Von Wladislaw Sankin
Ukrainische Drohnenführer sind die neuen Protagonisten der zahlreichen westlichen Frontdokus. "Unterwegs mit ukrainischen Drohnenkriegern" von Der Spiegel ist hierfür nur ein Beispiel. Tollkühn seien sie, jung, technisch begabt und erfinderisch, so ist die Botschaft. Einfach nur coole Jungs, die von der leichtgläubigen deutschen Couch-Gemeinde als nachahmungswürdige Typen bewundert werden. In Russland wird hingegen gefordert, gerade die Drohnenführer erbarmungslos zu bekämpfen – die Devise bezüglich dieser Soldaten lautet: "Von denen werden keine Gefangene gemacht." Denn im Unterschied zu Artilleristen oder Luftwaffen-Piloten, sehen die First-Person-View-Krieger ganz genau, wen und unter welchen Umständen sie töten.
Vor wenigen Monaten haben wir von dem traurigen Schicksal eines ukrainischen Soldaten berichtet, der sich ergeben wollte, aber auf dem Weg zur Rettung von seinen eigenen Kameraden mit einer FPV-Drohne beschossen wurde und starb. Dieser Umgang mit Kapitulationswilligen ist zwar äußerst unmenschlich, aber er folgt einer brutalen Kriegslogik, denn eliminiert werden sie vor allem als potenzielle Verräter. Etwas ganz anderes ist es hingegen, wenn Zivilisten absichtlich getötet werden.
Am Donnerstag hat der russische Journalist und Abgeordnete in der Moskauer Duma Andrei Medwedew ein elfminütiges Videodokument eines Verbrechens veröffentlicht und mit einem Warnhinweis versehen:
"Sehen Sie sich dieses Video bis zum Ende an, wenn Ihr Herz das aushält."
Viele andere Journalisten haben den Beitrag geteilt, darunter die Chefin von RT, Margarita Simonjan.
Eine russische Spähdrohne hatte bei einem Routine-Flug über die Ruinenlandschaft von Woltschansk ein Zivilisten-Versteck entdeckt. Auf den Trümmern war mit weißer Farbe groß aufgemalt: "SOS. Kinder. Medizinische Hilfe benötigt. Wohin sollen wir gehen?" Die Bitte wurde gehört. Beim nächsten Flug warf das kreisende Fluggerät eine Wasserflasche, ein Erste-Hilfe-Paket und schriftliche Handlungsanweisung darüber ab, wie man sich retten könne. Ein Mann kroch aus der improvisierten Deckung hervor, bärtig, zerzaust. Ein Hund streunte umher. Wem er gehörte, ob ihm oder dem Schickalsgenossen des Mannes, war unklar, denn der Mann war nicht allein.
Der zweite Mann war ebenso bärtig, was auf langes Ausharren hindeutet, und er hatte ein aus weißen Bettlaken geschnittenes weißes Hemd an: ein universelles Rettungssignal an alle ferngesteuerte Tötungsmaschinen. Er war leicht verwundet und hinkte. Die Drohne navigierte die beiden zu den russischen Positionen nach Norden. Auch der Hund gehörte der Gruppe an.
Dann jedoch folgte Beschuss. Nach Hunderten Metern des Weges krachte eine Kamikaze-Drohne den beiden buchstäblich auf die Füße. Der erste, gesündere Mann, war offenbar sofort tot: Er blieb regungslos liegen. Der andere war verwundet und versuchte mit einer Hand eine Stauschlauchbinde zu meistern, der Hund streunte besorgt um die beiden herum. Doch dann folgte der zweite Beschuss und wenig später lag auch der zweite Mann nur noch reglos da, allein der Hund blieb.
Diese Gnadenlosigkeit des ukrainischen Militärs gegenüber potenziell nicht loyalen Zivilisten sollte niemanden verwundern. Sie ist in zehn Jahren Krieg eingeübt worden. Es fing auf dem Kiewer Maidan, in Odessa und Mariupol an. Im ersten Sommer des Donbass-Krieges haben die Ukrainer in den umkämpften Gebieten die Flucht- und Versorgungswege ins Visier genommen und Autos mit Zivilisten mit Maschinengewehren, Schulterwaffen oder Panzern beschossen. Wie grausige Mahnmale säumten damals dutzende ausgebrannte Autowracks die einsamen Straßen.
Die Suche nach dem getöteten Fotojournalisten Andrei Stenin im August 2014 hat eine ganze Reihe solcher Verbrechen aufgedeckt, die sich allein auf einem kleinen Straßenabschnitt in der Nähe von Sneschnoje ereigneten. Natürlich gab es das gleiche Elend auch anderswo im Donbass. "Im September (2014) standen Hunderte von zerschossenen Autos mit toten Menschen auf den Straßen in den Grenzgebieten von LVR und DVR. Pendelbusse mit riesigen roten Kreuzen an den Seiten, Dutzende von Bussen und Autos", schrieb der Militärkorrespondent Alexander Koz im Jahre 2015. Dann wiederholte sich dieses Grauen 7–8 Jahre später bei den Kämpfen in Mariupol, Lissitschansk und anderen umkämpften Orten.
In der ersten Phase des Krieges waren die FPV-Drohnen als Kamikaze-Geräte noch wenig verbreitet. Nun ist diese Technologie so ausgefeilt, dass sie auch auf das "alte" russische Territorium einfliegen können und Zivilisten im Kursker oder Belgoroder Gebiet angreifen. Sie fliegen durch die Fenster von Wohnungen herein und töten deren Bewohner. Sie veranstalten Verfolgungsjagden auf Rettungswagen und töten zu Hilfe eilende Mediziner. Oder auch Familien, die mit ihren Kindern einfach nur unterwegs sind.
Diese Untaten der "tapferen Drohnenkrieger" sind natürlich kein Thema im Westen. Aber zu den Vorzügen der Drohnenrevolution gehört auch eine Tatsache: Während eine Drohne Unschuldige tötet, mag eine andere das Verbrechen direkt und simultan dokumentieren – nützlich für die juristische Aufarbeitung, die folgen wird, wenn dieser Nazismus im neuen Gewand endlich besiegt ist.
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