Von Dagmar Henn
Wie in derartigen Fällen so üblich, kommen die Puzzleteile zum Mord an Hassan Nasrallah erst allmählich zusammen. Das Bild, das sich insgesamt andeutet, ist ausgesprochen abscheulich, und wenn sich diese Vermutungen bestätigen, dürfte der Schaden, den dieses Vorgehen angerichtet hat, noch gar nicht abzusehen sein.
Fest steht, dass Nasrallah vor dem Anschlag einem Waffenstillstand zugestimmt hat. Dabei ist der genaue Ablauf der kritische Punkt. Aufgekommen ist dieses Detail in einem Interview, das der libanesische Außenminister Abdallah Habib CNN gegeben hat. Das Ganze erfolgte während der UN-Vollversammlung in New York.
US-Präsident Joe Biden, der französische Präsident Emmanuel Macron und weitere westliche Verbündete hätten diese Waffenruhe dort gefordert. Das ist es, was Abdallah Habib erzählte:
"Wir haben völlig zugestimmt. Der Libanon stimmte einer Waffenruhe zu, hat sich aber mit der Hisbollah beraten. Der Sprecher [des libanesischen Parlaments] Nabih Berri beriet sich mit der Hisbollah und wir informierten die Amerikaner und die Franzosen, was passiert war. Und sie sagten uns, dass Netanjahu der Erklärung auch zustimmte, die von den beiden Präsidenten verfasst wurde."
Amos Hochstein, der Berater des Weißen Hauses, sollte dann in den Libanon gehen, um die Waffenruhe auszuhandeln. "Sie sagten uns, Netanjahu hätte dem zugestimmt, also bekamen wir die Zustimmung von Hisbollah dazu, und Sie wissen, was seitdem passiert ist."
Am Donnerstag, also am Tag vor dem israelischen Mordanschlag, gab es eine gemeinsame Erklärung, die von den Vereinigten Staaten, Frankreich, Australien, Kanada, der EU, Deutschland, Italien, Japan, Saudi-Arabien, den Vereinigten Emiraten, Großbritannien und Katar unterzeichnet wurde, die zu einer 21-tägigen Waffenruhe aufforderte, "um der Diplomatie eine Chance auf Erfolg zu geben und weitere Eskalationen über die Grenze hinweg zu vermeiden."
Dabei hat eine Quelle gegenüber CNN bestätigt, dass die USA über die Zustimmung der Hisbollah informiert waren. Der Sprecher des State Department, Matthew Miller, erklärte jedoch, sie hätten davon nichts gewusst.
Donnerstag Nacht, so CNN weiter, habe dann Netanjahu erklärt, Israel werde weiter "mit aller Macht gegen die Hisbollah vorgehen", und israelische Vertreter sagten, das mit der israelischen Zustimmung sei ein Missverständnis gewesen. Ein US-Vertreter wiederum führte aus, die Regierung habe den Plan für die Waffenruhe dann nicht weiter verfolgt, nachdem man erfahren habe, dass Israel versuchen werde, Nasrallah zu töten.
Nun ist eine Waffenruhe nichts, das mit einem Telefonat oder einer simplen Frage ausgehandelt ist. Aber die Aushandlung der Bedingungen einer solchen Waffenruhe ist ein Anlass, der durchaus der Grund sein könnte, warum sich Nasrallah mit weiteren Führungspersonen von Hisbollah am Freitag vergangener Woche in dem Bunker traf. Zum einen, weil es für einen solchen Schritt eine breite Zustimmung braucht; es muss schließlich allen Teilen der Organisation vermittelt werden; zum anderen, weil ab dem Moment, an dem eine vorläufige Zustimmung der Gegenseite vorzuliegen scheint, eigentlich bereits keine derart extremen Handlungen mehr erfolgen dürften.
Die USA neigen zur Täuschung, insbesondere unter der Biden-Regierung. Das hat sich gerade erst wieder bestätigt, als der iranische Präsident Peseschkian erklärte, Iran habe auf die Ermordung von Ismail Haniyya in Teheran während seiner Amtseinführung nicht sofort reagiert, weil die USA zugesichert hatten, iranische Zurückhaltung werde helfen, einen Waffenstillstand in Gaza zu erreichen, den es dann bekanntlich nicht gab. Damals hatten die USA, wie üblich, auch einen Beschluss des UN-Sicherheitsrats per Veto verhindert, der diesen Terrorangriff verurteilte.
