Von Sergei Mirkin
Zuerst sprach sich der Chef des Kiewer Regimes Wladimir Selenskij und dann sprachen sich auch seine graue Eminenz Andrei Jermak und sein Außenminister Dmitri Kuleba für eine Teilnahme Russlands an einem sogenannten zweiten Friedensgipfel aus.
Eine solche Position der ukrainischen Führung steht in krassem Gegensatz zu dem, was sie selbst noch Anfang Juni vor der mittlerweile gescheiterten Konferenz in der Schweiz sagte.
Zuvor hatte man in Kiew den Glauben, dass alle Teilnehmer der Schweizer Konferenz "Selenskijs Friedensformel" als Grundlage für einen "Friedensplan" anerkennen würden, worauf basierend dann ein Ultimatum an Russland formuliert werden könnte, das nicht nur vom Westen, sondern auch vom Globalen Süden unterstützt würde. Doch in der Realität kam es anders: Auf der Konferenz selbst wurden lediglich drei von zehn Punkten der "Selenskijs Formel" diskutiert, und zwar eher nebensächliche.
Drüber hinaus weigerten sich Länder des Globalen Südens wie Indien, Brasilien, Saudi-Arabien, das Abschlusskommuniqué zu unterstützen, obwohl sie bei dem Treffen anwesend waren. China schickte nicht einmal eine Delegation zu dieser Show-Veranstaltung. Von welchem Ultimatum kann da noch die Rede sein?
Bedeutet das etwa, dass solche Äußerungen ukrainischer Politiker über Russlands Teilnahme an einem anderen Gipfeltreffen als Verhandlungsbereitschaft bewertet werden sollten? So einfach ist das nicht. Selenskij hatte einst die Präsidentschaftswahlen deswegen gewonnen, weil er einen Frieden im Donbass versprochen hatte. Seine Worte sind also nicht viel wert. Doch warum wollen Selenskij und seine Handlanger nun eine Dialogbereitschaft zeigen?
Die erste Variante wäre: Angesichts des Scheiterns der Konferenz in der Schweiz, der ungünstigen militärischen Lage an der Front und der durch die totale Mobilmachung in der Ukraine verursachten sozialen Spannungen sucht Selenskijs Team tatsächlich nach Frieden. Derselbe Jermak etwa sagte, dass das "zweite Gipfeltreffen" dem Krieg ein Ende setzen solle. Und Selenskij sagte, dass ein neues Treffen nicht lange hinausgezögert werden dürfe, sondern in wenigen Monaten stattfinden müsse.
Doch auch auf der nächsten Konferenz wollen Selenskijs Team und seine westlichen Gönner die erste Geige spielen, und das Hauptthema soll wiederum die "Selenskijs-Formel" sein, wenn auch in einer abgeschwächten Variante.
Russlands und Chinas Vorschläge werden auch angehört, aber nur der Formalität halber. Das Hauptziel des "Gipfeltreffens" wird darin bestehen, Russland einen Frieden zu den Bedingungen der Ukraine und des Westens aufzuzwingen. Möglicherweise könnte die Ukraine auf Forderungen einer Rückkehr zu den Grenzen von 1991 verzichten und "nur" eine Rückkehr zu den Grenzen von 2022 fordern. Doch ohne Wenn und Aber werden Schadenersatzforderungen erhoben..
Aber warum sollte Russland an einer solchen Veranstaltung teilnehmen? Ein Raketenangriff auf Sewastopol, die Terroranschläge in Dagestan – das alles sind wohlkoordinierte Aktionen des Westens, um die Lage in Russland zu destabilisieren, religiöse und ethnische Konflikte auszulösen und Angst unter der Bevölkerung zu schüren. Eines der Ziele von solchen Aktionen könnte der Wunsch sein, Russland ungünstige Bedingungen für einen Frieden aufzuzwingen. Denn wenn man liest und hört, was ukrainischen Politikern und Politologen schreiben und sagen, so glauben sie noch immer, dass Russland zerbrechen wird und die Ukraine immer noch als Sieger aus dem Konflikt hervorgehen wird. Der Terror ist die beliebteste Methode der Maidan-Anhänger und für ihre westlichen Gönner ein völlig akzeptables Werkzeug.
Und doch glauben ernsthafte Menschen im Westen kaum, dass Russland mittels Terror "gebrochen" werden und gezwungen werden kann, ihrem Willen zu folgen. Sie haben wahrscheinlich eigene Pläne.
