Von Wladislaw Sankin
Nicht erst seit gestern befinden sich Russland und der Westen in einem neuen Kalten Krieg. Der umfassende Agentenaustausch, der vor wenigen Tagen stattfand und weltweit Schlagzeilen machte, war dafür nur ein weiterer Beleg. Was man aber vermisst im Vergleich zu dessen historischem Vorläufer, ist der Stil.
Während man in Russland die Tatsache akzeptierte, dass die involvierten Russen im Westen größtenteils tatsächlich illegalen Tätigkeiten nachgingen und deshalb als Agenten ausgetauscht wurden, tobte der Westen auch noch nach dem erfolgreichen Deal in scheinheiliger Empörung darüber, dass die "Unseren" in Russland als Geisel genommen würden. Den Ton gab und gibt US-Präsident Joe Biden an, wenn er behauptet, dass der Journalist der US-Zeitung Wall Street Journal (WSJ) Evan Gershkovich und US-Marine Paul Whelan "Schauprozessen" unterzogen und völlig "grundlos" inhaftiert gewesen seien.
Die Sprachregelung in der deutschen Presse war dementsprechend – mit lakaientypischer übersteigender Tendenz. Das Urteil gegen den Journalisten Evan Gershkovich sei nicht nur Putins perfides Spiel und ein Exzess des russischen Regimes, sondern auch ein Symbol des Stalinismus, urteilt etwa der Zeit-Autor Maxim Kireev. Es gebe keine Beweise, und nicht einmal einen konkreten Vorwurf (war etwa nicht von Anfang an von Spionage gegen die russische Rüstungsindustrie die Rede?). Der Zeit-Journalist ist sich sicher: "Gershkovich hat über die Rüstungsbranche in der Metropole Jekaterinburg recherchiert." Findet man die nötigen Informationen heutzutage nicht ohne Weiteres im Internet? Warum muss man von Moskau nach Jekaterinburg fliegen, wo sich der Sitz des Rüstungsriesen "Uralwagonsawod" befindet, um den Eingang zum Werkgelände für ein Titelbild zu fotografieren?
In Deutschland hat ein Deutsch-Russe laut den Strafverfolgungsorganen Einrichtungen des US-Militärs ausspioniert, sie fotografiert und zack war er verhaftet. "Sicherheitsgefährdendes Abbilden"! Die deutschen Medien haben natürlich für die diesem Deutsch-Russen vorgeworfene geplante Sabotagetätigkeit keine Beweise verlangt. Das komplette Fehlen jeglicher Beweise bei Putins angeblichen Attentatsplänen auf Rheinmetall-Chef Armin Papperger ist jedenfalls kein Hindernis für ebenjenen Maxim Kireev, die Mordpläne gegen Papperger als festes Faktum und erwiesene Tatsache zu betrachten. Putin habe ihm zufolge mit (immerhin) mutmaßlichen Attentatsplänen Papperger etwas klargemacht. Wussten Sie nicht, die befreundeten Geheimdienste lügen nie?
Etwas wortkarger verhält man sich bei dem US-Marine Paul Whelan. Im Unterschied zu Gershkovich ist es ungleich schwieriger, ihn in den Medien als Unschuldslamm darzustellen. Als er im Jahr 2018 in Russland verhaftet wurde, war Whelan Direktor für globale Sicherheit und Ermittlungen bei BorgWarner, einem internationalen Automobilzulieferer mit Sitz in Michigan. Durch seine Arbeit bei Kelly Services und BorgWarner hatte Whelan Kontakte zu den US-Geheimdiensten, zu Bundesagenten und ausländischen Botschaften, wie Wikipedia zu entnehmen ist. Aber trotz diesem ziemlich aussagekräftigen Hintergrund handelt es sich laut deutschen Medien auch Jahre nach Urteilsverkündung lediglich um einen "Spionageverdacht" (Deutsche Welle).
