Von Dagmar Henn
Das ZDF kann sich vor Freude kaum mehr halten. In einer "Analyse" wird vermeldet:
"Die Ukraine hat am Sonntag erfolgreich das russische Langstrecken-Weltraumkommunikationszentrum mit dem Codenamen NIP-16 auf der besetzten Krim angegriffen."
Während die Toten am Strand von Sewastopol kein Wort des Mitgefühls wert waren, ist die Beschädigung einer Kommunikationsanlage, die theoretisch bis zu einer Entfernung von 300 Millionen Kilometern kommunizieren kann, Anlass für besondere Freude. Obwohl derzeit gerade zwei US-amerikanische Raumfahrer an Bord der ISS wahrscheinlich auf russische oder chinesische Hilfe angewiesen sind, um zur Erde zurückkehren zu können.
Der dafür vorgesehene "Starliner" von Boeing, in dem der Rückflug ursprünglich bereits heute erfolgen sollte, ist beschädigt. Wäre Russland nicht Russland, wäre eine Verweigerung dieser Hilfe eine denkbare Konsequenz. Schließlich wäre es jederzeit möglich, zu erklären, dass Derartiges als Folge dieses US-ukrainischen Angriffs gerade leider nicht möglich wäre.
Den beiden ZDF-Jublern geht es aber nicht um die Kommunikation in die Tiefen des Alls.
"Auch wenn die genauen Fähigkeiten nicht bekannt sind, steht fest, dass die Einheit eine Schlüsselrolle bei der Kommunikation mit allen russischen Raumfahrzeugen, einschließlich der Militärsatelliten, gespielt hat. Auch wenn Russland sicherlich über Reservekapazitäten verfügt, ist die Beschädigung der NIK-16 eindeutig ein schwerer Schlag."
Es handele sich dabei um "Russlands strategische Fähigkeiten", mithin um einen Sieg für die Ukraine. Dabei wird dann von den freudetrunkenen Autoren noch auf die beiden ukrainischen Angriffe auf das russische nukleare Frühwarnsystem verwiesen.
"Damit hat die Ukraine innerhalb von etwa zwei Monaten zwei wichtige russische Satellitenkommunikationszentren und zwei russische Radaranlagen mit sehr großer Reichweite ausgeschaltet."
"Ausgeschaltet" ist eine ziemliche Übertreibung, wie bereits zum Zeitpunkt dieser Angriffe bekannt wurde. Damals gab es auch – leider nur außerhalb des westlichen Mainstreams – genug Kommentare, die darauf hinwiesen, wie extrem gefährlich derartige Angriffe sind. Die beiden Jungs vom ZDF haben damit aber überhaupt kein Problem:
"Während Russlands Offensivpotenzial nicht beeinträchtigt wird (da keine Raketenwerfer getroffen wurden), wird sein Verteidigungspotenzial gegen strategische Waffen geschwächt. Daher drängen diese Angriffe Moskau faktisch von einer strategischen Eskalation ab."
Eine Aussage, die völlige Ahnungslosigkeit über die Regeln des nuklearen Gleichgewichts belegt. Beim Abschuss russischer Atomraketen spielen diese Radare überhaupt keine Rolle (abgesehen davon, dass "Raketenwerfer" allerhöchstens taktische Nuklearsprengköpfe verschießen können; die Herrschaften sollten mal einen Blick auf eine der Paraden zum Tag des Sieges werfen und nachschauen, welche Größe beispielsweise eine Abschusseinheit von "Jars" hat – NATO-Code SS-27 Mod. 2 Sickle-B, damit sie sie auch finden können). Wobei sie allerdings eine wichtige Rolle spielen, ist, durch eine Verlängerung der Vorwarnzeit die Wahrscheinlichkeit von Fehleinschätzungen zu verringern.
Das Problem mit Atomwaffen ist nämlich nicht, vielleicht einen derartigen Angriff zu verpassen. Dazu gibt es ein System, das sich "tote Hand" nennt, das einen Gegenschlag automatisch auslöst. Der eigentliche Zweck derartiger Einrichtungen besteht darin, einen Fehlalarm besser von einem echten unterscheiden zu können. Wer die Geschichte während des Kalten Krieges kennt, weiß, dass derartige Fehlalarme in dieser Zeit mehrmals passiert sind; das statistische Risiko eines durch einen schlichten Fehler ausgelösten Atomkriegs ist weit höher als das eines absichtlich geführten, auch wenn der Westen derzeit viel in letztere Variante investiert.
