Von Tom J. Wellbrock
Würde man Passanten in Deutschland auf das Verhältnis zwischen Polen und der Ukraine ansprechen, würden politisch Interessierte wohl antworten, dass diesbezüglich alles in Ordnung ist. Polen gehört zu den lautesten Unterstützern der Ukraine im Krieg gegen Russland und positioniert sich auf diese Weise nicht nur deutlich zur Chefmacht USA. Es sendet auch entsprechende Signale nach Moskau aus und gibt sich als grenznaher Gegner mit breiter Brust. Doch zwischen Polen und der Ukraine steht ein Massaker, das im Zweiten Weltkrieg verübt und in der Politik und der Bevölkerung nun erneut auf die Tagesordnung gesetzt wurde.
Das Beispiel macht deutlich, dass ein Freund-Feind-Denken heute einfach nicht mehr funktioniert, vielleicht nie funktioniert hat.
Das Wolhynien-Massaker: Beispiellos grauenhaft
Zwischen Februar und August 1943 griffen ukrainische Aufständische 150 Dörfer auf dem historischen Gebiet Polens an. Das Massaker wurde im Windschatten der deutschen Besatzung verübt, beteiligt waren Einheiten der "Ukrainischen Aufstandsarmee" (UPA) und der "Organisation Ukrainischer Nationalisten" (OUN). Die Grausamkeit der Angriffe ist nur schwer in Worte zu fassen. Ein Zeitzeuge schilderte es so:
"Wir fanden einen entsetzlichen Anblick vor. Ein wenige Jahre alter Junge war am Tor auf einen Pfahl gespießt worden. … Vor der Türschwelle lagen die Leichen von Männern und zwei Frauen, die grausam mit Äxten zerhackt worden waren."
Die "tapferen" Krieger im Schatten Stepan Banderas hatten leichtes Spiel bei ihren Morden, denn die Opfer waren fast ausnahmslos Frauen, Alte, Kranke und Kinder, die Männer kämpften mit der Roten Armee gegen Deutschland. Die Morde wurden mit Messern, Äxten, Gabeln und anderen Werkzeugen verübt, die Opfer wurden im Schlaf überrascht oder bei Gottesdiensten überfallen.
Die ethnische Säuberung hatte mehr als 100.000 Todesopfer zur Folge (je nach Quelle ist sogar von 200.000 die Rede). Weitere rund 10.000 Ukrainer kamen bei Vergeltungsangriffen durch polnische Partisanen ums Leben. Polens Parlament formulierte im Jahr 2013 in einer Resolution, die konstatiert, dass die Taten von Wolhynien "Züge eines Völkermords" gehabt hätten.
Alles wieder gut?
Kurz vor dem 11. Juli 2023 (dem Gedenktag des Massakers) sah es nach Versöhnung zwischen Polen und der Ukraine aus. Andrzej Duda (Polen) und Wladimir Selenskij (Ukraine) besuchten in Luzk in der Westukraine im Beisein von Kirchenführern aus beiden Ländern einen Gottesdienst und stellten in der Kathedrale Grablichter für die Opfer auf. Die Frankfurter Allgemeine schrieb zu dem Treffen damals:
"'Wir vergeben und bitten um Vergebung', hatten Polens Bischöfe 1965 den Deutschen zugerufen. Jetzt, kurz vor dem Gedenktag der Wolhynien-Massaker, richten die Ukrainer diese Worte an die Polen."
Gar nichts ist wieder gut
Auch um den Gedenktag des 11. Juli 2024 war Wolhynien wieder ein Thema zwischen Polen und der Ukraine. Das Oberhaupt der griechisch-katholischen Kirche der Ukraine, Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk, wurde in Polen erwartet. Auf eine gemeinsame Erklärung konnte man sich aber nicht einigen, und das lag auch am oben genannten Satz "Wir vergeben und bitten um Vergebung", der der polnischen Seite nicht ausreichte.
Für den polnischen Bischof war ein solcher Satz nicht genug, um die schrecklichen Taten der Ukraine zu kommentieren. Er habe sich mehr "Einsicht" von der Ukraine gewünscht.
Und noch etwas kommt hinzu: Bis zum heutigen Tage hat die Ukraine keine Erlaubnis für die Exhumierung der Opfer des Wolhynien-Massakers erteilt. Paweł Jabłoński, bis 2023 stellvertretender Außenminister Polens, sagte schon im Juli 2023:
"Wir werden weiter daran arbeiten, dass dies so schnell wie möglich geschieht. … Wir sind der Meinung, dass die Ukraine ohne eine Lösung dieser Frage – und das ist auch vielen Ukrainern bewusst – nicht von einem Beitritt zur Europäischen Union träumen kann."
Im Juli 2024 war die Lage ähnlich. Der polnische Verteidigungsminister hat den künftigen EU-Beitritt der Ukraine an die Lösung der "Wolhynien-Frage" geknüpft und sprach von einem Ultimatum für die Ukraine. Beim Thema Ukraine-Krieg unterstütze Polen die Ukraine zwar "so weit wie möglich", der EU-Beitritt und dessen Verhinderung durch Polen sei aber davon unabhängig.
Für die Ukraine rückt damit der Beitritt in die Europäische Union einmal mehr in weite Ferne, denn die UPA-Kämpfer und Stepan Bandera werden bekanntermaßen in der Ukraine als Helden verehrt, die angeblich edlen Widerstand gegen die Sowjetunion geleistet haben. Da sich diese Erzählung auch in weiten Teilen des Westens durchgesetzt hat, steckt die ukrainische Regierung wohl in einem unlösbaren Dilemma.
Andererseits ist das Land ohnehin komplett am Boden und wird sich in den nächsten Jahren davon auch nicht wieder erholen. Der Ausverkauf durch BlackRock & Co. hat schließlich längst begonnen. Die Ukraine ist schon jetzt ein Land der verbrannten Erde, unter der die Opfer des Wolhynien-Massakers liegen.
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.
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