Von Timofei Bordatschow
Trumps geäußerte Wünsche, Kanada den USA einzuverleiben, Grönland zu kaufen oder den berühmten Panamakanal von Panama zurückzufordern, sind das Aufregendste, was er seit seiner Wiederwahl zum US-Präsidenten in der Weltpolitik getan hat. Diese Äußerungen waren bereits Gegenstand konternder Stellungnahmen der jeweiligen Regierungen, zahlreicher Internet-Witze und sogar nachdenklicher Kommentare.
Die meisten Beobachter halten solches "Anbandeln" für Versuche, die Gesprächspartner vor dem Beginn ernsthafter Verhandlungen emotional zu destabilisieren. Diese Hypothese wird auch durch Anschuldigungen gegen die Europäische Union gestützt, die laut Trump nicht aktiv genug US-amerikanische Energieträger kauft. Natürlich haben all diese Äußerungen einen unterhaltsamen Aspekt für die Öffentlichkeit: Wir alle brauchen Nachrichten, die uns zum Schmunzeln bringen und nicht in Erwartung der nächsten Kampfrunde zwischen den Großmächten erstarren lassen. Hierfür gebührt Trump besonderer Dank.
Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass Trumps Ideen über Gebietszuwächse der USA einfach nur seine Fähigkeit demonstrieren, eine komplexe Idee in klarer Form auszudrücken: Staatliche Souveränität bedeutet mehr als ein formaler Status, wie jeder zu glauben gewohnt ist. Und das Recht auf Unabhängigkeit erfordert mehr als die in der internationalen Politik üblichen Normen und Wahrnehmungsmuster. Dies gilt vor allem in der heutigen Zeit, in der fast alles außer der eigenen Militärmacht der Staaten nur noch ein etabliertes Stereotyp sein kann.
Gegenwärtig ist es fast unmöglich, sich Kanada, Grönland oder Mexiko als Teil der Vereinigten Staaten vorzustellen. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass wir dies in nicht allzu ferner Zukunft ernsthaft in Betracht ziehen müssen: Warum behalten Staaten, die ihre Souveränität nicht aus eigener Kraft sichern können, diese bei? Und es gibt inzwischen immer mehr Gründe für solche Überlegungen. Übrigens sind es nicht nur die USA, die dieses Spiel spielen können.
In einer Zeit, in der alle Regeln und Vorschriften auf dem Müll landen, wird die Aufmerksamkeit unweigerlich auf das gelenkt, was die einzige solide Grundlage der Staaten darstellt: ihr Territorium. In zwischenstaatlichen Beziehungen gibt es nichts Konkreteres als die Hoheit darüber. Dies umso mehr, als die Unverletzlichkeit von Grenzen im Grunde genommen eine sehr junge Erfindung der Weltpolitik ist. Aus den Geschichtsbüchern wissen wir, dass die Staaten seit Jahrhunderten untereinander Kriege um Territorien führten. Das ist logisch, denn Territorium und die darauf lebenden Menschen sind die wichtigste Ressource. Diese Ressource wird für Kriege, wirtschaftliche Entwicklung, die Bewältigung demografischer Probleme und vieles mehr benötigt. Und in der Tat endeten alle bewaffneten Konflikte bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts durch die Veränderung von Landesgrenzen.
Erst im 20. Jahrhundert festigte sich die Idee, dass jede Nation das Recht auf eigene Staatlichkeit hat. Die Urheber dieser theoretischen Erfindung waren die russischen Bolschewiki und der von 1913 bis 1921 amtierende US-Präsident Woodrow Wilson.
Ihre Absichten waren verständlich: Beide Seiten kämpften gegen die großen europäischen Reiche und strebten deren Zerstörung an, im Falle der Bolschewiki das russische Zarenreich eingeschlossen.
Für US-Amerikaner stellte die Idee des bedingungslosen Rechts der Nationen auf Eigenstaatlichkeit ein Instrument zur Ausweitung ihrer eigenen Macht dar. Die Entstehung einer unglaublichen Zahl kleiner und schwacher Länder auf den Trümmern der europäischen Imperien schuf einen mächtigen Hebel für die US-Außenpolitik: Es bestand die Möglichkeit, die jeweiligen Eliten zu kaufen, ohne die Verantwortung für das Schicksal der Völker zu übernehmen.
Um ihren Machteinfluss zu sichern, propagierten die USA und Europa die Idee, dass in der Weltpolitik "Spielregeln" das Wichtigste seien und nicht das Territorium. Dabei war impliziert, dass diese Spielregeln von ihnen selbst diktiert werden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg landeten die europäischen Kolonialmächte – Großbritannien, Frankreich, Deutschland, die Niederlande, Belgien und Spanien – auf dem Müllhaufen der Geschichte. Ihre ehemaligen Kolonien erlangten zwar die Unabhängigkeit, aber die meisten von ihnen konnten diese Unabhängigkeit nicht aus eigener Kraft sichern und waren auf die Unterstützung von Großmächten – der UdSSR oder der USA – angewiesen. Nur die größten – China und Indien – waren in der Lage, ihre Zukunft selbst zu bestimmen. Allerdings erhielten auch sie enorme Hilfe in Form von Direktinvestitionen – zunächst aus der UdSSR, später aus dem Westen. In der absoluten Mehrheit der anderen Fälle wurde das Schicksal der formal unabhängigen Staaten nicht von ihnen selbst bestimmt.
