Widerstand in Berlin: Kritische Künstler verspotten die Regierenden

Es gibt sie noch, die politisch völlig unkorrekte Kunst. Seit der Corona-Zeit haben in Berlin Netzwerke kritischer Künstler Wurzeln geschlagen. Nun treten sie auch gegen die Kriegspolitik der Bundesregierung ein, mittels bitterböser Satire. Ein Ausstellungsbericht.

Von Wladislaw Sankin 

"Die russophoben Schreibtisch-Krieger in den Redaktionen sind mitverantwortlich für den Tod hunderttausender Menschen in der Ukraine. Sie müssen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, denn sie haben Blut an ihren Händen", liest der Reporter, ehemalige Hochschullehrer und Publizist Patrik Baab vor – aus seinem neuen Buch im Kleinformat "Propagandapresse. Wie uns Medien und Lohnschreiber in Kriege treiben".

Messerscharf ist seine Kritik, die Begriffe haargenau, die Argumente wissenschaftlich fundiert und von seiner eigenen Erfahrung getragen. Telefonate in einem Donezker Hotel wegen einer denunziatorischen Fake-News-Kampagne gegen ihn in der deutschen Presse haben ihn und seinen Begleiter fast das Leben gekostet. Die Anklage des viel reisenden Journalisten und sein Zorn auf seine Ex-Kollegen bleiben beim Publikum hängen. 

Das ist die erste Lesung aus dem Buch und sie findet im "Sprechsaal" nahe S-Bahnhof Friedrichstraße in einem vornehmen Berliner Viertel statt, vom frisch gegründeten Diskussionsforum "Berlin-in-Dialog" und dem Nachrichtenmagazin Hintergrund organisiert. Versammelt ist ein kleinerer Kreis aus dem interessierten Fachpublikum, wobei viele der anwesenden Deutschen, wie sich später herausstellt, gut Russisch sprechen. Auch während der Fragerunde klingen die Antworten des ehemaligen NDR-Journalisten, der wegen seiner Donbass-Reisen Lehraufträge an zwei deutschen Unis verlor, wie echte Vorträge zur deutschen Mediengeschichte. Ich darf mit dem Experten ausführlich die Frage klären, ob etwa ich und andere Angehörige russischer Medien auch kritikwürdige "Lohnschreiber" seien.

Erst am Ende der Diskussionsrunde merke ich, dass wir uns eigentlich in einer Ausstellungshalle befinden. Sämtliche Wände um uns herum sind mit Bildern, Kollagen und Karikaturen behängt. Auch bei oberflächlichem Hinsehen sind auf ihnen die allseits bekannte Protagonisten aus der Bundespolitik gut zu erkennen. Was ich in diesem Moment noch nicht weiß – eine der Künstlerin, die viele dieser Bilder gemacht hat, ist hier anwesend. Sie wird von Baab zum Schluss vorgestellt.

Ich lerne sie kennen – sie heißt Jill Sandjaja. Nur langsam begreife ich, wie ihr Name auszusprechen ist, die junge Frau ist indonesischer Herkunft. Ich bitte die Künstlerin um eine kleine Einführung in ihr Werk. Diese gewährt sie gerne. Im Laufe des Gesprächs stellt sich heraus: Seit der ersten Stunde ihres Bestehens gehört sie der Bürgerbewegung "Demokratischer Widerstand" an. Ihr Lebensgefährte, Theaterregisseur und Publizist Hendrik Sodenkamp, ist wiederum Mitbegründer und Herausgeber der gleichnamigen Zeitung. Auf einer der Kollagen ist er mit einem Kranz aus gelben Gerichtsschreiben abgebildet.

"Damit habe ich angefangen, als auch all diese gelben Briefe abfotografiert und sie um seinen Kopf herum als Heiligenschein platziert habe. Denn man fühlt sich auch geehrt."

Auch der Ex-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat Sodenkamp angeklagt, wegen Verleumdung, nachdem dieser Spahn in seiner Zeitung als "Koksnase" beschimpft hatte. Auf einem der Bilder ist Spahn in einer Toilette zusammen mit seinem Ehemann Daniel Funke dargestellt, mit Geld und Kokain. Wie auch alle anderen Kollagen steckt dieses Bild voller Zitate. Darunter die Anspielungen auf den Masken-Skandal auf einem in der Toilette aufgehängten Bild; und auf den Reichtum von Spahn, der in Form seiner Villa in Berlin-Dahlem ebenso auf einem der Bilder dargestellt ist. Das Zitat "The World is yours" aus dem Film "The Scarface" rundet das Bild ab. 

Jill sieht einen Zusammenhang zwischen Pandemie-Politik, Impfzwang und Kriegspolitik, wo die Bürger nun mal zu "Kriegstüchtigkeit" erzogen werden. "Diese Politik ist menschenverachtend. Und es geht um Geld und Macht, um nichts anderes", sagt sie. Als "Reiter der Apokalypse" seien sowohl die Akteure der Corona-Krise als auch des Kriegstreibens zu sehen: Biden, Macron, Pistorius, Lauterbach, Baerbock und Strack-Zimmermann. "Pistorius wohnt hier in der Straße, ein paar Meter weiter. Wir wollten ihm den Katalog überreichen, aber er wollte ihn nicht haben", merkt sie an. 

