Von Gert Ewen Ungar
Nun also auch das EU-Parlament. In einer nicht bindenden Resolution fordern die EU-Parlamentarier mit großer Mehrheit die Aufhebung aller Nutzungsbeschränkungen für an die Ukraine gelieferte westliche Waffen. Zudem drängt das Parlament darauf, dass Deutschland Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefert.
Zuvor hatten bereits zahlreiche deutsche Politiker die Aufhebung aller Beschränkungen gefordert. Argumentiert wird, dass Russland bisher das Überschreiten angeblich zuvor aufgezeigter roter Linien immer hingenommen habe. Die Schlussfolgerung ist: Wenn man die Warnung Russlands ignoriert, sind keine Konsequenzen zu fürchten.
Dabei wurde dieses Mal von Russlands Präsidenten Putin tatsächlich eine ganz konkrete Warnung ausgesprochen. Falls der Ukraine erlaubt wird, Russland tief im eigenen Gebiet anzugreifen, sind aus russischer Sicht jene Länder in den Krieg eingetreten, aus denen diese Waffen stammen.
Der Grund ist logisch, denn der Angriff mit Marschflugkörpern erfordert zwingend die Kooperation mit den Ländern, aus denen die Waffen stammen. Sie sind treffsicher, weil sie über Satelliten gesteuert werden. Die Bereitstellung und Programmierung der Zielkoordinaten erfordert Experten aus den Herkunftsländern. Wer es nicht glaubt, kann sich persönlich überzeugen. Das abgehörte Gespräch von Bundeswehrgenerälen zur Lieferung von Taurus kreist genau um dieses Problem: Wie kann die Ukraine mit Taurus versorgt werden, ohne dass die Bundeswehr involviert ist, weil dies eine direkte Beteiligung Deutschlands am Krieg darstellen würde.
Die Forderung, gegenüber der Ukraine alle Beschränkungen aufzuheben, ist, als würde ein Schachspieler den nächsten Zug seines Gegenübers nicht mitbedenken. Es mag aus der verkürzten Sicht, Russland hätte "anlasslos die Ukraine überfallen", emotional verständlich sein ‒ vernünftig ist es dennoch nicht. Es trägt auch zur Lösung nichts bei. Es ist lediglich als Politik getarnte Rachsucht.
Auch rückblickend ist die Behauptung, Russland würde nicht reagieren, schlicht falsch. Diejenigen, die die Ukraine zu immer weiteren Angriffen ermutigen, die fordern, dass der Krieg nach Russland getragen werden müsse, von denen ukrainische Angriffe auf die Brücke von Kertsch für völkerrechtlich legitim gehalten werden, sind gleichzeitig diejenigen, die Russlands immer umfassendere Angriffe auf die Energieinfrastruktur der Ukraine empört verurteilen. Dabei besteht ein klar erkennbarer unmittelbarer Zusammenhang. Wenn die Ukraine Russland angreift, wird Russland versuchen, all das zu zerstören, was zum Angriff dient. Jeder, der etwas anderes behauptet, ist entweder absolut naiv oder von niederträchtiger Heuchelei.
Natürlich hat jede Eskalation eine Antwort zur Folge. Das ist die Logik des Krieges. Sie ist es so lange, solange sich nicht entweder eine Partei geschlagen gibt oder diese Logik der dem Krieg inhärenten Eskalation durch Diplomatie und Verhandlungen durchbrochen wird. Die Behauptung jedenfalls, Russland würde Eskalation einfach hinnehmen, ist angesichts der konkreten Entwicklung des Krieges schlicht und einfach falsch.
Dennoch will man von Diplomatie und Verhandlungen in der EU und Deutschland weiterhin nichts wissen. Die Realität wird ausgeblendet. Dabei ist sie einfach zu verstehen: Russland besitzt das Potenzial, jeden weiteren Eskalationsschritt mitzugehen.
Die EU führt der Welt ein Trauerspiel vor. Treibende Kraft der Handlung ist Irrationalität. Mangelndes Nachdenken über die Folgen, reine Gefühlsduselei. Dieser Mangel an strategischem Denken ist für die EU und auch für deutsche Politik in diesem Konflikt kennzeichnend. Die EU hat das Ziel, der Ukraine einen Beitritt zu ermöglichen und die Ukraine in die NATO aufzunehmen. Diese Ziele werden mit brachialer Gewalt verfolgt. Die Kosten für die Durchsetzung werden immer höher.
Wie diese Ziele erreicht werden könnten, ohne dass dazu der Krieg in Europa eskaliert und die Ukraine zerstört werden muss, steht gar nicht mehr zur Diskussion. Ob das Festhalten an den Zielen der Ukraine und Europa in irgendeiner Weise dient, ist als Frage noch nicht einmal formuliert. Dabei macht der Verlauf deutlich, dass der von der EU eingeschlagene Weg eine Sackgasse ist. Er führt zur totalen Zerstörung der Ukraine, und wenn der Weg in dieser Form weiter gegangen wird, auch zur Zerstörung Europas.
Man wird sich weder in Deutschland noch in der EU langfristig der Erkenntnis widersetzen können, dass Frieden in Europa nur mit und nicht gegen Russland möglich ist. Wer aber glaubt, die Aufhebung aller Nutzungsbeschränkungen für westliche Waffen würde der Ukraine helfen, sollte konkret formulieren können, worin diese Hilfe besteht, was damit erreicht und was nicht erreicht werden kann. Der sollte auch formulieren können, mit welchen Antworten vonseiten Russlands zu rechnen ist. Wer zu dieser Form rationaler Überlegung und anschließender Abwägung nicht in der Lage ist, sollte dringend von seiner Forderung Abstand nehmen, denn sie ist reiner und vor allem gefährlicher Populismus.
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