Von Gert Ewen Ungar
Björn Höcke ist ein Nazi und Sahra Wagenknecht so links, dass sie ganz rechts wieder rauskommt, ist die von den etablierten Parteien und den an sie angeschlossenen deutschen Medien veröffentlichte Meinung. Höcke ist sowas wie der zeitgenössische Hitler, Wagenknecht wurde bereits mit Stalin verglichen. Die Parteien, für die Wagenknecht und Höcke stehen, sind daher eine Gefahr für die Demokratie und müssen verhindert werden.
Zum Glück ist die deutsche Demokratie wehrhaft und weiß sich gegen den Versuch zu wehren, sie auszuhebeln. Man grenzt die Gefahr für die Demokratie einfach aus, ist die Methode. Die Medien warnen und werden nicht müde, den Teufel an die Wand zu malen. Im ZDF vergleicht Chefredakteurin Bettina Schausten den Überfall von Nazi-Deutschland auf Polen am 1. September 1939 mit dem 1. September 2024, an dem zwei Landtagswahlen stattfanden, bei denen vor allem die Ampel-Parteien niederschmetternde Ergebnis eingefahren haben. Eine Nummer kleiner geht's beim ZDF derzeit anscheinend nicht.
Dem Landeswahlleiter in Sachsen fiel zum Glück für die Demokratie im letzten Moment ein Softwarefehler auf, der dafür gesorgt hatte, dass der AfD ein Sitz viel zugerechnet worden war. Dieser Fehler wurde korrigiert, die AfD verliert ihre Sperrminorität. Die so geschützte Demokratie, verstanden als populistische Floskel, wird es dem Landeswahlleiter wohl auf ewig danken. Ob es auch die Wähler tun, steht auf einem anderen Blatt, denn glaubwürdig ist der Vorgang nicht. Der Vorfall dürfte zumindest kurzfristig das Vertrauen in das Funktionieren der deutschen Demokratie erheblich mehr erschüttert haben als das Abschneiden von BSW und AfD.
Was nach der Wahl des EU-Parlaments im Juni passiert ist, wiederholt sich nun auf Landesebene. Die Parteien, die massiv eingebrochen sind, weil sie das Vertrauen der Wähler ebenso massiv verloren haben, wollen einfach so weitermachen, als sei nichts geschehen. Der Plan ist, die Demokratie durch ein bedingungsloses Weiter-So vor dem Einfluss der Wähler auf die Politik zu schützen. George Orwell hätte sich nicht besser ausdenken können, was gestern am Wahlabend zum Wahlergebnis gesagt wurde. Es mag den Protagonisten in ihrer Raserei nicht auffallen, aber das ist das Gegenteil von Demokratie.
Wenn Politik vom Wähler in einer Weise goutiert wird, dass die für diese Politik verantwortlichen Parteien in der Wählergunst einbrechen, dann ist das ein demokratischer Akt. Eine andere Möglichkeit, eine Änderung von Politik herbeizuführen, haben Wähler in einer parlamentarischen Demokratie faktisch nicht. Wenn die so abgestraften Parteien dann aber nach Wegen suchen, den eingeschlagenen Weg einfach fortzusetzen, dann ist das Verhöhnung von Demokratie und der Wähler. Das ist bei der Wahl zum Europaparlament passiert, und soll nun offensichtlich in Thüringen und Sachsen wiederholt werden.
Es wird der Popanz einer rechten Bedrohung aufgebaut. Die AfD gilt dem Verfassungsschutz zumindest in Teilen als "gesichert rechtsextrem", weshalb sie überwacht wird. Björn Höcke hat öffentlich "alles für Deutschland" gesagt und wurde dafür bestraft. Höcke verwendet Phrasen, aus denen sich eine Nähe zum Nationalsozialismus herleiten lässt. Das macht ihn in den Augen seiner politischen Gegner zum Faschisten. Mehr Belege gibt es offenbar nicht.
