Staatsversagen: Magdeburg und der mangelnde Schutz der Bürger

Die öffentlich geführte Diskussion nach dem Anschlag in Magdeburg stellt die politische Schuldfrage und beschwört den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Am Problem geht sie vorbei. Die Frage muss lauten: Warum passiert auch dann nichts, wenn Personen wegen Auffälligkeit aktenkundig werden?

Von Gert Ewen Ungar

Terror ist, mittels punktueller Gewalt eine Schockwirkung zu erzeugen, die zu Angst und Unsicherheit führt. Dem Täter von Magdeburg ist das gelungen. Die Tat allerdings auf einen terroristischen Akt zu begrenzen, wäre falsch. 

Aus der Sicht des Täters ist der Einsatz von Terror das letzte Mittel. Oft nimmt er den eigenen Tod billigend in Kauf, um seinem Anliegen durch die Brutalität der Tat Aufmerksamkeit zu verschaffen. 

Was das konkrete Anliegen des Täters von Magdeburg war, ist weiterhin nicht bekannt. Er persönlich kreiste, nach allem, was man bisher weiß, um die Themen Zuwanderung, Islamisierung, westlicher Liberalismus und konservative Werte. Das Zerklüftete seines Profils, wie es sich in der Berichterstattung zeigt, deutet auf eine psychische Erkrankung hin.

Taleb Al Abdulmohsen, der mutmaßliche Attentäter des Anschlags von Magdeburg, rechnete offenbar nicht damit, die Tat zu überleben. Er hinterließ ein Testament in dem Wagen, mit dem er die Tat begangen hatte. Taleb Al Abdulmohsen war psychisch auffällig, aktenkundig und mehrfach wegen Androhung von Gewalt verurteilt worden. Er hat in den sozialen Netzwerken und selbst durch seine Berufswahl auf sich aufmerksam gemacht. Passiert ist nichts. Viel deutet auf behördliches Versagen. 

Verwundern würde es mich nicht. Ich habe selbst viele Jahre im Bereich der gemeindenahen psychiatrischen Versorgung gearbeitet. Ein Fall ist mir in besonderer Erinnerung. Es bestand Konsens darüber, dass der Betreffende gefährlich ist ‒ eine aufgrund seiner psychischen Erkrankung tickende Zeitbombe, bei der unklar ist, wann sie hochgeht. Klar ist nur, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit hochgehen wird. Alle ‒ Betreuer, Sozialarbeiter, Ärzte, sozialpsychiatrischer Dienst und die zuständigen Psychiater ‒ plädierten für eine Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung. Selbst der Patient war dafür. 

Das Problem war, es gab keinen Platz. Also versuchte man mit einer Kombination aus gesetzlicher Betreuung, betreutem Wohnen, regelmäßigen Aufenthalten in der Psychiatrie des zuständigen Krankenhauses und der Anbindung an eine Tagesstätte, das Schlimmste zu verhindern und aufzuschieben. Den Beteiligten war klar, würde etwas passieren, würde man in der Betreuungsstruktur ein Bauernopfer ausfindig machen, das öffentlich gerichtet wird. Am Problem selbst würde sich nichts ändern. Am Umfeld hat sich seither nichts geändert. Im Gegenteil. Es muss nicht nur gespart werden, die Ukraine braucht zudem die deutsche Unterstützung. Irgendwo muss das Geld herkommen. 

Geschlossene Einrichtungen sind teuer. Hinzu kommt eine angesichts der Gefährlichkeit mancher psychischer Profile recht weltfremde und romantisierende politische Diskussion über den Wert von Freiheit an sich. So gibt es ausgerechnet in Berlin, der Stadt des Wahnsinns, keine Einrichtung, in der psychisch Kranke, die eine Gefahr für die Gemeinschaft darstellen, dauerhaft geschlossen untergebracht werden können. 

Ja, es gab im Fall von Magdeburg behördliches Versagen. Allerdings nicht in dem Sinn, dass einzelne Angestellte und Beamte versagt haben. Das Versagen ist strukturell. Deutschland leistet sich ein Hilfesystem, das die Gesellschaft nicht ausreichend schützt. Taleb Al Abdulmohsen hat jedenfalls mit aller Kraft auf sich aufmerksam gemacht, wurde aber nicht gehört. 

Nicht nur der mutmaßliche Täter von Magdeburg war aufgrund seiner Auffälligkeit aktenkundig geworden. Das galt auch für den Täter von Hanau. Tobias Rathjen, der Täter des Anschlags von Hanau im Jahr 2020, hat ein Manifest hinterlassen, das auf eine schwere psychische Störung hindeutet. Unmittelbar nach der Tat verschwand der Text aus dem Internet. Eine Diskussion darüber wurde so unterbunden. In der Folge wurde in Deutschland verzerrt über den Anschlag von Hanau gesprochen. Relevante Informationen werden unterdrückt. Eingeordnet wird der Anschlag als rechtsextrem und durch die AfD motiviert. Ehrlich ist an der Diskussion nichts. Sie bringt daher auch keine Lösungen.

Dies wiederholt sich jetzt beim Anschlag von Magdeburg. Auch dieser Anschlag wird politisch instrumentalisiert. Die Frage nach der Verantwortung für das Ereignis wird auf eine abstrakte Ebene gehoben, auf der sie nicht gelöst werden kann. Weil sich der mutmaßliche Täter in den sozialen Netzwerken als AfD-nah positioniert hat, sehen Politiker wie der Europa-Abgeordnete des BSW, Fabio De Masi, eine Mitschuld bei der AfD. Das Paradigma von Hanau wiederholt sich. 

Die AfD wiederum macht eine falsche Zuwanderungspolitik verantwortlich. Der mutmaßliche Täter stammt aus Saudi-Arabien. Worüber nicht gesprochen wird, ist, welche Infrastruktur bereitstehen muss, um die Gefährlichkeit von psychisch auffälligen Personen nicht nur zu erkennen, sondern die von ihnen ausgehende Gefahr auch wirksam eindämmen zu können. Diese Frage wird man nicht lösen können, wenn man meint, die Antwort müsse sich in ein Links-Rechts-Schema pressen lassen. Man kann das Problem auch nicht lösen, wenn man den Anschlag von Magdeburg für Wahlkampfzwecke missbraucht. Das aber machen derzeit ausnahmslos alle Parteien.

Für die Menschen in Deutschland heißt das, die Gefahr bleibt hoch, denn die Politik weigert sich, das eigentliche Problem überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Zu erwarten sind lediglich populistische Maßnahmen, die auf ein breites Medienecho zielen. An Lösungen besteht kein Interesse, zumal die Politik in Deutschland gelernt hat, Ereignisse wie den Anschlag in Magdeburg für die eigenen Zwecke effektiv auszuschlachten. 

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