Von Tom J. Wellbrock
Eine zweite Meinung ist immer eine gute Idee – eine dritte und vierte sichert das Ergebnis ab. Was also hätte passieren können, als das Wirtschaftsministerium im letzten Jahr beim Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW), dem ifo Institut in München und zwei österreichischen Forschungszentren eine Studie in Auftrag gegeben und die Kosten übernommen hatte?
Ganz einfach: Die Ergebnisse könnten dem Ministerium des "Großen Robert" nicht gefallen. Und so kam es auch. Denn die Forscher kamen zum Schluss, dass die Sanktionen "Russlands Kapazitäten zur Kriegsführung kaum beeinträchtigen", was natürlich aus Habecks Sicht nicht so prickelnd ist. Doch es kommt noch schlimmer. Der im Rahmen der Studie erstellte Sanktionen-Monitor zeigt nicht nur "ein möglichst realistisches Bild", dieses Bild schmerzt auch noch, denn es belegt, dass Russland eine ziemlich starke Wachstumsrate hat, die nicht ausschließlich auf die Rüstungsindustrie zurückzuführen ist.
"Jetzt reicht's!", mögen sich Habeck und seine Gefolgsleute gedacht haben, "was erlauben sich Studie!"
Aus "Kaum" mach "Noch nicht ausreichend"
Die Studienautoren kamen zudem zum Schluss, dass die Kriegsfähigkeit Russlands durch die Sanktionen kaum beeinträchtigt werde. Das sieht eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWK) anders und korrigiert, dass andersherum ein Schuh draus wird. Und weil das so ist, so die Sprecherin, sei ...
"... es wichtig, den Sanktionsdruck konsequent aufrechtzuerhalten, insbesondere durch weitere Maßnahmen gegen russische Einnahmequellen sowie gegen die Beschaffung kriegsrelevanter Güter durch Russland."
Also: Es funktioniert nicht, lasst uns weitermachen! Man würde die Sprecherin gern einmal kräftig durchschütteln, doch das muss warten, denn das Auswärtige Amt, ebenfalls auf die Sanktionen angesprochen, hat noch mehr auf Lager. Es teilt die Ansicht der Studien überhaupt nicht und behauptet glatt das Gegenteil. Sicher wirken die Sanktionen, ist doch ganz klar. Ein paar Atemzüge später kommt dann aber vom BMWK das, was in der Berliner Zeitung nachzulesen ist:
"'Dass die Sanktionen bereits jetzt spürbar wirken, sei gut belegt', bekräftigt jetzt auch das Wirtschaftsministerium auf Anfrage – und bezieht sich auf Daten und Berichte anderer Wirtschaftsforschungsinstitute. Dass Russland trotzdem weiterhin in der Lage sei, den Krieg zu führen und unter anderem dadurch die Wirtschaft wachse, sei 'jedoch ebenfalls unbestritten'."
Kurz eingeschoben: Was machen Sanktionen?
Sanktionen haben unangenehme Folgen für ein Land. Die Wirtschaft wird geschwächt, der Handel erschwert, die Finanzströme geraten in Not. Doch das Schlimmste an Wirtschaftssanktionen sind die Auswirkungen auf die Menschen des betroffenen Landes. Sie sind die Hauptleidtragenden, was einer der Gründe dafür ist, dass Sanktionen zunehmend und weltweit als kriegerisches und zutiefst unmenschliches Mittel staatlichen Handelns verurteilt werden.
Aber zurück zur Studie.
Hätte, hätte, Fahrradkette!
Halten wir also fest: Die Sanktionen wirken zwar, sie beeinträchtigen aber weder die Kriegsfähigkeit Russlands noch tragen sie zu einem stagnierenden oder gar sinkenden Wachstum bei, im Gegenteil. Auf den ersten Blick ist das ein Beweis dafür, dass sie eben doch nicht wirken, denn wir haben ja gerade erörtert, was Sanktionen im Allgemeinen so machen sollen. Machen sie in diesem Fall aber nicht.
Allerdings wäre das Habeck-Ministerium nicht das Habeck-Ministerium, wenn es nicht eine Erklärung hätte. Denn die Studien haben nicht berücksichtigt, wie die Lage ohne Sanktionen wäre. Nun fällt das im Zuge der Aufgabenstellung auch schwer, weil die Beantwortung dieser Frage reine Spekulation wäre. Aber genau dabei, beim Spekulieren, sind die Männer und Frauen der Bundesregierung voll in ihrem Element. Und so kann es kaum überraschen, dass es Russland ohne die ganzen Sanktionen noch viel, viel besser ginge, es noch mehr Kriegsfähigkeit und noch mehr Wirtschaftswachstum zu verzeichnen hätte. Die Wirksamkeit der Sanktionen lässt sich also nicht nachweisen, aber die Unwirksamkeit im Fall ihres Ausbleibens kann man sich schon irgendwie vorstellen. Eine Faktenlage außerhalb der Faktenlage nach Art grüner Logik.
Im Grunde ist also alles geklärt, man weiß wenig und davon viel, aber sei's drum. Eine kleine Frage bleibt allerdings noch übrig: Was tun gegen die fiese Nummer Russlands, Sanktionen mithilfe von Partnern wie der Türkei oder China zu umgehen? Kein Problem, die Grünen denken groß. Die Berliner Zeitung dazu:
"'Die effektive Sanktionsumsetzung stellt in der vernetzten Weltwirtschaft eine enorme Herausforderung dar', gibt das Wirtschaftsministerium zu. Hier sieht die Behörde Unternehmen in der Verantwortung, zwielichtige Geschäftsanfragen zu sanktionierten Gütern zu hinterfragen und Hinweisen auf eine Verbindung nach Russland nachzugehen. Die Bundesregierung selbst und die zuständigen Strafverfolgungs- und Überwachungsbehörden, darunter Staatsanwaltschaften, Zoll und Zollkriminalamt, würden allen Hinweisen auf Sanktionsverstöße und -umgehungen nachgehen, informiert die Ministeriumssprecherin."
Das klingt doch gut. Bei der Umsetzung der nicht funktionierenden Sanktionen ist Deutschland weltweit unterwegs, spürt Bösewichte auf, aktiviert im Inland die Strafverfolgungsbehörden, das Zollkriminalamt, Überwachungsbehörden und Staatsanwaltschaften und zeigt den Putin-Verstehern mal so richtig, wo der Hammer hängt.
Nebenbei geht die eigene Wirtschaft weiter vor die Hunde, die Weltwirtschaft wird weiterhin negativ durch einen überflüssigen und vom Westen gewollten Krieg beschädigt und parallel dazu wird Deutschland aufgerüstet, bis der Arzt kommt. Wie bereits oben erwähnt, möchte man sie alle ordentlich durchschütteln, die da in politischer Verantwortung sind. Aber es würde ja eh nichts bringen – ob geschüttelt oder gerührt.
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.
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