Von Dagmar Henn
Es gab an diesem Wahlabend Momente verborgener Komik. Etwa, als die Spitzenkandidatin des BSW in Sachsen, Sabine Zimmermann, gefragt wurde, ob ihre Partei denn überhaupt regierungsfähiges Personal hätte.
Die Komik lag nicht in Zimmermanns Antwort ‒ sie nahm die Frage ernst und erwiderte entsprechend. Die Komik entstand in meinem eigenen Kopf. Weil das eigentlich eine Frage ist, auf die man in Deutschland nur mit schallendem Gelächter antworten kann. Oder etwa so: "Wissen Sie, seit Habeck und Baerbock liegt diese Latte so tief, auf der können Sie schon Polka tanzen."
Das wäre natürlich böse populistisch gewesen, selbst wenn es die bittere Wahrheit ist. Aber an diesem Abend war Mitspielen angesagt, seitens der beiden Wahlgewinner AfD und BSW, und sie haben sich beide bemüht, Normalität zu simulieren und den Ritualen zu folgen, die seit Jahrzehnten im medialen Zirkus etabliert sind.
Heute kann man sich gar nicht mehr retten vor düsteren Kommentaren, die von einer "historischen Zäsur" tönen (Merkur), während der sächsische Ministerpräsident Kretschmer "die Wahl zwischen Pest und Cholera" habe (Stern). Und selbst wenn jetzt das BSW aus Gründen des Machterhalts wohl zumindest vorübergehend und regional begrenzt vom Bannfluch der "demokratischen Parteien" ausgenommen werden dürfte, ist längst deutlich zu erkennen, dass bis zur im kommenden Jahr anstehenden Bundestagswahl die rhetorischen wie die praktischen Angriffe auf beide Parteien, AfD wie BSW, zunehmen werden.
Irgendwie sind sie schließlich beide rechtsextrem und populistisch. Wobei beide Parteien auf der politischen Skala der Bundesrepublik der 1970er rechts der Sozialdemokratie und links von der CDU angesiedelt gewesen wären, also weit von den äußeren Rändern entfernt. Denn es wird mittlerweile als rechtsextrem bezeichnet, wer überhaupt ein nationales Interesse sieht, und als populistisch, wer die Interessen der Bevölkerung überhaupt noch wahrnimmt. Oder womöglich das metastaatliche Korsett ablehnt, das aus Strukturen wie der EU oder der WHO besteht und das mithilft, jede Form von Demokratie zu strangulieren.
Die gewohnten Bezeichnungen stiften nur noch Verwirrung. Die Ablehnung der Kriegspolitik ist mit dem Etikett "populistisch" versehen, ebenso wie die Einforderung einer vernünftigen Sozialpolitik oder einer Kontrolle der Migration. Der Gegensatz, der mit diesem Etikett aufgemacht werden soll, das, was sich diejenigen, die diesen Vorwurf erheben, selbst zuschreiben wollen, ist vernunftgeleitete Politik.
Was wieder zu jenem Augenblick zurückführt, als Frau Zimmermann so ernsthaft auf das Spiel eingeht. Vernünftige Politik? Es dürfte sich kaum eine Phase in der deutschen Geschichte finden lassen, in der in der Politik so wenig Vernunft herrschte wie im Augenblick. Nein, nicht einmal im dreckigen Jahrdutzend 1933-1945. Das war Vernunft, die für die barbarischsten Ziele eingesetzt wurde. Es war wohlorganisierte Menschenfeindlichkeit ‒ aber nur, weil inzwischen die Züge mit den Waffen für den Krieg gen Osten nicht mehr pünktlich fahren können, ist das Ziel selbst heute um keinen Deut besser, humaner oder menschenfreundlicher als zu Zeiten des Unternehmens Barbarossa.
Nein, objektiv betrachtet folgt die deutsche Politik auf allen Ebenen rasender Unvernunft. Das kann man bei "Energiewende" und "Klimaschutz" gründlich ausbuchstabieren, aber das geht inzwischen bis hin zur Vermittlung des Alphabets in den Grundschulen. Schon die Entstehung der Linken vor bald zwanzig Jahren war das Ergebnis eines tiefen Unbehagens, und auch da war "Populismus" schon das Schlagwort der Stunde. Nur, dass 2005 die Züge noch deutlich pünktlicher und die Straßen weit sicherer und besser waren als heute. Und in breiten Teilen der Bevölkerung noch die Erwartung einer Vernunft da war, an die appelliert werden konnte, auch wenn sich das tatsächliche politische Handeln immer weiter von ihr entfernte.
