikts liegt nicht in einem imperialistischen Hunger Russlands, sondern im imperialistischen Hunger Westeuropas, der sich in der Ausdehnung der NATO ausdrückt. Russland hat, wie die Geschichte lehrt, an seiner Westgrenze hochaggressive Nachbarn. Darauf wird Russland immer reagieren - nicht weil es will, sondern weil es muss, will es als souveräner Staat überleben.

Vor diesem Hintergrund wirken auch die Bekenntnisse, man wolle diesen Krieg so schnell wie möglich beenden, bestenfalls geheuchelt. Deutschland hat bisher nichts zu einer Lösung des Konflikts beigetragen, sondern im Gegenteil alles dafür getan, um den Krieg in die Länge zu ziehen. Den Konflikt würde es ohne deutsche Einmischung und deutsches Zutun ohnehin nicht geben. Deutschland hat dieses Mal nicht zuerst geschossen, aber eben alles dafür getan, dass geschossen wird. Es hintertreibt zudem mögliche Lösungsansätze.

Dabei ist die Lösung klar benannt. Die Ukraine gibt ihr Vorhaben auf eine NATO-Mitgliedschaft auf, verzichtet auf die Rückeroberung der Gebiete im Osten und auf die Krim, bekommt dafür im Gegenzug Sicherheitsgarantien von einer breiten Staatenallianz unter Einschluss Russlands. Dieser Vorschlag liegt auf dem Tisch, er ist der einzig gangbare Weg, wenn man dauerhaften Frieden anstrebt. Über ihn will man aber in Deutschland partout nicht reden. 

Das Duell zwischen Scholz und Merz hat vor allem eins deutlich gemacht: Es gibt bei dieser Bundestagswahl nichts zu wählen. Das Gefühl von Fatalismus, das sich beim Zuschauen einstellte, hat seinen guten Grund. Weder Merz noch Scholz verfügen über ein Rezept, das für die gravierenden Probleme Deutschlands eine Lösung bietet. Sie verfügen zudem nicht über einen Ansatz, der zu dauerhaftem Frieden in Europa führt.

Sie halten im Gegenteil an dem fest, was zum Niedergang des Standorts Deutschland geführt hat, und werden eine Politik verfolgen, die den Lebensstandard in Deutschland weiter senkt. Die notwendigen Lehren aus den vergangenen drei Jahren Sanktionsregime und den Ereignissen seit 2014 sind weder Merz noch Scholz bereit zu ziehen. Bitte gehen Sie weiter, es gibt in Deutschland nichts zu wählen.

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