Von Eva Bartlett
Anfang des Monats veröffentlichte The Lancet einen Artikel, in dem die Gesamtzahl der Todesfälle palästinensischer Zivilisten, die direkt und indirekt durch den israelischen Angriff seit Oktober 2023 verursacht worden sind, auf mehr als das Fünffache der offiziellen Zahl der Toten geschätzt wird. Der Autor schreibt, sie könne "bis zu 186.000 und mehr" erreichen.
Er erwähnte auch, dass "sich das in 7,9 Prozent der gesamten Bevölkerung Gazas übersetzen würde".
Laut diesem Text ist die letzte verfügbare Zählung der getöteten Palästinenser – 37.396 – viel zu niedrig, auf Grundlage der Tatsache, dass noch unbekannt ist, wie viele unter den Trümmern liegen, wie viele vermisst, aber nicht zu den Toten gezählt werden, und wie viele an Hunger, Austrocknung oder Krankheiten sterben werden. Dazu hieß es:
"Auch wenn der Konflikt sofort endet, wird es weiterhin viele indirekte Todesfälle in den kommenden Monaten und Jahren geben, aus Gründen wie reproduktiver, übertragbarer und nicht übertragbarer Krankheiten."
Selbst diese Schätzung von beinahe 200.000 Toten durch The Lancet könnte einigen Zählungen zufolge jedoch nur die Hälfte der tatsächlich getöteten Palästinenser umfassen.
Der Norweger Dr. Mads Gilbert, der im Laufe der Jahre längere Zeit in Gaza gearbeitet hat – insbesondere in Zeiten, in denen Israel gegen die palästinensische Enklave Krieg führte – skizzierte jüngst die vielfachen, verhinderbaren Bedingungen, die zu solchen "indirekten" Todesfällen beitragen, und schätzte, dass die Zahl der Toten oder derjenigen, die bald sterben werden, bei mehr als 500.000 liegen könnte.
Als Gründe für diese indirekten Todesfälle nannte er "den Mangel an Nahrung, die den Gazastreifen erreicht und die Zerstörung der Landwirtschaft, der Fischerei, der Geflügel- und Milchfarmen und so weiter. Der Wassermangel, der zu Austrocknung und Infektionen führt". Die dritte Komponente des "Dreiecks des Todes" seien gewöhnliche Krankheiten, schrieb Gilbert.
"Es gibt vielleicht bis zu 10.000 Krebspatienten oder mehr im Gazastreifen. Die israelische Armee bombardierte das Rantisi-Krankenhaus für Kinder mit Krebs und sie bombardierte das Türkische Freundschaftskrankenhaus für erwachsene Krebspatienten. Sie lassen keine Krebsmedikamente ins Land."
Mehr als 1,2 Millionen Menschen leiden wegen der schlechten hygienischen Bedingungen unter Infektionen, sagte er.
Gilbert verwies auf die derzeit hohen Temperaturen im Gazastreifen, den nicht eingesammelten Müll, die zerstörten Abwasserpumpen und die dadurch verursachten Überflutungen von Straßen mit unbehandeltem Abwasser, "das führt zu einer Hölle voller Parasiten, die Krankheiten verbreiten."
Dann gibt es die schwangeren Frauen, die unter unhygienischen Bedingungen gebären, deren Körper vom Hunger geschwächt sind. Er schätzt, dass seit dem 7. Oktober 2023 im Gazastreifen mehr als 50.000 Kinder geboren wurden, und fügte hinzu:
"All diese Frauen benötigen sauberes Wasser und gute Ernährung, um für ihre Kinder zu sorgen. Es gibt eine massive Übersterblichkeit bei schwangeren Frauen mit schwierigen Geburten, die Kaiserschnitte brauchen."
Die beinahe 40.000 Toten sind bereits eine erschütternde Zahl, aber diese jüngsten Schätzungen sind absolut schrecklich.
Geplanter Hunger und Krankheiten
In den drei Jahren, in denen ich in Gaza lebte (im Zeitraum von Ende 2008 bis Anfang 2013) sah und erlebte ich die Brutalität der israelischen Belagerung, die massiven Stromausfälle (16 bis 22 Stunden täglich, als ich dort lebte), nachdem Israel das einzige Kraftwerk zerstört hatte, und wie diese Stromausfälle Krankenhäuser trafen (Dialysen und Notaufnahmen, Inkubatoren, Kühlschränke für Medikamente etc.).
