Von Dmitri Bawyrin
Deutschland ist immer noch eines der reichsten und am weitesten entwickelten Länder der Welt, aber es ist eindeutig in eine Zeit eingetreten, in der der Gürtel enger geschnallt werden muss: Seine Wirtschaft zeigt im Zuge der Umstrukturierung für eine neue Ära bereits Alarmzeichen. Noch sind sie nicht gravierend, aber sie sind zahlreich – und zwar überall.
So ist die Zahl der Ladendiebstähle im Jahresverlauf um fast ein Viertel gestiegen: Die Deutschen schmuggelten Lebensmittel im Wert von mehr als vier Milliarden Euro an den Kassen vorbei, wodurch dem Staat Steuereinnahmen in Höhe von 560 Millionen Euro entgangen sind.
Berlin ist zu einem schmutzigen und muffigen Ort mit einer verfallenden Infrastruktur geworden. Schon früher fiel es im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten negativ auf, aber jetzt ist die Degradierung der Hauptstadt "für Augen und Nase" noch auffälliger.
In Restaurants und Cafés bietet man Beilagen gegen Aufpreis an, was eine Kleinigkeit zu sein scheint (manche Nationen lebten schon immer so), aber es trägt zur inflationären Müdigkeit bei und widerspricht den Traditionen des deutschen Familienessens.
Dies alles sind Teile einer Erscheinung, die im Land als "Krisenmodus" bezeichnet wird. Es gibt viele Debatten über seine Natur sowie darüber, was die Hauptursache war – der Konflikt mit einem so wichtigen Partner wie Russland, verschlimmert durch die Notwendigkeit, Dutzende Milliarden in das "schwarze Loch" der Ukraine zu stecken. Oder die Stagnation des Modells in der Amtszeit Angela Merkels, als es vorrangig darum ging, gut zu essen und nichts zu ändern, sodass notwendige, aber unpopuläre Reformen aufgeschoben wurden.
Aber niemand bestreitet, dass es definitiv einen Krisenmodus gibt, auch wenn man eine Zeit lang versuchte, ihn als "russische Propaganda" abzutun. Es ist auch klar, dass das Krisenregime noch lange anhalten wird.
"Es wird keine Rückkehr zu den guten alten Zeiten geben", stellt Bundeskanzler Olaf Scholz klar. Es liegt jetzt im nationalen Interesse Deutschlands, ärmer zu leben.
Dies folgt auch aus den Worten einer weiteren "Stütze" der deutschen Staatsführung, Außenministerin Annalena Baerbock. In ihrer Rede vor der Bundesakademie für Sicherheitspolitik bezeichnete sie die Unterstützung Kiews als das wichtigste nationale Interesse Deutschlands.
Damit konterte Baerbock diejenigen Deutschen, die vernünftigerweise die Milliardenhilfen für die Ukraine für Wohltätigkeit halten. Es handele sich vielmehr um eine Investition in die Sicherheit Deutschlands, und Sicherheit sei ein unbestreitbarer nationaler Wert, so die Außenministerin:
"Sicherheit ist keine Selbstverständlichkeit. Wir müssen in unsere Sicherheit investieren, Sicherheit muss bezahlt werden."
Ein Sperling ist ein Vogel, eine Eiche ist ein Baum, die Wolga mündet ins Kaspische Meer, und für die Sicherheit muss man zahlen. Und die Deutschen zahlen, und zwar sehr viel: Gemessen an den absoluten Zahlen stehen sie europaweit an erster Stelle, was die Hilfen für Kiew angeht. Aber gewinnt Deutschland dadurch mehr Sicherheit? Offensichtlich nicht.
Wenn sich ein Land auf die Wiedereinführung einer Wehrpflichtigenarmee vorbereitet, seinen Verteidigungshaushalt trotz finanzieller Engpässe um mehrere Größenordnungen aufstockt und die Propagandamythen über einen bevorstehenden Angriff Russlands auf die NATO wiederholt, fühlt es sich bestimmt nicht sicher. Auch im Sicherheitsbereich ist Deutschland also im Krisenmodus.
Offensichtlich liegt das wahre nationale Interesse der Deutschen in etwas anderem. Sie haben nur das Pech, dass dieses Interesse seitens ihrer Staatsführung missverstanden wurde.