Der erwähnte Berater des Weißen Hauses, Amos Hochstein, der derzeit für den Libanon zuständig ist, ist ein Erzzionist, und ganz nebenbei häufig dort zu finden, wo es besonders übel zugeht. Er ist in Israel geboren, hat dort Militärdienst geleistet und arbeitete schon unter Hillary Clinton. Zwischenzeitlich war er im Aufsichtsrat des ukrainischen Naftogaz-Konzerns, und er war, dieses entzückende Detail erwähnt selbst Wikipedia, "der Sondergesandte für die Politik gegen Nord Stream 2". Also womöglich der Mann, der persönlich die Zerstörung deutscher Infrastruktur angewiesen und beaufsichtigt hat.
Das ist die Person, über die die Kommunikation zwischen der US-Regierung und der Hisbollah zur Frage dieser Waffenruhe gelaufen sein dürfte. Was, in Verbindung mit den Umständen des Mordes, folgendes Szenario nahelegt:
Selbst wenn die Abfolge so stimmen sollte, wie es die Quelle von CNN erzählt hat, die US-Regierung also auf Netanjahus Äußerungen hin die Bemühungen um die Waffenruhe bereits auf Eis gelegt hatte (was nicht notwendigerweise so stimmen muss), ist es durchaus denkbar, dass Hochstein, dessen Loyalitäten im Ernstfall weit eher bei Israel liegen als bei den USA, diese Information nicht an die Hisbollah weitergeleitet hat. Schließlich wäre ja genau ein derartiges Treffen, wie es zur Besprechung der Details dieser Waffenruhe erforderlich wäre, die ideale Gelegenheit für die mörderischen Pläne, die Netanjahu offenkundig hegte. Mehr noch – die Umstände einer solchen Beratung würden nicht nur eine verringerte Sicherheit bei der Kommunikation wahrscheinlich machen, sie würden es sogar geradezu erzwingen, dass die im Bunker versammelte Führungsmannschaft ihr Ergebnis nach außen kommunizieren muss. Was, selbst wenn diese Information nicht nebenbei den Ort verraten haben sollte, zumindest die Tatsache der Beratung verrät.
Es sind also zwei Varianten vorstellbar. Entweder, die Quelle in der US-Regierung lügt, und die Darstellung, die Biden-Regierung habe die Waffenruhe nicht weiter verfolgt, entspricht nicht den Tatsachen; oder die Information über diese geänderte Lage drang nicht bis zur Hisbollah vor, weil die Person, die dafür verantwortlich gewesen wäre, Amos Hochstein heißt.
Dieser Kontext würde erklären, warum so viele hochrangige Funktionäre der Hisbollah gleichzeitig an einem Ort versammelt waren. Er würde auch ohne Annahme eines Verrats von innen erklären, wie die Israelis von diesem Treffen erfahren konnten. Auch hier käme Hochstein unmittelbar in Frage, weil allein die Zusage, bis zu einer bestimmten Zeit eine Antwort zu liefern, die entscheidende Information enthalten hätte – in aller Unschuld gegeben, weil im Moment der Verhandlungen über eine Waffenruhe niemand einen derartigen Verrat erwartet.
Sollte sich dieser Ablauf so bestätigen, wären die Verhandlungen über eine Waffenruhe in einen Hinterhalt verwandelt worden, um einen Mord auszuführen. Einen Unterhändler zu töten, der eine weiße Fahne trägt, gilt als eines der schlimmsten Kriegsverbrechen. Zu Recht, denn es untergräbt die Möglichkeit, überhaupt Verhandlungen durchzuführen. Das Gegenüber in bereits begonnenen Verhandlungen nicht nur zu ermorden, sondern die Verhandlung selbst in eine tödliche Falle zu verwandeln, ist eine Handlung von abgrundtiefer Bösartigkeit.
Die Frage, die sich im Zusammenhang mit diesem Szenario stellt, ist, ob es zwischen den USA und Israel so abgesprochen war, oder ob Hochstein allein mit Netanjahu kooperiert hat. Jedenfalls deutet alles auf ein sehr falsches Spiel; und so, wie die Folgen des Pager-Anschlags noch nicht abzusehen sind, weil sie weit über den einzelnen Moment hinausreichen, sind auch die Folgen eines derartigen Verrats, sollte er sich bestätigen, nicht berechenbar. Denn wenn zuvor im Umgang mit den Vereinigten Staaten und mit Israel bereits mögliche Ergebnisse nur begrenzte Verlässlichkeit besaßen, hätte ein solches Vorgehen, sollte es sich bestätigen, zur Folge, dass Verhandlungen vollständig unmöglich sind.
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