Von Dmitri Ljubinski
Heuer zelebriert man mit viel Pathos den 75. Jahrestag der NATO-Gründung. Als Höhepunkt der Feierlichkeiten wird das Gipfeltreffen der Allianz am 9. und 10. Juli in Washington konzipiert. Aus diesem Anlass wird im Rahmen einer groß angelegten PR-Kampagne unter dem Motto "All for one, one for all" auch hierzulande für das "Verteidigungsbündnis" fleißig die Werbetrommel gerührt. Zugegeben, in Sachen Selbstinszenierung kann der NATO niemand das Wasser reichen. Gerne lässt man sich als "Sicherheitsgarant" im transatlantischen Raum, als Friedensstifter und Heilbringer feiern.
Wenn man sich aber die "NATO-Friedensmissionen" der neuesten Zeit vor Augen führt, wird zweifellos schnell klar, dass diese der Welt nichts als Tod und Zerstörung gebracht haben. Man erinnere sich nur an das völkerrechtswidrige Bombardement Jugoslawiens, das mehr als 1.700 Zivilisten das Leben kostete. NATO-Sprecher Jamie Shea bezeichnete die vielen unschuldigen Opfer damals zynisch als "Kollateralschäden". Oder an die kläglich gescheiterte 20-jährige "Antiterroroperation" in Afghanistan sowie die "humanitäre" Intervention einer Koalition von NATO-Ländern in Libyen, die das Land in Chaos und Elend stürzte. Das Bündnis fühlte sich stets im Recht, das Schicksal ganzer Länder und Völker bestimmen zu können. Was nicht in die "regelbasierte Weltordnung" der USA passte, sollte passend gemacht werden.
Russland war der NATO mit seiner prinzipiellen Position im UN-Sicherheitsrat daher stets ein Dorn im Auge. Die Beziehungen des Bündnisses zu unserem Land gestalteten sich schwierig. Die Arbeit im 2002 geschaffenen NATO-Russland-Rat verlief stockend. Trotz einer Reihe gegenseitig vorteilhafter Projekte wie z. B. einer gemeinsamen Ausbildung von Sicherheitskräften für Afghanistan, der Initiative zur Zusammenarbeit im Luftraum oder eines gemeinsamen Plans zur Terrorismusbekämpfung gewann die Konfrontationsagenda stets die Oberhand. Der Westen sprach von den Grundsätzen der Offenheit und Verständigung, war aber nie bereit, die gegen unser Land gerichteten Mechanismen der Abschreckung und Eindämmung fallen zu lassen.
Keine einzige Initiative Russlands, die die Bildung eines einheitlichen und gemeinsamen Sicherheitsraums in Europa sowie die Minderung des Militärfaktors anstrebten, wurde ernst genommen. So wurde etwa die Ratifikation des adaptierten Vertrages über Konventionelle Streitkräfte in Europa abgelehnt, genau wie der Vorschlag über einen einheitlichen europäischen Sicherheitsvertrag.
Die fundamentalen Gegensätze zwischen Russland und der NATObegannen sich noch lange vor der Ukraine-Krise herauszukristallisieren. Der Drang der Allianz Richtung Osten, der Austritt der USA aus grundlegenden Rüstungskontrollabkommen, das Abgehen vom Prinzip der ungeteilten Sicherheit gegenüber Russland, die Schaffung neuer Trennlinien sowie die aggressiven Aktivitäten im postsowjetischen Raum – das alles führte zur massiven Abwertung unserer Beziehungen.
Schlussendlich brauchte es für das Weiterbestehen eines riesigen Militärbündnisses wie der NATO einen gemeinsamen ebenbürtigen Feind. Das, was lange Zeit heftig und auf allen Ebenen abgestritten worden war, wurde 2022 endlich offiziell: In seinem neuen strategischen Konzept bezeichnete die Allianz die Russische Föderation als die größte und unmittelbarste Bedrohung für die Sicherheit der Verbündeten im euroatlantischen Raum. Die Masken waren endgültig gefallen.
Heute verläuft die Konfrontation der NATO mit unserem Land in allen geografischen Richtungen. Besonders die "Ostflanke" der Allianz wird aufgestockt. Die Ukraine, die zur wichtigsten Konfliktarena geworden ist, wird von NATO-Ländern mit Waffen vollgepumpt. Über "Militärberater" steuert man die ukrainische Kriegsführung, versorgt das Land mit Aufklärungsinformation. Infolge der Anwendung von NATO-Waffen sterben massenweise Zivilisten. Dabei spielen die Verluste unter den Ukrainern für deren westlichen Schutzherrn keine besondere Rolle. Für die Allianz sind sie ja nur Mittel zum Zweck.
Wie ein Geschwür breitet sich das Militärbündnis aus und versucht, immer mehr Länder in seine Konfrontationsspirale mit Russland hineinzuziehen. Auch Österreich ist keine Ausnahme. Noch halten die österreichischen Bürger der Propaganda stand – bei der jüngsten Umfrage sprachen sich 74 Prozent der Befragten klar gegen einen Beitritt ihres Landes zur NATO aus – aber für wie lange? In ihrer Alltagstätigkeit ignorieren die jetzigen Entscheidungsträger größtenteils diese Meinung. Wir unsererseits bilden uns eine eigene Meinung und ziehen die Schlussforderungen ausgehend von den Realitäten der Politik.
Was die Beziehungen der Allianz mit Russland anbetrifft, so darf man in absehbarer Zeit überhaupt keine Normalisierung der Verhältnisse erwarten. Die Schuld dafür tragen Washington und Co. Die Korrektur der gegenüber Russland begangenen Fehler liegt also an ihnen. Aber eines muss der NATO klar sein: Ohne gegenseitigen Respekt vor den Sicherheitsinteressen des jeweils anderen, ohne Gleichberechtigung und die Wiederaufnahme eines sachlichen Dialogs zu sicherheitsbildenden Maßnahmen in Europa wird es keine Perspektive für einen Neuanfang in unseren Beziehungen geben.
Ob es dazu aber jemals kommen sollte, bleibt eine große Frage. Schließlich hat die NATO als Kind des Kalten Krieges die Rivalität mit Russland in ihrer DNA, daran wird sich wenig ändern. Aber dieser Weg hat keine Zukunft.
Dmitri Jewgenjewitsch Ljubinski ist Botschafter der Russischen Föderation in Österreich.
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