Von Gleb Kusnezow
Abu Mohammed al-Dschoulani, alias Ahmed asch-Schar, ist das neue Gesicht der "syrischen Aufständischen". Er ist ein potenzieller Favorit des Westens, trotz der von den Amerikanern auf ihn ausgesetzten zehn Millionen US-Dollar "Kopfgeld". Sie bezeichnen ihn bereits als "progressiven Dschihadisten".
Doch wer ist der Mann? Er stammt aus einem intellektuellen Milieu. Sein Vater ist Ingenieur in der Ölförderung, Buch- und Lehrbuchautor. Abu Mohammed al-Dschoulani selbst studierte PR, brach das Studium jedoch ab, als der zweite Irakkrieg ausbrach. Er schloss sich einer der zahllosen "Tochterorganisationen" von Al-Qaida an, kämpfte mit den Amerikanern, wurde gefangen genommen, geriet in ein Foltergefängnis, wo er die späteren Anführer des IS (in der Russischen Föderation verboten) traf. Nach seiner Freilassung wurde er vom "Kalifen" der verbotenen ISIS, Al-Baghdadi, nach Syrien geschickt, um dort eine Repräsentanz des Kalifats zu errichten. Diese Aufgabe gelang ihm.
Nach der Niederlage des IS im globalen Maßstab etablierte er sich in Idlib im Norden Syriens. Aus mehreren dschihadistischen Gruppen schuf er eine neue Gruppierung – Hai'at Tahrir asch-Scham (HTS). Er distanzierte sich von den Überbleibseln von Al-Qaida und des IS, deren Anhänger in den von HTS kontrollierten Gebieten verschiedenen Repressionen ausgesetzt waren.
Was war der Grund für diese Distanzierung? Die Orientierung auf Syrien als zwingende Aufgabe. Al-Qaida und der IS dachten und handelten global und stellten sich die Aufgabe, "die islamische Welt im Dschihad zu vereinen". HTS hingegen proklamierte eine Konzentration allein auf Syrien. Der Feind war für HTS nicht irgendein abstraktes Weltsystem, sondern Präsident Assad als konkrete Person (was die Möglichkeit einer breiten Partnerschaft mit den Türken und sogar den Israelis eröffnete).
Seine Methoden liegen in der Schaffung eines normalen, geregelten Staates mit all seinen Institutionen – Medizin, Bildung, soziale Dienste und Infrastruktur. Einigen Berichten zufolge sind diese Bereiche in Idlib unter seiner Kontrolle besser organisiert als in den Teilen Syriens, die noch bis vor Kurzem unter Assads Kontrolle standen.
Dasselbe gilt für die Repressionen gegen politische Gegner. Er bekämpfte die Reste von Al-Qaida und des IS, zeigte sich aber gegenüber allen anderen auf rhetorischer Ebene zurückhaltend. Als Reaktion auf Veröffentlichungen in westlichen Medien, wonach HTS-Anhänger einen weiteren Menschenrechtsverteidiger angegriffen hätten, erklärte er, dass "die Verantwortlichen bestraft worden sind" und es keine weiteren Fragen zu diesem Andersdenkenden gebe.
Tatsächlich ist ihm in Idlib gelungen, die Fassade eben jenes "neuen Syriens" zu errichten, das die Opposition seit zehn Jahren anstrebte. Nun gab er ein Interview gegenüber CNN und sprach über seinen Erfolg und sein weiteres Vorgehen.
Seinen eigenen "Dschihadismus" schildert er wie folgt: "Menschen verändern sich, und ich bin nicht mehr derselbe Mensch, der ich in meinen 20ern oder 30ern war." Um die Führung von etwas Großem zu übernehmen, dürfe man nicht "starr" sein, sondern müsse vielmehr flexibel vorgehen, und Werte dürften nicht gegenüber Erfahrungen und der "Realität" – den Umgebungsbedingungen – dominieren. All die "Kopfgelder" und Terrorvorwürfe seien erstens politische Verteufelung und bezögen sich zweitens auf den Irak von vor 15 Jahren. "Schaut, was wir jetzt tun."
Zu dem, was er tat und tut, sagt er: Der Schlüssel des Erfolgs liege in Institutionen und Disziplin, in "Regelmäßigkeit". Er versuche, alles und jedes zu vereinheitlichen – von der Ausrüstung und der Ausbildung der Kämpfer bis hin zur Energieversorgung und zum sozialen Bereich. "Die Revolution ist vom Chaos zur Ordnung übergegangen, sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich."
Zum Assad-Regime erklärt er: "Es hat seine besten Tage hinter sich und ist gestorben. … Was tot ist, kann nicht wieder lebendig werden." Mit anderen Worten: Nicht Assads Verbündete sind geschwächt, sondern der Verfall des Systems hatte ein solches Ausmaß erreicht, dass es unmöglich geworden war, es zu unterstützen.
Über die Angst vor der "islamischen Herrschaft" betont er, dass diejenigen, die sie fürchten, ihre "falsche" Umsetzung erlebt hätten, während er alles – verständlicherweise – richtig machen werde, indem er Institutionen im Einklang mit der Tradition und dem Geist der Region aufbaut. Generell erwähnt er Institutionen um ein Vielfaches häufiger, als er sich auf den Willen Gottes bezieht. Er verspricht, gleiche Bedingungen und den Schutz für alle religiösen und ethnischen Gruppen zu schaffen.
Alles in allem ist verständlich, warum die westlichen Medien ihn so sehr mögen. Als ob dieser Mann schon bei der Nobelpreisverleihung an Kamer Daron Acemoğlu als Ehrengast eingeladen werden könnte. Auf jeden Fall werden wir ihn wohl immer öfter auf der internationalen Agenda sehen müssen.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 8. Dezember 2024 zuerst in der Zeitung Wsgljad erschienen.
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