Von Alexej Danckwardt
Seit bald drei Jahren drehen EU und die deutsche Bundesregierung in immer neuen Anläufen an der Sanktionsschraube. Die EU hat im Dezember das bereits 15. Paket antirussischer Sanktionen verabschiedet, ein 16. ist Presseberichten zufolge in Vorbereitung.
Und auch national wurden weitergehende Beschränkungen in allen Lebensbereichen eingeführt und verschärft. So gibt es zum Beispiel seitens der EU kein grundsätzliches Verbot von Geldüberweisungen nach Russland – an die wenigen russischen Banken, die nicht auf der EU-Sanktionsliste geführt werden, sind sie gesetzlich erlaubt. Doch alle deutschen Banken – Ausnahmen unbekannt – haben im vorauseilenden Gehorsam entschieden, Überweisungen nach Russland nicht auszuführen, zuletzt im Herbst 2024 die Commerzbank, die am längsten dem russophoben Trend standhielt.
Antirussische Sanktionen gab es schon vor 2022. Tatsächlich wurden einige Handelsbeschränkungen aus der Zeit des Kalten Krieges nie aufgehoben. 2014 und 2015 kamen Sanktionen wegen des Krim-Beitritts zur Russischen Föderation dazu. Doch nach Februar 2022 verloren deutsche und europäische Politiker jedes Augenmaß sowie jeden Anstand und überschütteten uns mit Verboten und Beschränkungen, die den Atem stocken lassen. Russland ist inzwischen mit über 14.000 Einzelsanktionen weltweit Rekordträger: Nie in der Weltgeschichte wurde ein anderes Land mehr und intensiver in den Rechten seiner Bürger beschränkt.
Dabei haben all diese Maßnahmen keine spürbaren Auswirkungen auf Politik und Kriegsführung Moskaus. Sie treffen vor allem normale Menschen in ihrer Lebensführung, und zwar bei weitem nicht nur Russen. Es sind Deutsche und Europäer, die durch gestiegene Energie- und Lebensmittelpreise die Zeche für den ausgelebten nazistischen Russenhass ihrer Eliten zahlen. Besonders hart getroffen werden Russlanddeutsche und Deutschrussen, denen Selbstverständlichkeiten wie Direktflüge und Zugverbindungen nach Russland genommen wurden oder die schon erwähnte Möglichkeit von Banküberweisungen.
Wohlgemerkt, auch Russlanddeutsche und Deutschrussen sind deutsche Staatsbürger, von denen Millionen mit ihren Steuergeldern auch noch jene Politiker finanzieren müssen, die dem Sanktionswahnsinn verfallen sind. Dabei wäre zumindest eine Revision des Sanktionswuchers auch unabhängig von der Einstellung zum Ukraine-Krieg längst überfällig: Zumindest diejenigen Beschränkungen, die auch theoretisch keinerlei Auswirkungen auf die Politik des Kreml haben können, die somit nur eine nazistisch motivierte Widerwärtigkeit sind und einfachen Menschen sinnlos das Leben vermiesen, gehören auf den Prüfstand.
Gemessen daran, wie tief und intensiv der Sanktionswahnsinn in Rechte und Lebensgestaltung von Millionen Deutschen eingreift, spielt das Thema im laufenden Bundestagswahlkampf eine viel zu geringe Rolle. Im Grunde kommt es darin überhaupt nicht vor.
Die zwei bis drei Millionen Russlanddeutschen und Deutschrussen, die von Sanktionen am stärksten betroffen sind, stellen offenbar keine kritische Masse dar und werden von Berufspolitikern traditionell ignoriert. Und die große Masse ist sich trotz Inflation und Verarmung offenbar nicht bewusst, dass ihr Leiden Folge des Sanktionswahns ist.
Schaut man sich die Parteiprogramme zur kommenden Bundestagswahl an, so gibt es nur eine Überraschung, nämlich eine Enttäuschung. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) möchte zwar wieder Gas aus Russland beziehen, hat aber einfache Russen mit der ihm aktuell größtmöglichen Brutalität sanktioniert: Die Internetseite der angeblich "prorussischen" Partei ist aus Russland nicht abrufbar, russische IP-Adressen sind ausgesperrt. Auch dies ist eine russophobe Sanktion, die ich persönlich nehme, das VPN schalte ich aus Prinzip nicht ein. Von mir gibt es allein schon deshalb keine Stimme für das BSW.
Da sind sogar die kriegstreibenden Grünen weniger abweisend: Sie lassen Russen wenigstens (noch) die Möglichkeit, auf ihre Internetseite zu gelangen. Ansonsten hier aber keine Überraschung: Die einst in ihrem Selbstverständnis pazifistische Partei ist fest auf Kriegskurs. Militärische Unterstützung für die Ukraine wollen die Grünen fortsetzen, Waffenlieferungen ausweiten. Selbst von einer Überprüfung der antirussischen Sanktionen auf ihre Effektivität ist keine Rede.
Die Unionsparteien CDU und CSU wollen die Sanktionen gegen Russland sogar noch erweitern, ausdrücklich. Wörtlich heißt es in ihrem gemeinsamen Wahlprogramm dazu:
"Die Sanktionen gegen Russland erweitern wir zielgerichtet und engmaschig. Der hohe wirtschaftliche Preis dieses Angriffskrieges soll Putin zu einem Umdenken und dann zu einem Ende der Feindseligkeiten führen."