Inzwischen hat sich die Bedeutung des Wortes "Populismus" immer weiter ausgedehnt, denn die Grundvorstellung scheint zu sein, man müsse nun einmal, um vernünftig zu sein, Politik gegen die Bevölkerung machen, wegen Klimawandel und Werten und NATO und so. Die erste Reaktion, die auf die hohen Stimmanteile der AfD bei Jungwählern bei den beiden Landtagswahlen erfolgte, war, man müsse die Politik besser erklären. Und natürlich mithilfe der "Einheit der Demokraten" die "wehrhafte Demokratie" stärken, sprich, zu weiteren Unterdrückungsmaßnahmen greifen.
Was sich dahinter verbirgt, ist die schlichte Tatsache, dass eine Politik im Interesse der Bevölkerung an zentralen Punkten keiner Erklärung bedarf. Man muss keine vielfarbigen Broschüren drucken, um die Menschen davon zu überzeugen, dass bezahlbare Wohnungen zu ihrem Vorteil sind. Oder dass die Renten hoch genug sein sollten, um davon zu leben. Aber, ganz ehrlich, schon die Voraussetzungen einer Politik, die eine Umsetzung dieser Punkte ermöglichen würde, können die meisten Politiker der BRD-Parteien nicht einmal mehr denken. Nur als kleines Beispiel: Die Finanzierung des Wohnungsbaus in der BRD zu Beginn der 1950er erfolgte über einen sogenannten Lastenausgleich. De facto war das eine Vermögenssteuer in Höhe von 50 Prozent, verteilt über mehrere Jahre. Das war, nur so am Rande, bei weitem kein Sozialismus. Das passierte unter der CDU-Regierung eines Konrad Adenauer.
Nun, bei der gegenwärtigen Bundesregierung ist man gelegentlich schon froh, wenn sie kein Geld in die Hand bekommt, weil sie davon doch nur wieder Panzer in die Ukraine schickt. Oder es Pharmakonzernen schenkt. Oder auf eine der anderen kreativen Arten von unten nach oben befördert. Eins jedenfalls tut sie mit Geld keinesfalls – die Lebenslage der Menschen in Deutschland verbessern. Oder sich auch nur der Verantwortung für all die Dinge stellen, die bereits angerichtet wurden, unter Corona beispielsweise.
Ja, man kann schon merken, wie es in den Köpfen rattert, und man wird in den kommenden Wochen und Monaten viel lesen von all den Gemeinsamkeiten zwischen AfD und BSW. Die Ablehnung der Corona-Politik etwa, oder der Kriegspolitik gegen Russland, der offenen Grenzen, der EU und insbesondere ihrer Außenpolitik, der Sanktionen. All das, wird es tönen, sei rechtsextrem und populistisch und dürfe eigentlich nicht nur nicht gewählt werden, sondern gar nicht sein.
Dabei konnte man wirklichen Populismus kurz vor der Wahl aufs Beste beobachten. In Gestalt dieses Abschiebefliegers nach Afghanistan beispielsweise ‒ nicht das erste Mal, dass das ganz plötzlich geht, kurz vor Wahlen, um danach ebenso plötzlich nicht mehr zu gehen. Oder auch in überraschend auftauchenden Ansätzen von Nachdenklichkeit bezüglich der Ukraine-Politik. Wenn Innenministerin Nancy Faeser, die sich bisher voll und ganz auf die Ausschaltung politischer Widersacher konzentriert hat (so gründlich, dass man sich schon fragen musste, wann ihr die politische und ökonomische Zerstörung nicht mehr genügt), plötzlich so ein banales Thema wie die Sicherheit des öffentlichen Raums für sich entdeckt. Selbstverständlich nicht, ohne gleich Gesichtserkennung mit zu fordern und Überwachung der elektronischen Kommunikation, aber dennoch.
Ich höre im Hintergrund schon die Stimmen, die fragen, was denn nun mit der Landespolitik sei, schließlich seien EU und Außenpolitik Bundesthemen. Und da ist dann beispielsweise der Satz von Ricarda Lang, der Frau, die man nicht "dick" nennen darf, die in ihrem ganzen Leben noch keinen vernünftigen politischen Gedanken gedacht, geschweige denn geäußert hat: "Wenn das BSW als populistisches Angebot, das nichts zu bieten hat für die Länder hier, so zugelegt hat, dann ist das ein Problem." Was selbstverständlich impliziert, die Grünen hätten da so viel zu bieten. Auch wenn sich die klitzekleine Frage stellt, wie denn Landespolitik überhaupt möglich sein soll, wenn die Bundespolitik im Grunde nur mit unterschiedlichen Varianten der Zerstörung spielt, sei es ökonomisch, sei es über die Leidenschaft für Krieg.
