Von Alex Männer
Ungeachtet ihrer ambitionierten "Siegespläne" steuert die Ukraine im Krieg gegen Russland langsam, aber sicher auf eine Katastrophe zu. So ist ihr militärisches Verteidigungssystem im Donbass mittlerweile dermaßen geschwächt, dass die ukrainischen Streitkräfte vor dem Ansturm des Gegners bald völlig zusammenbrechen könnten.
Besonders die Niederlagen der vergangenen Monate wiegen schwer. Beispielsweise die Aufgabe der Stadt Ugledar, die bereits vor dem Beginn der russischen Militärintervention im Jahr 2022 zu einer "uneinnehmbaren Festung" ausgebaut wurde und dennoch nicht gehalten werden konnte.
Dass die Ukrainer im gesamten Jahresverlauf konsequent zurückgedrängt wurden, hat laut Militärexperten mehrere Ursachen. Genannt werden etwa das Missmanagement der ukrainischen Armeeführung, Defizite bei Waffen und Munition oder die schlechte Kampfmoral. Daneben führe ein Anstieg der Fälle von Desertion beziehungsweise unerlaubtem Verlassen der Truppe zu einer weiteren Verschlimmerung der ohnehin desaströsen Personalsituation, heißt es.
Offiziell sollen in der Ukraine in der ersten Jahreshälfte 2024 fast 30.000 neue Strafverfahren wegen Desertion eingeleitet worden sein, meldete im August die Deutsche Welle. Das ist deutlich mehr als in den Jahren zuvor. Im Jahr 2023 wurden noch 24.000 Verfahren registriert, 2022 waren es weniger als 10.000 Fälle.
Massenhafte Desertionen und Befehlsverweigerungen
Vor diesem Hintergrund kann die ukrainische Politik das Problem offenbar nicht länger ignorieren und schlägt nun Alarm. Laut dem Abgeordneten der Werchowna Rada Ruslan Gorbenko gab es seit Kriegsbeginn im Jahr 2022 mehr als 80.000 Strafverfahren in diesem Zusammenhang. Die Rada-Abgeordnete Anna Skorochod geht sogar von einer noch größeren Zahl der Deserteure aus. Ihren Angaben nach hätten sich bislang etwa 100.000 Soldaten eigenmächtig von der Truppe entfernt, Tendenz steigend.
Als Begründung führt Skorochod zum einen Fehler der ukrainischen Militärführung an. Viele Offiziere würden falsche taktische Entscheidungen treffen, was der Kampfmoral schade. Zum anderen seien viele Soldaten frustriert darüber, an vorderster Front eingesetzt zu sein, obwohl ihnen das militärische Wissen und die nötige Ausbildung fehlen. Zudem betrachten sie es als ungerecht, kämpfen zu müssen, während ihre Vorgesetzten sich hinter der Front aufhalten, so die Abgeordnete.
Auch der Vize-Kommandeur der ukrainischen Sondereinsatzkräfte, General Sergei Kriwonos, und der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs der Ukraine, Stanislaw Krawtschenko, verweisen auf das Problem der massenhaften Desertionen und der Verweigerung von Befehlen in den ukrainischen Streitkräften. Während Kriwonos kürzlich in einem Interview mitteilte, dass nur etwa zehn Prozent der heute eingezogenen Rekruten am Ende wirklich an der Front ankommen, führt Krawtschenko an, dass viele der kursierenden Zahlen deutlich übertrieben seien. Dennoch konstatiert auch er einen deutlichen Anstieg der Fälle in diesem Jahr.
Kiew mildert Strafen für Deserteure
Es ist schwer zu sagen, wie viele ukrainische Soldaten bislang wirklich desertiert sind, weil sich die Zahlen kaum verifizieren lassen. Wenn allerdings die Kiewer Politik beschließt, die Strafe für diejenigen abzuschwächen, die nach der Desertion den Dienst in der Armee wieder aufnehmen, muss das Problem bereits ein bedrohliches Ausmaß angenommen haben.
Darüber berichteten vor Kurzem auch westliche Medien, etwa die Berliner Zeitung. Sie schreibt: "Das Parlament in der Ukraine hatte Anfang [Oktober] einen Gesetzesentwurf angenommen, der die Strafen für Deserteure mildert, damit die Hemmschwelle für sie gesenkt wird, zur Armee zurückzukehren. Demnach sollen Deserteure, die ihre Militäreinheit unerlaubt verlassen haben, nicht mehr sofort bestraft werden. Stattdessen wird den Fahnenflüchtigen 72 Stunden Zeit gegeben, um zur Truppe zurückzukommen. Falls die Soldaten dem Folge leisten, werden sie mit keinerlei Sanktionen belegt; Gehälter und anderweitige Leistungen dürfen sie dann ebenfalls wieder in Anspruch nehmen."
Trotzdem scheint eine Lösung für das Personalproblem angesichts der schwindenden militärischen Kräfte der Ukraine in weite Ferne zu rücken: Die Lage verschlechtert sich mit jedem Tag und die Erschöpfung der Soldaten nimmt weiter zu. Außerdem ist den meisten von ihnen längst klar, dass sie den Russen zahlenmäßig sowie bei der Anzahl der Waffen unterlegen sind und sie deshalb im weiteren Kriegsverlauf keine Chance haben. Aus diesem Grund und wegen der hohen Sterberate werden sich künftig wohl noch mehr Ukrainer weigern, an Kampfhandlungen teilzunehmen, während Russland vermutlich auch weiterhin in der Lage sein wird, Hunderttausende neue Soldaten zu rekrutieren.
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