Von Gleb Prostakow
Der Sieg der rechtsgerichteten Alternative für Deutschland und das gute Ergebnis des linken Bündnisses Sahra Wagenknecht bei den Wahlen in den östlichen Bundesländern spiegeln die wachsenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme wider. Dazu gehört vor allem die beschleunigte Deindustrialisierung Deutschlands, dessen Industrie und Fachkräfte das Land in einem noch nie dagewesenen Ausmaß verlassen.
Die Ergebnisse der regionalen Wahlen in der ehemaligen DDR stimmen mit einem Bericht der Zeitung Le Figaro überein, wonach die Volkswagen AG die Schließung von zwei Werken plant: in Osnabrück in Niedersachsen und in Dresden in Sachsen. Übrigens hat die Alternative für Deutschland in Sachsen (zusammen mit Thüringen) ein hervorragendes Ergebnis erzielt und wurde zweitstärkste Kraft, nur knapp hinter der Christlich Demokratischen Union (CDU).
Die Schließung dieser Werke ist ein bahnbrechendes Ereignis. Schließlich hat Volkswagen als Marke mit ihnen begonnen. Deutsche Autos, die im Ausland hergestellt werden – das ist wahrscheinlich die neue Realität, mit der die einstige Lokomotive der EU-Wirtschaft und jetzt der kranke Mann Europas leben muss.
Die von Le Figaro zitierten internen Dokumente sind von besonderem Interesse. "Deutschland verliert immer mehr an Wettbewerbsfähigkeit. Die Schließung von Auto- und Komponentenwerken ist nicht mehr auszuschließen", sagte Volkswagen-Chef Oliver Blume dem Blatt. Und sein Markenvorstand Thomas Schäfer ergänzte: "Die Situation ist extrem angespannt und kann nicht durch einfache Sparmaßnahmen behoben werden." Mit anderen Worten: Die Führungsspitze des Automobilkonzerns hält die Schließung von Werken in Deutschland für nahezu unausweichlich.
Die Probleme von Volkswagen sind in vielerlei Hinsicht ein Spiegelbild der systemischen Krise der deutschen Wirtschaft. Wenn beispielsweise die chemische Industrie, vertreten durch die BASF, als erste unter den Druck der Energiekrise geriet, so lassen sich die Probleme der Automobilindustrie nicht allein durch die Einstellung der Lieferungen von relativ billigem russischen Gas erklären. Für die BASF oder für die französischen und US-amerikanischen Reifenhersteller Michelin und Goodyear, die ebenfalls ihre Werke in Deutschland geschlossen und Mitarbeiter entlassen haben, liegt alles auf der Hand – der hohe Anteil der Energie an den Selbstkosten macht die gesamte Wirtschaftlichkeit der Produktherstellung zunichte.
Für VW ist die teure Energie ein wichtiges, aber nicht das einzige Problem. Die Exporte der "Volksautos" sind radikal zurückgegangen. Die einst riesigen asiatischen Märkte, auf denen sich die europäischen Autohersteller früher tummelten, begannen rapide zu schrumpfen. China hat gelernt, Autos zu produzieren, und vor allem ist das Land selbstbewusst in die Ära der Hybrid- und Elektroautos eingetreten und hat die Europäer, die in dieser Hinsicht hinterherhinkten, verdrängt.
Great Wall, BYD und andere asiatische Hersteller sind dabei, die deutsche Autoindustrie im eigenen Land erfolgreich zu überholen. Die Chinesen schlagen die Europäer beim Preis-Qualitäts-Verhältnis, das in den letzten Jahren deutlich gewachsen ist und vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Probleme Deutschlands sogar eine unerwartete Beschleunigung erfahren hat. Vor nicht allzu langer Zeit erklärte derselbe Oliver Blume, dass er in der Expansion chinesischer Autos nichts Schlechtes sehe. Aber jetzt ist es an der Zeit, die Tiefe des Problems zu erkennen.
VW beobachtet den Mercedes-Konzern genau, der in Deutschland ähnliche Probleme hat wie das "Volksauto", aber den Großteil seiner Produktion bereits nach China verlagert hat und insgesamt gar nicht so schlecht dasteht.
Die deutschen Marken lösen sich buchstäblich von ihrem Geburtsland. Es ist schwer zu sagen, inwieweit Autos, die in China und den USA produziert werden und auf lokale Märkte ausgerichtet sind, deutsch bleiben können. Nicht nur die Steuern, sondern auch die Fachkräfte wandern in außereuropäische Länder ab. So fügt die stagnierende deutsche Autoindustrie der deutschen Wirtschaft und der EU insgesamt einen doppelten Schlag zu, indem sie ihnen nicht nur nachgefragte Güter, sondern auch zahlungskräftige Verbraucher entzieht.
Die deutsche Industrie macht ein Fünftel der Wirtschaft aus – im Gegensatz etwa zu Frankreich, wo die Dienstleistungswirtschaft dominiert. Ein Abschwung in der Industrie zieht daher die gesamte Wirtschaft in Mitleidenschaft. Das ifo-Institut prognostiziert, dass das deutsche BIP-Wachstum im Jahr 2024 bei null liegen und im Jahr 2025 ein Wachstum von 0,9 Prozent aufweisen werde. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft sagt für dieses Jahr einen Rückgang des BIP um 0,1 Prozent voraus. Die meisten Experten bezeichnen die derzeitige Lage der deutschen Wirtschaft nicht als vorübergehende, sondern als strukturelle Krise. Massenentlassungen, Demontage von Produktionsanlagen und – schlimmer noch – der Gesichtsverlust der deutschen Industrie führen zu wachsenden sozialen Spannungen. Und das ist macht die Situation zu einem politischen Thema.
Die deutschen Liberalen befürchten, die Ergebnisse der Wahlen in den östlichen Bundesländern auf die gesamtdeutsche Wahl hochzurechnen. Denn der Erfolg der Alternative für Deutschland und der Linken bei diesen Wahlen bedeutet mindestens einen schmerzhaften Kurswechsel in der Innen- und Außenpolitik und die Ablösung der "Ampelkoalition" in der Regierung durch eine reale Macht, oder sogar eine Spaltung des Landes. Und die Spaltung verläuft nach der alten Grenzlinie wie einst zwischen der BRD und der DDR zu Zeiten der deutschen Teilung. Dies ist genau der Fall, in dem sich die Geschichte wiederholen könnte. Und ob es wieder eine Tragödie oder eine Farce sein wird, bleibt abzuwarten.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 10. September 2024 zuerst auf der Website der Zeitung Wsgljad erschienen.
Gleb Prostakow ist ein russischer Wirtschaftsanalyst.
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