Auf einer der ersten Kollagen dieser Art versinkt der grinsende Kopf des Bundeskanzlers in einer Zitronenpresse, deren Hebel in einer US-Hand liegt. Oben und unten Helikopter aus Koppolas "Apocalypse Now" und im Hintergrund das Symbol des Schweigens – Finger vor den Lippen.

"Das ist die Dokumentation einer Zeit, die passiert ist. Wir werden von den USA erpresst, ich sehe das so. Und Bezüge, Zitate und die ganze Architektur des Bildes müssen und können für jederman sofort erkennbar sein, da braucht man keine Vorkennstnisse", betont die Künstlerin. 

Die anderen Motive – Baerbock, die den "Zenith ihrer Dummheit erreicht hat", mit historischen Bildern aus der Friedensbewegung, "die immer da ist, weil sich nichts ändert", garniert mit den letzten Bauernprotesten. Das Bild, das ihr besonders am Herzen liegt, ist das Traum-Tribunal, wo die bekanntesten Akteure der coronakritischen Szene als Ankläger auf dem Podium sitzen. Alle Kollagen wurden in nur zwei Original-Exemplaren auf LKW-Plane gefertigt und je zum Preis von 300 Euro angeboten. "Sie müssen für ganz normale Bürger bezahlbar sein", erklärt mir Jill den günstigen Preis.  

Auch drei andere Künstler haben hier ihre Bilder ausgestellt, sind aber an diesem Tag nicht anwesend – Rudolf BauerOliver Sperl, Arndt Nollau. Eine Masse von kleineren bösen, satirischen Memes zieht meine Aufmerksamkeit auf sich, und ich mache auch davon ein paar Fotos. 

Im Laufe des Abends erfahre ich, dass Jill mit ein paar Dutzend anderer gleichgesinnter Künstler vor zwei Jahren die Internationale Agentur für Freiheit (IAFF) mitbegründet hat. Dass die Agentur schon mehrere Großveranstaltungen und Ausstellungen in Berlin organisiert hat. Und dass der nächste Termin unter dem Namen "Ausstellung für Freiheit" in der Musikbrauerei in September stattfinden wird. "Sicherlich gibt es doch Widerstand gegen euch?", frage ich Jill und denke sofort an die "Antifa" und ähnliche Gruppen, die mitunter fast alles, was sich gegen den Strich der Corona- und Ukraine-Politik der Bundesregierung sowie den NATO-Expansionismus richtet, unter verschiedenen Vorwänden niederbrüllen.

"Ja, den gibt es", sagt sie und verweist auf abgesagte Ausstellungen in Berlin-Neukölln und mehrere Kampagne-Artikel bei der Taz. In der Tat: "Coronaleugner machen sich in der Kunstszene breit, veranstalten Theater und Ausstellungen. Schwurbel sucht alternative Räume", schreibt die Taz im gewohnten Denunzianten-Duktus. Dieser Artikel ist fast nur ihrem Wirken gewidmet, und auf dem Titelbild prangt ein Foto von ihrem Lebensgefährten Hendrik Sodenkamp auf einer Kundgebung. Erst im Dezember gab es eine Taz- und Antifa-Kampagne gegen eine Vernissage in Café Rix in Neukölln, die sogar mit einem aberwitzigen Polizeigroßaufgebot endete.

Dennoch, die Künstler um Sandjaja und Sodenkamp haben nicht nur Feinde in der Berliner Presse. So fand im April in der Musikbrauerei eine Ausstellung gegen "Cancel Culture" statt, die von einem Mitarbeiter der Berliner Zeitung moderiert wurde. Am Ende bekomme ich von einer Kollegin von Jill ein paar Merchandise-Artikel der IAFF geschenkt und kaufe einen Ausstellungs-Katalog für 15 Euro. Ich weiß, die kritischen Künstler haben es besonders schwer, denn sie sind stets diejenigen, die um ihre Existenz bangen müssen.

Aber diese Menschen, die sich erdreisten, ausgerechnet in der heutigen Zeit eine freche, politisch völlig unkorrekte Kunst zu machen, haben ein besonderes Funkeln in den Augen. Und das zählt. Denn sie leben mit all ihrem Wirken das aus, wofür ihrer Meinung nach die Freiheit der Kunst überhaupt da ist. 

Die Abschlussveranstaltung, die "Finnisage" mit der Teilnahme von Uli Gellermann und allen ausstellenden Künstlern – Jill Sandjaja, Arndt Nollau, Rudolf Bauer und Oliver Sperl – findet am Freitag, dem 9. August um 19 Uhr statt. Geöffnet ist der "Sprechraum" an diesem Tag wie gewohnt ab 17 Uhr. 

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