Um alle Zweifeln in den beiden Fällen Whelan und Gershkovich auszuräumen, hat RT am Montag die Videoaufnahmen der russischen Sicherheitsdienste veröffentlicht, die ziemlich klar belegen, dass die beiden zumindest bei ihren Festnahmen massiv etwas zu verbergen hatten. Nach allen Regeln der Kunst fand die Verhaftung der beiden US-Spione während der Übergabe der geheimen Informationen statt.
Ein Video zeigt Whelan in einer Moskauer Hotel-Toilette, wo er einen USB-Stick von einem Unbekannten entgegennimmt und in seine Hosentasche steckt. Die nächste Sequenz zeigt ihn während der Festnahme in einem Hotel-Zimmer, als er sagt, dass sich der Datenträger in einer "Obertasche" befindet. Später wird er aussagen, dass auf dem Stick die Fotos russischer Kirchen waren. Laut den russischen Strafverfolgungsorganen befanden sich auf dem in der Toilette übergebenen Datenträger jedoch die Personaldaten russischer FSB-Mitarbeiter.
Noch einen Tick spektakulärer sieht die Festnahme von Gershkovich aus. In einem Café setzt sich sein Informant zu ihm und schiebt ihm unbemerkt etwas über den Tisch. Gershkovich macht sich Notizen davon. Zuvor erklärt der Informant dem US-Journalisten in einem Telefongespräch, dass es sich bei den für die Übergabe vorgesehenen Daten um Geheimdienstmaterial handelt. Gershkovich sichert zu, für "anonyme Quellen" zu handeln. Eine ganz normale Recherche also laut der Zeit? Als eine Gruppe von FSB-Mitarbeitern in Zivil das Café betritt und der US-Journalist die Gefahr bemerkt, versucht er, das übergebene Material unter dem Tisch zu verstecken. Zu spät, denn in der nächsten Sekunde wird er von einem Vermummten am Nacken gepackt und zu Boden gezerrt, wo er mit Handschellen gefesselt wird.
Es stellt sich die Frage, warum sich die russischen Sicherheitsbehörden erst jetzt entschlossen haben, die operativen Videoaufnahmen den russischen Medien zur Verfügung zu stellen? Hätte man sich doch damit all die giftigen Spekulationen im Westen über Willkür und einen angeblich um sich greifenden "Stalinismus" ersparen können. Aber kann sich jemand an eine vergleichbare Transparenz bei den westlichen Geheimdiensten erinnern – egal, ob davor oder danach? In der Regel gibt es im Westen nicht mal ein Bild des Beschuldigten aus dem Gerichtssaal.
Angeblich geht es dann um Persönlichkeitsrechte und die Justiz, die, wie es heißt, ihrer Arbeit ungestört von den Medien nachgehen darf. Die Medien sollen der Justiz uneingeschränkt glauben. Und das tun sie – sofern es sich um den eigenen Justizapparat handelt. Da genügt schon eine völlig substanzlose CNN-Publikation über angebliche Anschlagspläne auf einen deutschen Rüstungsmanager, um die Fäuste gegen Russland zu strecken – im Bundestag, im Innenministerium, im Auswärtigen Amt und natürlich in Medien.
Die Justiz und Sicherheitsorgane des Gegners werden dagegen unter Generalverdacht gestellt und im Grunde genommen ist egal, was dieser an Beweisen liefert; man kann dem "Feind" selbst dann, wenn er Beweise vorlegt, noch deren Manipulation unterstellen. Es sind eben Russen und das erklärt doch alles. Wer unser Gegner ist, der ist stets perfide. Mit dieser scheinheiligen, unfairen Überheblichkeit sind niemals ein diplomatischer Umgang oder politische Aussöhnung zu erreichen, nur Krieg und Zerstörung. Der große Agentenaustausch ganz im Stile des Kalten Krieges war eine gute Nachricht, und zwar für beide Seiten; der von Heuchelei überschattete Umgang damit im Westen war jedoch wieder einmal eine schlechte.
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