Deutsche Schüler im Einsatz für Selenskijs Sieg?

Im hessischen Bensheim hat man sich eine originelle Adventsbeschäftigung für die Gymnasiasten ausgedacht: Kerzenwachs sammeln für Feldkerzen in den ukrainischen Schützengräben.

Von Astrid Sigena

Weihnachtszeit ist Spendenzeit, wer wüsste das nicht? Und auch Kinder und Jugendliche sollen dazu angelernt werden, christliche Nächstenliebe zu üben. Wohltätigkeit für diejenigen, denen es schlechter geht. Deshalb ist es an deutschen Schulen seit Jahren üblich, dass Schüler und Eltern Nahrungsmittel für die Tafel sammeln oder kleine Weihnachtspakete für arme Kinder und Familien packen. Besonders häufig gehen diese Spendenpakete mit Süßigkeiten, Kinderkleidern und Spielsachen nach Osteuropa, gerade auch in die Ukraine. Denn trotz aller Milliarden, die seit dem 24. Februar 2022 dorthin fließen, gibt es in diesem Land bettelarme Rentner und Familien, die auf die Mildtätigkeit westlicher Privatleute angewiesen sind. Sie besitzen eben für das Selenskij-Regime nicht vorrangige Priorität. Also ist es prinzipiell eine gute Sache, wenn deutsche Schulen oder auch Kirchengemeinden die Armen in der Ukraine beschenken, auch wenn die Großzügigkeit etwas einseitig ist. Die Verfasserin dieser Zeilen jedenfalls kann sich nicht erinnern, dass eine Schule in der BRD jemals für den seit 2014 notleidenden Donbass gespendet hätte.

Das Goethe-Gymnasium im hessischen Bensheim (Schulträger ist der Landkreis Bergstraße) ist dieses Jahr vom üblichen Päckchen-Schema des deutschen Schulsystems abgewichen und hat sich etwas Neues ausgedacht: Die Schüler und Schülerinnen sollen doch bitte altes Kerzenwachs bei Familienangehörigen, Freunden, Geschäften, Kirchen oder Restaurants sammeln und in die Schule bringen, damit diese das gesammelte Wachs in die Ukraine senden kann. Dort gebe es Kooperativen, die das Wachs weiterverarbeiten. Die dort beschäftigten Frauen schmelzen das Wachs und füllen es in mit Karton versehene alte Konservendosen. Die so entstandenen Büchsenlichter bzw. Dosenkerzen oder Feldkerzen könnten dann für mehrere Stunden als Licht- oder Heizquelle dienen. Auffällig ist: Als Adressaten dieser Wachs-Zuwendungen werden nicht nur ukrainische Zivilisten genannt, die aufgrund russischer Raketenschläge auf ukrainische Kraftwerke besonders von Stromausfällen betroffen sind, sondern auch Soldaten in Schützengräben. Das Goethe-Gymnasium hat also nichts dagegen, dass das von den Schülern gesammelte Wachs an der Front eingesetzt wird!

Garniert wird dieser Aufruf durch ein kitschiges Bildchen auf der Website der Schule: Eine Frau (barfüßig, im Kleid, mit Kopftuch) und ein Soldat sitzen einander gegenüber in der Dunkelheit. Über ihnen schweben zwei Ukraine-Flaggen, die beiden sind also als Vertreter des ukrainischen Militärs und der ukrainischen Zivilgesellschaft dargestellt. Erhellt wird diese Finsternis nur von einer riesigen weißen Kerze in der Mitte des Bildes und von den Kerzen, die Soldat und Zivilistin in den Händen halten. Das Gefäß mit Kerze, das die ukrainische Zivilistin auf ihrem Schoß hält, soll wohl eine Dosenkerze darstellen.

Auffällig ist: Das von der Schülerschaft des Goethe-Gymnasiums gesammelte Kerzenwachs soll von Paul Guire in die Ukraine gebracht werden. Wie der frühere Bänker 2023 in einem Interview mit der Hessenschau kundtat, unterstützt er mit seinen Lieferungen bewusst die ukrainischen Soldaten an der Front. Fünfzig Prozent seiner Spenden gingen an Zivilisten, die andere Hälfte ans Militär. Er folge damit dem Wunsch der Ukrainer selbst, so der gebürtige Brite: Der Leiter eines ukrainischen Waisenhauses habe ihn dezidiert dazu aufgefordert, denn die Soldaten der Ukraine seien die Einzigen, die diesen Krieg beenden könnten. Es ist also durchaus wahrscheinlich, dass auch ein Teil der Bensheimer Kerzenspenden an der Front landet.

Besonders bedenklich: Die Sammlung wird als Klassenwettbewerb organisiert. Das heißt, Schüler, deren Klassenleiter sich für eine Teilnahme ihrer Klasse entschieden haben, geraten unter Druck. Denn natürlich hängt es vom Einsatz aller ab, dass die Klasse besonders viel Kerzenwachs erzielt und somit den Wettbewerb gewinnt (als Gewinn locken übrigens Kioskgutscheine) – also auch vom Einsatz eines jeden Einzelnen. Wer da nicht mitmachen will, zieht sich leicht den Vorwurf zu, unkollegial zu handeln, ein Kameradenschwein zu sein. Mal abgesehen von der zu erwartenden moralischen Erpressung: Sind dir die hungernden und frierenden Menschen in der Ukraine etwa egal …?! Ein Zwiespalt für Eltern und Schüler, die Wladimir Selenskijs Krieg nicht unterstützen, andererseits aber auch nicht in die Mobbingfalle geraten möchten. Wie müssen sich Eltern und Schüler fühlen, die sich nicht an diesem Krieg beteiligen möchten? Flüchtlinge aus der Ukraine, die das Selenskij-Regime nicht unterstützen möchten, aber aus Angst schweigen? Russlanddeutsche, deren Verwandte auf der anderen, der russischen Seite kämpfen? Sie können nicht einmal privat ihren kämpfenden Verwandten etwas zukommen lassen, das wäre im BRD-Sprech schon "Unterstützung eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges".

Bisher sind es nur Kerzen für die Front, die durch den Einsatz deutscher Schüler entstehen. Man könnte sagen, das sei harmlos, damit wärmten sich die armen Kerle an der Front bloß auf. Kein russischer Soldat komme dadurch zu Schaden. Und dennoch unterstützt man mit diesen Kerzen den Krieg. Noch sind es nur Kerzen. Aber was, wenn es zum nächsten Advent Tarnnetze sind? Und zum übernächsten Geldspenden für den Erwerb von Javelins? Die Regel lautet: je schlechter die militärische Lage für die Ukraine, desto radikaler die westlichen Ukraine-Unterstützer. Deshalb muss es heißen: Principiis obsta! Wehret den Anfängen!

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