Das unterfällt nahtlos der Definition von Wahnsinn, die Albert Einstein zugeschrieben wird:
"Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten."
Wie schon erwähnt, haben die bisherigen 14.000 Sanktionen nichts im Sinne des Erfinders bewirkt. Einen "hohen wirtschaftlichen Preis" zahlen vor allem die deutsche Industrie und die Verbraucher. Und im Falle der Unionsparteien ist das Beharren auf Sanktionen sogar doppelter Wahnsinn: Drei Jahrzehnte lang wählten Spätaussiedler CDU und CSU. Nicht, weil sie deren Interessen vertraten (das taten sie nie und es gab auch kaum Aufstiegschancen für Russlanddeutsche in diesen Parteien), sondern aus Dankbarkeit Helmut Kohl gegenüber, der ihnen die Umsiedlung ermöglicht haben soll.
Wenn ein Spätaussiedler einer der Unionsparteien noch seine Stimme gibt, dann ist er nicht minder wahnsinnig. Beim nächsten unverzichtbaren Flug nach Russland dann bitte nicht mehr beschweren, dass er dreimal so viel kostet wie früher und mit Umstieg in Istanbul über 20 Stunden dauert! Auch nicht darüber, dass man die Einnahmen aus der Wohnungsvermietung in Moskau nicht auf sein deutsches Konto überwiesen bekommt.
Was die Erreichbarkeit der Internetseiten aus Russland angeht, so ergibt sich ein geteiltes Bild: Die CSU lässt Russen ihr Programm lesen, während die CDU wie schon das BSW zur Diskriminierung greift.
Gesperrt für Russen ist auch der Internetauftritt der SPD, allerdings ist das Wahlprogramm auf einer extra eingerichteten Wahlkampfseite abrufbar. Auch sonst eiert die Scholz-Partei wie gewohnt herum: Die Ukraine möchte die SPD "so lange wie nötig diplomatisch, militärisch, finanziell und humanitär" unterstützen. Marschflugkörper des Typs Taurus soll sie allerdings nicht erhalten. Sicherheit in Europa wollen die Sozialdemokraten "vor Russland" organisieren (als habe Russland den über Jahrhunderte bewährten Status quo in Europa durch räuberische Expansion über die Curzon-Linie umgestoßen) und den "Druck auf Putin" erhöhen. Auch wenn Sanktionen in dem "Regierungsprogramm" genannten Papier nicht ausdrücklich erwähnt werden, wird es mit der SPD wohl eher mehr als weniger.
Die Internetseite der FDP ist aus Russland erreichbar, das dürfte aber auch das Einzige sein, was an den "Liberalen" noch liberal ist. Nicht vergessen werden darf, dass es ein Verkehrsminister der FDP war, der die beispiellose Verkehrsblockade organisiert hat, die es nicht einmal in den heißesten Zeiten des Kalten Krieges je gab. Überhaupt sind Sanktionen eine Einmischung des Staates in die Wirtschaft und die Lebensgestaltung von Menschen. Waren die Liberalen nicht ursprünglich einmal gegen so etwas?
In ihrem Wahlprogramm dreht die FDP an der Eskalationsschraube: Die Verteidigung der Ukraine dürfe aus Sicht der FDP "nicht am Geld und an Waffenlieferungen scheitern". Sie fordert "die unverzügliche Lieferung des Marschflugkörpers Taurus" und unterstützt "perspektivisch" einen Ukraine-Beitritt zu EU und NATO.
Der einzige Lichtblick in der Frage des Sanktionselends: Die AfD möchte Sanktionen gegen Russland aufheben. Hoffentlich sind damit auch alle Beschränkungen gemeint, die einfachen Menschen das Leben erschweren: Verkehrsblockaden, Geldüberweisungen, Internetsperren, Medienverbote, TV-Abschaltungen. Klar formuliert ist dies nicht, wohl aber so zu verstehen:
"Die AfD tritt für die Aufhebung der EU-Sanktionen und den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zu Russland ein. Die Fertigstellung und Inbetriebnahme der Gasleitung Nord Stream 2 halten wir für unverzichtbar."
Die Ukraine soll nach ihrem Willen ein neutraler Staat außerhalb von NATO und EU werden, Russland dagegen ein Teilhaber der europäischen Sicherheit:
"Eine Entspannung im Verhältnis zu Russland ist Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden in Europa. Es liegt im deutschen und europäischen Interesse, Russland in eine sicherheitspolitische Gesamtstruktur einzubinden."
Anders als das BSW diskriminiert die AfD Menschen aus Russland auch beim Zugriff auf ihre Internetseite nicht. Dieser Punkt geht klar an die "Rechten".
Was kann ein sanktionsgeplagter Deutscher also wählen, ob Deutschrusse, Russlanddeutscher oder "Biodeutscher", der einfach nur wieder vernünftige Preise haben und/oder unkompliziert Moskau besuchen will? Bislang sind es nur zwei Parteien, die an den Sanktionen rütteln: die AfD und das BSW. Letzteres legt sich aber damit ein Ei in den Korb, dass es überdeutlich seine Missachtung für Internetnutzer aus Russland zeigt. Für mich ist das ein Ausschlusskriterium, für andere vielleicht nicht.
Alle anderen Parteien wollen dagegen ein "Weiter so" oder sogar noch eine Ausweitung der Sanktionen, wie CDU und CSU.
Mehr zum Thema ‒ Wählergunst schwindet: Die Selbstentleibung des BSW