Die Stromausfälle betrafen auch die Möglichkeit, Abwässer zu behandeln oder sie zumindest ins Meer zu pumpen. Wenn sich zu viel Abwasser sammelt, fließt es über in die Straßen (wie bei mindestens einem schrecklichen Fall, als in einem Dorf im Norden des Gazastreifens fünf Zivilisten ertranken, weil die Kanalisation überfloss).
Die israelische Blockade selbst beschränkt sehr, was in den Gazastreifen hinein darf, auch Medizin, Gas zum Kochen, Treibstoff, Nahrungsmittel, Vieh, Saatgut, Dünger und vieles mehr. Gleichermaßen beschränkt sie die Exporte extrem und trägt damit zur Zerstörung der Wirtschaft bei.
Wie ich vor einigen Jahren schrieb, waren Stromausfälle, Knappheit von Treibstoff und Gas zum Kochen, dramatische Nahrungsunsicherheit, Wachstumsverzögerungen bei Kindern, 50 Prozent Erwerbslosigkeit und 96 Prozent nicht trinkbares Wasser jahrelang Wirklichkeit im Gazastreifen.
Tatsächlich schrieb ich bereits 2008 (aus Gaza), wie knapp die Lebensmittelhilfe ist, die in die Enklave gelassen wird:
"Die Zahlen der UN enthüllen, dass weniger als fünf Lastwagenladungen täglich hereingelassen wurden, verglichen mit 123 im Oktober und 475 im Mai letzten Jahres. Am 27. November erklärte die UN, dass ihr in Gaza die Nahrungsmittel und andere nötige Güter ausgegangen seien."
Damals gab es bereits einen dramatischen Mangel an "300 verschiedenen Arten von Medikamenten, wovon 95 (darunter Krebsmedikamente) in Gaza nicht länger erhältlich sind". 220 Maschinen für Dialysen und andere lebenswichtige Behandlungen, wie CT-Aufnahmen, waren nicht funktionsfähig.
Gleichermaßen gehen die Angriffe auf palästinensische Bauern und Fischer, die mit Kugeln und Granaten getötet und verstümmelt werden, die Entführungen von Fischern und der Diebstahl ihrer Boote seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten weiter und beschädigen ernsthaft die Möglichkeiten der Palästinenser, ihre eigene Nahrung anzubauen oder zu fangen.
Andere israelische Taktiken umfassen das Verbrennen palästinensischer Ernten, das Abhacken oder die anderweitige Zerstörung von Olivenbäumen und die Zerstörung von Bauernhöfen im gesamten Grenzgebiet. Die israelische Regierung ging sogar so weit, die minimale Menge an Kalorien zu berechnen, die nötig wären, damit die Palästinenser nicht ganz verhungerten.
Im Jahr 2010 schrieb ich über die systematische Zerstörung von Quellen und Zisternen vom Südosten bis zum Norden durch Israel, habe Bauern besucht und wurde Zeugin der Zerstörung. Viele gingen dazu über, zu versuchen, ihr Land per Eselskarren mit Wasserkannen zu bewässern. Seit über einem Jahrzehnt gelten 95 Prozent des Wassers aus der einzigen Grundwasserschicht im Gazastreifen als für den menschlichen Konsum ungeeignet.
Zählt man zu der unerbittlichen Belagerung noch die zahlreichen israelischen Kriege gegen den Gazastreifen hinzu, wird deutlich, dass Israel schon vor langer Zeit die Bühne für chronische Krankheiten, Wachstumsverzögerungen, Anämie und viele weiteren Krankheiten und Gebrechen bereitet hatte, lange vor dem 7. Oktober 2023.
Erinnern Sie sich, im Oktober erklärte der israelische Verteidigungsminister Joaw Galant:
"Ich habe eine komplette Belagerung von Gaza befohlen. Es wird keinen Strom geben, keine Nahrung, keinen Treibstoff, alles ist geschlossen. Wir kämpfen gegen menschliche Tiere, und wir handeln entsprechend."
Erinnern Sie sich auch daran, wie die israelischen Truppen wiederholt auf hungernde Palästinenser schossen, die für die spärliche Lebensmittelhilfe anstanden, die in den Gazastreifen gelangt, und bei dem schlimmsten dieser Massaker im Februar mindestens 115 Zivilisten töteten und mehr als 750 verletzten.