Und erst jetzt macht der Prozess der Entstehung einer Weltmehrheit die Hälfte der Welt mehr oder weniger souverän in ihren Entscheidungen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Amerikaner die Bedeutung der UNO und anderer internationaler Organisationen immer mehr schwächen – und dadurch die Kontrolle über die Stimmen ihrer Mitglieder verlieren. Noch sind diese Kontrollmöglichkeiten nicht völlig wirkungslos geworden: Wir können das anhand einiger Abstimmungen in der UN-Generalversammlung beobachten. Aber sie nehmen allmählich ab. Der Hauptgrund dafür ist die nachlassende Fähigkeit des Westens, schwächere Staaten zu beherrschen, ohne die Verantwortung für ihr Schicksal zu übernehmen.
Solange die USA und Europa über reichlich Ressourcen verfügten, profitierten sie von der Präsenz einer großen Zahl von Ländern in der Weltpolitik, deren materielles Überleben vollständig von ausländischer Hilfe abhing – seien es Freihandelsabkommen, gemeinsame Wirtschaftszonen oder Unterstützungsprogramme von IWF und Weltbank.
Schrittweise wurde dieses Prinzip im Rahmen der neoliberalen Weltwirtschaft auch auf die äußerlich wohlhabenden Länder ausgedehnt. Ein Beispiel dafür ist Kanada, dessen Haushalt vollständig von den Sonderwirtschaftsbeziehungen mit den USA abhängig ist. Es stellt sich die berechtigte Frage nach dem Sinn des ganzen "Zubehörs" in Form eigener staatlicher Institutionen, wenn sich das Land nicht aus eigener Kraft entwickeln kann.
Unter diesen Bedingungen entpuppt sich die allgemein anerkannte staatliche Souveränität als bloßes Werkzeug in den Händen der Eliten, mit dem sie mit denjenigen Handel betreiben, von denen sie ohnehin völlig abhängig sind. So steht es außer Frage, dass Kanada den USA untergeordnet ist. Aber seine Unabhängigkeit wurde im Rahmen der im letzten Jahrhundert geschaffenen Rituale als notwendig erachtet und von den lokalen Herrschaftskreisen als ein Mechanismus zur Erzielung von Renten angesehen. Trumps Argumente verdeutlichen die Absurdität dieser Situation: Die Vorteile, die die USA heute aus der kanadischen Unabhängigkeit ziehen, sind geringer als die Kosten für ihre Aufrechterhaltung.
Zugegebenermaßen bewegt sich die Welt noch nicht in eine Richtung, in der die Spielregeln durch internationale Organisationen festgelegt werden, die für alle fair sind. Aus diesem Grund ist der Wert der Mitspracherechte formal souveräner Länder jedes Jahr geringer als die realen Ressourcen in Form von Territorium und Bevölkerung. Die Zeit, in der globale Regeln und Normen auf der Grundlage der freiwilligen Zustimmung aller Staaten geschaffen werden, ist noch weit von uns entfernt. Möglicherweise müssen dafür sogar völlig neue internationale Organisationen geschaffen werden – schließlich wurde selbst die UNO von den westlichen Ländern zum Instrument der relativ friedlichen Durchsetzung ihrer räuberischen Interessen ausgebaut.
Der Aufbau einer neuen, gerechteren Weltordnung wird viele Jahrzehnte und enorme Anstrengungen erfordern. Nur die Staaten, die gleichermaßen selbständig und verantwortlich für ihr eigenes Verhalten sind, werden in der Lage sein, diese Weltordnung zu schaffen. Daher werden zwangsläufig die Anforderungen an die Regierungen steigen, inwieweit sie tatsächlich in der Lage sind, materielle Beweise für das Herrschaftsrecht über das jeweilige Land und seine Bevölkerung zu schaffen.
Die Frage der echten Souveränität wird eine der wichtigsten Fragen in der internationalen Politik der Zukunft sein. Als bloßes Attribut, hinter dem sich nur der Wunsch verbirgt, die eigene Loyalität für mehr Geld zu verkaufen, wird sie bald völlig irrelevant sein. Paradoxerweise wirft der künftige US-Präsident diese Frage bereits jetzt höchst plakativ in Bezug auf einen der engsten Verbündeten seines Landes auf.
Denn das formale Recht auf Unabhängigkeit hat auch eine materielle Dimension.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 26. Dezember 2024 zuerst auf der Webseite der Zeitung Wsgljad erschienen.
Timofei Bordatschow ist Programmdirektor des Waldai-Clubs. Mit dem kürzlich verabschiedeten 15. Sanktionspaket wurde er auf die EU-Sanktionslisten gesetzt.
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