Der von der Rechercheplattform Correctiv vermeintlich aufgedeckte Remigrationsplan der AfD war von Correctiv weitgehend frei erfunden. Die AfD gilt als rechtsextrem und manchen auch als faschistisch, aber echte Belege dafür gibt es nicht, denn sonst würde man sie anführen. Das ist der aktuelle Stand der Diskussion. Anzufügen ist, dass die Verschwörungserzählungen aktuell von den Regierungsparteien verbreitet werden: Russland wolle Deutschland überfallen, weshalb man es zuvor militärisch besiegen müsse. Russische Spione wittern Habeck und Kiesewetter hinter jeder Ecke, Habeck selbst unter den eigenen Mitarbeitern. Von derartiger Paranoia ist die AfD weit entfernt.
Ansonsten gibt es die Wahlprogramme, in denen Parteien offenlegen, für welche Politik sie stehen. Die AfD-Thüringen fordert mehr direkte Demokratie, will die Meinungsfreiheit stärken, in diesem Zusammenhang den öffentlich-rechtlichen Rundfunk reformieren. Den Inlandsgeheimdienst will sie abschaffen. Das klingt jetzt nicht nach der ultimativen Bedrohung von rechts. Das klingt eher danach, als wäre die Verteufelung der AfD durch GEZ-Medien und Verfassungsschutz vor allem lautes Klappern in eigener Sache. Man sieht die Finanzierung für den Fall schwinden, dass die AfD an Einfluss gewinnt.
Wirtschaftspolitisch ist die AfD-Thüringen neoliberal. Das sind die anderen im Bundestag vertretenen Parteien auch – das BSW einmal ausgenommen. Die AfD will am dreistufige Schulsystem festhalten. Die CDU und die FDP tun das auch. Die AfD lehnt Zuwanderung nicht grundsätzlich ab, will aber die Inanspruchnahme von Sozialleistungen durch Zuwanderer davon abhängig machen, ob zuvor in die Sozialkassen eingezahlt wurde. Das alles kann man ablehnen, faschistisch ist es nicht. Sonst wären übrigens die meisten Länder der Welt faschistisch.
Das Schreckgespenst der rechten Bedrohung dient der Zementierung der etablierten Politik sowie der bestehenden Verhältnisse. Genau das aber ist undemokratisch. Der AfD und auch dem BSW könnten die etablierten Parteien durch eine Änderung ihrer Politik sofort den Wind aus den Segeln nehmen. Zuwanderung tatsächlich regulieren, Russland-Sanktionen beenden, sich für eine diplomatische Lösung des Ukraine-Konflikts einsetzen – schwupp hätten auch die Grünen und die SPD wieder ganz ansehnliche Umfragewerte. Doch stattdessen bleiben sie dem Dreschen populistischer Floskeln treu. Auch das ist eine Wahrheit, die man zur Kenntnis nehmen muss. Die Parolen der etablierten Parteien stehen in Populismus und Realitätsferne denen der AfD in nichts nach. Lediglich die Themensetzung ist anders.
Doch vom Willen zur Korrektur ist am Tag nach der Wahl nichts zu spüren. Stattdessen will SPD-Vorsitzende Saskia Esken den Menschen besser erklären, warum eine Politik, die für sie nachteilig ist, eigentlich ihrem Vorteil dient. Auch das ist Verhöhnung. Die Menschen sind nicht zu dumm, Politik zu verstehen. Sie verstehen sie im Gegenteil ganz genau.
Die Gefahr für die Demokratie besteht eben nicht darin, dass die Wähler sich für eine andere Politik entscheiden. Sie besteht darin, dass diejenigen einfach so weitermachen wollen, deren Politik gerade abgewählt worden ist. Der Wählerwille soll aus der Politik verschwinden. Hier liegt die eigentliche Bedrohung für die Demokratie: die vollständige Entmündigung des Souveräns. Betrieben wird das von einer breiten Parteienallianz. Weder die AfD noch das BSW sind indes am Demokratieabbau beteiligt.
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