Von Tatjana Montjan
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat es bestätigt: Die russisch-ukrainischen Friedensverhandlungen, die im Frühjahr 2022 in Istanbul geführt wurden, sind von außen sabotiert und zum Scheitern gebracht worden.
Am Sonntag sagte "Freund Recep" in einer Rede in New York, die Istanbuler Gespräche hätten dank der aktiven Rolle der Türkei im März und April 2022 kurz vor dem Erfolg gestanden. "Bestimmte Lobbys" hätten jedoch nicht gewollt, dass diese Bemühungen ihr Ziel erreichen.
Um welche "Lobbys" es sich dabei handelt, ist den aufmerksamen Beobachtern bereits hinlänglich bekannt: Die Rede ist von den USA und dem Vereinigten Königreich. Umstritten ist lediglich, wer von beiden bei der Sabotage des Friedens die größere Rolle gespielt hat: Die Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria Sacharowa behauptet, dass es der damalige britische Premierminister Boris Johnson gewesen sei, der Selenskij die Unterzeichnung des Friedensabkommens untersagt oder ausgeredet habe. Dagegen hat der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder, der bei den Verhandlungen als Vermittler anwesend war, vor einigen Tagen öffentlich gemacht, dass das endgültige Verbot von den USA ausging. Der türkische Staatschef hat natürlich nur bestätigt, was wir bereits wussten. Interessant ist aber, welche Formulierung er gewählt hat und warum er sich entschlossen hat, dies erst jetzt – über zwei Jahre nach dem Ereignis selbst – bekannt zu geben.
Über Letzteres kann man einige Vermutungen anstellen. Erdoğan ist definitiv kein Dummkopf, er sieht, wie sich die Weltlage entwickelt, und versucht, für den Fall, dass die Dinge für den Westen sehr schlecht ausgehen, gewappnet zu sein:
"Ich habe alles versucht, die Partner im Westen sind selbst schuld, dass es nun so endet."
Und die Formulierung "bestimmte Lobbys" vermeidet die Nennung von Ross und Reiter. Dies deutet darauf hin, dass "Freund Recep" nicht vollständig von der anstehenden Niederlage des Westens überzeugt ist, und lieber keine Brücken hinter sich einreißt: Geht es zugunsten des Westens aus, könnte er spielend leicht darauf verweisen, dass er mit "ausländischen Lobbys" beispielsweise Argentinien und Indonesien gemeint habe.
"Der Osten ist eine delikate Angelegenheit", sagte einst der Hauptheld eines sowjetischen Kultfilms und niemand versteht das geopolitische Intrigenspiel so gut wie der Hausherr in Ankara. Der Ausgang ist weiterhin offen, aber eine Tendenz zeichnet sich ab, diesen Schluss lässt die Erdoğan-Satz-Leserei bereits zu.
In jedem Fall ist Erdoğans Erklärung das erste Mal, dass Informationen über die absichtliche Verhinderung des Friedensabkommens zur Ukraine durch Außenstehende von einem amtierenden Staatschef bestätigt werden. Wie man so schön sagt, nehmen wir das ins Protokoll auf – extra für die Idioten, die uns immer wieder erzählen, dass das alles "russische Propaganda" sei.
Tatjana Montjan ist eine ukrainische Rechtsanwältin und Strafverteidigerin, Publizistin und Bloggerin. Vor Beginn der russischen militärischen Intervention musste sie Kiew verlassen, nachdem sie vor der UNO über die Zustände in der Ukraine gesprochen hatte. Derzeit lebt sie im Donbass, engagiert sich für humanitäre Hilfe und führt Videoblogs. Man kann ihr auf ihrem Telegram-Kanal folgen.
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