Die zweite Variante wäre: Selenskijs Team und der Westen brauchen ein Einfrieren des Konflikts und hoffen darauf, das mit Chinas Hilfe erreichen zu können. Die Ukraine und der Westen werden sich einigen, China die Rolle des Hauptmoderators bei der nächsten Friedenskonferenz zu übertragen. Als Grundlage der Verhandlungen würde Chinas Friedensplan gelten, der unter anderem einen sofortigen Waffenstillstand vorsieht. Auf der Konferenz wird Russland seine Vom Präsidenten formulierte Position verteidigen. Das wichtigste Hoffnung in Kiew und Washington, D.C. ist, dass Peking Moskau unter Druck setzt und dazu bringt, einem vorübergehenden "Einfrieren" zuzustimmen.
China würde somit seine internationale Autorität stärken und die Lorbeeren des wichtigsten Friedensstifters ernten. Verhandlungen könnten sich über Monate oder sogar Jahre hinziehen. Die Ukraine würde in einer ruhigeren Lage eine Mobilmachung durchführen können, und der Westen kann das Land weiter mit Waffen vollpumpen. Wenn die Kämpfe erneut aufflammen, wird der Westen China dafür verantwortlich machen, dass es den Frieden nicht garantieren konnte. Der Terror würde wieder das Werkzeug sein, mit dem die Ukraine und der Westen Russland zu einem Einfrieren des Konflikts drängen werden. Es ist allerdings zu bezweifeln, dass ein so erfahrener Politiker wie Chinas Präsident Xi Jinping sich zu einem willenlosen Spielzeug in den Händen Kiews und Washingtons machen lässt und die Beziehung zu Moskau für die zweifelhaften Lorbeeren eines "Friedensstifters" aufs Spiel setzt.
In ukrainischen Medien findet man die Version, dass China die einzige Macht auf der Welt sei, die heute den Konflikt beenden und der Ukraine ihre Existenz garantieren könne. Dafür müsse Kiew jedoch den chinesischen Friedensplan akzeptieren, ernsthafte Zugeständnisse an Russland machen und der chinesischen Wirtschaft Vorzugskonditionen gewähren. Es ist zweifelhaft, ob ein solches Szenario dem kollektive Westen zusagen würde, denn seine Umsetzung würde bedeuten, dass die Ukraine kein Protektorat von Washington und London mehr sein wird. Das bedeutet, dass es keine Einigung zwischen Kiew und China geben wird, solange Selenskij an der Macht ist.
Die dritte Variante: Die gesamte Rhetorik der ukrainischen Führung über eine angebliche Bereitschaft zu Verhandlungen mit Russland ist nur ein Rauchvorhang im Informationsraum. In Wirklichkeit bereitet sich die Ukraine auf eine neue Offensive vor, denn im Weißen Haus verlangt man von der Ukraine irgendeinen Sieg im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahlen. Wenn es also um Verhandlungen geht, versucht Selenskijs Team dem Globalen Süden seine Friedfertigkeit zu demonstrieren, nach dem Motto: Wir sind ja bereit, mit Moskau zu sprechen, doch es ist Russland, das keinen Frieden will.
Darüber hinaus sollten die Andeutungen über Verhandlungen Moskaus Wachsamkeit einschläfern und eine neue Offensive zu einer Überraschung machen. Es gibt die Version, dass Kiew den "zweiten Gipfel" nach solch einer Offensive durchführen will – in der Hoffnung, dass diese erfolgreich sein würde und die Ukraine Russland einen für Kiew vorteilhaften Frieden aufzwingen kann. Diese Version hängt auch mit der ersten Variante zusammen.
Es fällt schwer, an den Wunsch der Maidan-Politiker nach Frieden zu glauben. Zu nachhaltig sind noch die Minsker Verhandlungen in Erinnerung, bei denen die ukrainischen Vertreter morgens das eine sagten, mittags etwas anderes und abends etwas drittes sagten, aber alle ihre Aktionen darauf abzielten, eine Eskalation des Kriegs anzuzetteln. Es ist fraglich, ob sich heute daran etwas geändert hat. Das sind die gleichen Leute, und ihr Wesen ist dasselbe geblieben.
Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei Wsgljad am 27. Juni 2024.
Sergei Mirkin ist ein Journalist aus Donezk.
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