Nationale Interessen zu verteidigen kann schwierig sein, sie zu verstehen ist einfacher. Jedes Land hat ein eigenes nationales Interesse, aber das durchschnittliche nationale Interesse besteht darin, stark genug zu sein, dem globalen Wettbewerb standzuhalten und seine geografischen und historischen Vorteile zu nutzen, um sich zu bereichern.
Deutschlands Vorteil bestand in seiner Rolle als wichtigste EU-Wirtschaft, die durch die enge Verflechtung mit Russland als großem Markt, profitablem Investitionsgebiet und Lieferant billiger Pipeline-Energie unterstützt wurde, sodass die deutsche Industrie rentabel blieb.
Nicht umsonst war die Sicherheit Deutschlands, solange dies funktionierte, auch in Ordnung. Das dabei eingesparte Geld (und im Falle Deutschlands eine Menge Geld) floss in Sozialprogramme, die heute zum großen Teil gekürzt sind und mit dem bisherigen "guten alten" Leben assoziiert werden.
Daraus folgt, dass es im nationalen Interesse Deutschlands lag, einen Militärkonflikt wie den zwischen Russland und der Ukraine zu verhindern. Oder – falls er doch ausbrechen sollte – ihn rasch und zuverlässig beizulegen. Jedenfalls sollte dieser Konflikt um jeden Preis lokal begrenzt bleiben, damit er nicht zu einem zweiten Kalten Krieg eskaliert.
Doch die deutsche Staatsführung verstand das nationale Interesse als Aufrechterhaltung des militärisch-politischen Bündnisses mit den Vereinigten Staaten, egal zu welchen Konditionen. Das Ergebnis ist letztlich so, wie es sein sollte: Deutschland verteidigt zu seinem eigenen Schaden das nationale Interesse der USA, das unter anderem in der Fortsetzung des Krieges in Europa, der Schwächung Russlands und der Zerstörung seines Bündnisses mit Deutschland besteht. Berlin tat in allen Krisensituationen das, was Washington von ihm verlangte, als ob es keine eigenen Interessen hätte.
Deutschland unterstützte den Staatsstreich in der Ukraine. Es weigerte sich, Moskau Garantien zu geben, dass Kiew nicht der NATO beitreten würde. Es ermöglichte Petro Poroschenko und Wladimir Selenskij, sich den Minsker Vereinbarungen zu entziehen, und erklärte anschließend in Person von Merkel, dass dies ein Trick war, um Zeit für die Aufrüstung der ukrainischen Streitkräfte zu gewinnen.
Man ging immer davon aus, dass Russland sich vor einer wirklich harten Antwort scheuen würde. Aber dieses Kalkül war nicht berechtigt.
Nach dem Beginn der militärischen Spezialoperation in der Ukraine schloss sich Deutschland der antirussischen Koalition an und handelte, um Moskaus Militäroperation zu verzögern. Es billigte klaglos die schmerzhaftesten Sanktionen gegen sich selbst und interessierte sich nicht einmal dafür, durch wen die für die deutsche Industrie wichtige Nord-Stream-Pipeline gesprengt wurde. Und nachdem nun klar geworden ist, dass die Wette des Westens auf die militärische Niederlage Russlands nicht aufging, tut Deutschland wieder alles dafür, dass die Konfrontation zu einem chronischen Stadium wird und weiterhin Ressourcen aus Deutschland abschöpft.
"Deutschland wird niemals einen Frieden unterstützen, der die Kapitulation der Ukraine impliziert", sagte Scholz im Bundestag.
In der Tat gibt es aber keine andere Option für den Frieden als die Kapitulation der Ukraine. Das heißt: Auch wenn für Russland alles vorbei wird, werden die Deutschen weiter mit dem Kopf gegen die Wand rennen und ihre Euro im ukrainischen "Ofen" verbrennen.
Das ist ihr nationales Interesse. Das ist zwar das nationale Interesse der USA, aber für die deutschen Eliten ist es inzwischen das Gleiche. Sie sehen den Unterschied nicht und werden noch viel mehr opfern, damit andere den Unterschied auch nicht sehen und den Krisenmodus als Sorge um die eigene Sicherheit akzeptieren.
Scholz, Baerbock und Co. haben bereits alles für sich entschieden, für sie gibt es definitiv keine Rückkehr mehr. Die anderen Bürger haben weiterhin die Möglichkeit, sich Gedanken zu machen. Es gibt doch eine Alternative für Deutschland.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 3. Juli 2024 zuerst auf der Homepage der Zeitung Wsgljad erschienen.
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