Was die eigentliche Kernfrage berührt, vor der in Wirklichkeit die beiden Siegerparteien stehen, eine Frage, mit der sie sich wohl beide noch nicht ernsthaft befasst haben. Gibt es, unter den gegenwärtigen Bedingungen, überhaupt eine Möglichkeit, auf Landesebene so zu tun, als wäre da nichts, und irgendwie mitzuspielen, in der Hoffnung, vielleicht eine kleine Verbesserung beim, sagen wir einmal, Regionalverkehr herauszuschinden? Nicht nur, weil die Spielräume des Budgets extrem beschränkt sind. Es hat etwas von dem Versuch, in einem einsturzgefährdeten Haus die Wände neu zu streichen. Es gibt einen Punkt, an dem man eingestehen muss, dass keine kleinen Kompromisse mehr möglich sind.
Denn es ist nicht möglich, mit der CDU, der SPD zusammenzuarbeiten, ohne ihnen dadurch zumindest partiell die Absolution zu erteilen für den Irrsinn der vergangenen Jahre. Je weiter man nach unten geht in der politischen Struktur, desto größer wird der Anteil der Entscheidungen, bei denen ohnehin wenig Dissens möglich ist, schon allein, weil bei vielen Dingen der politische Beschluss nur ein haushälterischer Schritt ist, bei Schulrenovierungen beispielsweise wie bei vielen anderen nötigen Investitionen. Kritisch wird hier eigentlich immer nur der Mangel, wenn also nötige Aufgaben nicht mehr erfüllt werden können.
Aber abgesehen davon hätte eine Kooperation mit den BRD-Parteien einen Anklang einer missbräuchlichen Beziehung. Gerade im Zusammenhang mit den stetigen Anschuldigungen. Dabei sind beide, AfD wie BSW, ohnehin schon vorsichtig und deuten gern immer wieder Kompromissbereitschaft an, bis hin zum Gebrauch der Formel vom "völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg". Als würde derlei Vorsicht vor Angriffen bewahren. Ja, vielleicht ist das auch wirklich so gemeint, das sind in beiden Fällen schließlich mitnichten Radikale, aber das Problem, vor dem die Gesellschaft wie die Politik stehen, lautet, dass es wenig nützt, den Karren nur etwas langsamer tiefer in den Dreck zu rammen. Und nichts derzeit einen größeren Schaden anrichtet als der Wunsch, doch irgendwie Teil des Gespanns zu werden, das besagten Karren in diesen Matsch befördert. Noch ist zumindest die Achse nicht gebrochen.
Doch die wirkliche, die entscheidende Frage, gleich auf welcher politischen Ebene, ist, ob und wie der Kurs umgekehrt werden kann, und zwar in Bezug auf all die Punkte der politischen Unvernunft. Denn schon die Schäden, die in den letzten drei Jahren angerichtet wurden, zu beheben, könnte Jahrzehnte in Anspruch nehmen, und die Voraussetzungen, aus dieser zerfallenden Struktur wieder ein staatliches Gebilde zu machen, das zumindest die grundlegenden Bedürfnisse seiner Bewohner erfüllen kann, werden von Jahr zu Jahr schlechter. Selbst wenn uns das Glück zumindest so weit hold sein sollte, dass die Wahnsinnigen in Washington die nördliche Halbkugel nicht niederbrennen.
Nein, diese Landtagswahlen sind leider noch keine "historische Zäsur". Vielleicht ein kleines Leuchtfeuer der Hoffnung. Aber in der Regel lassen sich Probleme der Größenordnung, wie sie Deutschland im Grunde derzeit bewältigen müsste, von einer Wiederherstellung der Souveränität über eine Rückabwicklung von EU, Sanktionen, Klimapolitik et cetera nicht lösen, solange die Bürger ihre politische Verantwortung in Wahlen abgeben wie ihre Mäntel in der Theatergarderobe. Ganz unabhängig von dem Verhalten, das von den Vertretern der beiden Oppositionsparteien gewünscht oder erwartet werden kann – das ist noch nicht mehr als ein leises Murren.
Doch immerhin ist es keine schweigende Hinnahme mehr. Und zumindest wurde vorgeführt, dass ein Teil der Deutschen begriffen hat, was das Gegenmodell zum vermeintlichen Populismus ist. Das hat am klarsten Außenministerin Baerbock ausgesprochen: "Es ist mir egal, was meine Wähler denken."
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