Einige Monate vor der Warnung von The Lancet, im März, stellte Ralph Nader ebenfalls das infrage, was er für eine ernsthafte Unterschätzung der im Gazastreifen getöteten Palästinenser hielt, und schrieb:
"Aus Berichten von Leuten vor Ort, Videos und Fotografien von einer tödlichen Episode nach der anderen, zuzüglich der Sterblichkeit, die das Ergebnis der Blockade oder der Zerstörung der entscheidenden Lebensnotwendigkeiten ist, ist es meiner Meinung nach eine weitaus wahrscheinlichere Schätzung, dass bis jetzt mindestens 200.000 Palästinenser umgekommen sind, und die Zahl steigt stündlich an."
Vor kurzem sagte Dr. Ahmad Yousaf, ein Arzt, der bei Med Global in Deir al-Balah in Zentral-Gaza arbeitet, in einem Interview:
"Diese Intensivstation ist voll mit Diabetikern, die eine sehr gut behandelbare Krankheit haben, aber an der einfachsten Sache sterben: weil das Insulin nicht verfügbar ist, weil es ihnen nicht erlaubt wird, es hereinzubringen, und die Kühlung weg ist. Auch wenn viele Amputationen die Folge von Verletzungen sind, es gibt Amputationen wegen nicht kontrollierter Diabetes."
"Die Zahlen sind viel höher, ich würde sagen, locker vier, fünf, sechsmal höher. Dazu noch jene, die in den kommenden Jahrzehnten sterben werden, sowohl an den psychischen Traumata als auch an den physischen Behinderungen, die mit den Ereignissen zu tun haben, die in den vergangenen neun Monaten passiert sind."
Die "sicheren Zonen" sind nicht sicher
Die Palästinenser, die in israelischen Gefängnissen zu Tode gefoltert werden, sollten auch zu den "indirekten" Toten gezählt werden, weil Israel mehr als 4.000 Palästinenser aus dem Gazastreifen entführt hat, darunter Kinder, Journalisten, Ärzte, Frauen (dies zusätzlich zu den beinahe 10.000 nicht aus dem Gazastreifen stammenden Palästinensern in israelischen Gefängnissen).
In den kanadischen Mainstream-Medien gibt es so gut wie keine Berichterstattung, und sehr wenig in den USA. Tatsächlich entfernt die New York Times, was nicht überrascht, Israel als die Todesursache aus der Überschrift, wenn sie titelt "Forscher sagen, die Einwohner im Gazastreifen sterben nicht nur an den Kämpfen im Krieg", und ansonsten Israel aus der Verantwortung für die Hungersnot herausschreibt, die es im Gazastreifen vorsätzlich herbeigeführt hat.
Es ergibt immer Sinn, auf die Heuchelei der westlichen Presse und der Reaktion der Fernsehsprecher hinzuweisen, wenn es Israel ist, das die Gräueltaten vollbringt, verglichen damit, wenn der Westen behauptet, Syrien, Russland oder ein anderer Staat habe Vergleichbares begangen. Währenddessen massakriert Israel weiterhin Palästinenser dort, wo angeblich "sichere Zonen" sein sollten, wie etwa jüngst bei der wiederholten Bombardierung des Flüchtlingslagers al-Masawi (mit mindestens 1,5 Millionen vertriebenen Palästinensern), wobei mindestens 71 Zivilisten getötet und beinahe 300 weitere verletzt wurden. Dann bombardierte Israel wenige Tage später das gleiche Lager erneut.
Es ist erschütternd, wie dieses Gemetzel an den Palästinensern weitergeht, mit etwas Händeringen und milden Verurteilungen. Wie Ralph Nader schrieb:
"Es ist von großer Bedeutung, ob die gesamten Verluste bisher und in Zukunft drei-, vier-, fünf-, sechsmal höher liegen. Es ist wichtig, um die Dringlichkeit eines dauerhaften Waffenstillstands zu erhöhen."
Eva Bartlett ist eine unabhängige kanadische Journalistin. Sie hat viele Jahre lang aus den Konfliktgebieten des Nahen Ostens berichtet, insbesondere aus Syrien und Palästina (wo sie fast vier Jahre lang gelebt hat).
Übersetzt aus dem Englischen.
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