Genau das ist auch der Punkt bei den US-amerikanischen F-16. Diese Flugzeuge sind prinzipiell geeignet, atomare Waffen einzusetzen, und nichts, gar nichts legt es im Zusammenhang mit nuklearen Angriffen nahe, erst einmal abzuwarten und zu sehen, was da abgeschossen wird. Im Gegenteil: Die, übrigens bei allen denkbaren Beteiligten, übliche Regel besagt, dass jeder Angriff, der atomar sein kann, als ebensolcher gewertet werden muss. Was genau der Grund war, warum in besseren Zeiten sogar wechselseitige Inspektionen der Raketensilos zwischen den USA und der Sowjetunion stattfanden. Mehr Wissen bedeutet weniger Fehleinschätzungen.
Ganz nebenbei gestehen die zwei Helden sogar ein, dass am Einsatz von ATACMS-Raketen die USA immer beteiligt sind:
"Hätten diese Angriffe ein Eskalationsrisiko dargestellt, hätten die USA sie mit Sicherheit verhindern können, insbesondere die Angriffe auf die tief im Inneren Russlands gelegenen Einrichtungen, indem sie einfach nicht die für die Angriffe erforderlichen Informationen geliefert hätten."
Damit wäre die Frage der US-Beteiligung am Terrorakt am Strand von Sewastopol auch quasi hauptamtlich geklärt, oder? "Hätten verhindern können." Gut, dass wir darüber geredet haben.
Verblüffend ist allerdings der Kinderglaube an die guten Vereinigten Staaten. Was müssen sie noch wegsprengen, wenn selbst Nord Stream nicht reichte, um mal darüber nachzudenken, dass der große Bruder jenseits des großen Teichs womöglich nicht dem Guten, Wahren und Schönen, sondern ganz schnöde eigenen Machtinteressen dient? Nicht einmal die Aufrechterhaltung des israelischen Terrors durch die Lieferung entsprechenden Materials scheint diese Knaben zweifeln zu lassen.
"Man muss hinzufügen, dass die Schwächung des russischen Langstreckenradars und des Satellitenpotenzials ein integraler Bestandteil der Vorbereitung der Ukraine auf die Aufnahme der F-16-Kampfjets und damit auf eine größere und operativ bedeutendere Luftwaffe ist. Die Angriffe haben also nicht nur strategische, sondern auch operative Bedeutung."
Man ist ja versucht, darauf hinzuweisen, dass zur eventuellen Entdeckung der F-16 schon das vernetzte Luftabwehrsystem Russlands genügt. Auch das kann man wissen, dass jedes einzelne Radar, ob in Frontnähe oder andernorts, seine Daten in ein einziges gigantisches System einspeist. Sprich, was ein Radar sieht, sehen alle, und dafür braucht es nicht einmal irgendwelche hyperduper Weltraumanlagen. Vermutlich wird längst zumindest daran gearbeitet, auch die von Drohnen erhaltenen Daten direkt einzuspeisen, wenn das nicht schon der Fall ist.
Aber wer derartigen Unfug schreibt wie diese beiden "Analytiker", bei dem ist vermutlich selbst ein Hinweis auf die russische Wikipedia verlorene Liebesmüh. Auch wenn der eine der beiden, Christian Mölling, tatsächlich stellvertretender Leiter des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) ist, auch einmal eine Zeit am RUSI verbracht hat, das zumindest gelegentlich für Erkenntnisse gut ist, und einige Jahre bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, die zum BND gehört und ihn mit zumindest einem gewissen Zugang zu realen Daten versorgt haben dürfte. Wirklich, ein erwachsener Mann und nicht der Redaktionspraktikant. Der zweite, András Rácz, ist Ungar, aber jetzt ebenfalls bei der DGAP, und promovierte ursprünglich in Neuerer Geschichte. Besonders niedlich in seiner Biografie bei der DGAP ist übrigens die Bemerkung, "András Rácz ist nicht identisch mit dem András Rácz, der bei der ungarischen Pro-Regierungs-Tageszeitung Magyar Nemzet arbeitet"...
Die Geschichte bis 1989, die Grundprinzipien der gegenseitig zugesicherten Zerstörung (MAD) und die konkreten Illustrationen der Risiken eines unbeabsichtigten nuklearen Konflikts, wie man sie beispielsweise anhand der Ereignisse rund um das NATO-Manöver "Able Archer" erkennen kann, liegt ihnen beiden sichtlich völlig fern. Während es ihre Aufgabe wäre, die Regierung vor gefährlichen Fehlentscheidungen zu warnen, sind sie selbst so tief in ihre blinde Parteinahme für die Ukraine verstrickt, dass sie zum Teil des Problems werden, statt zur Lösung beizutragen.
Es ist ja nachvollziehbar, dass jemand, der gerade zusehen muss, wie die ukrainische Lieblingsdiktatur auf ihre militärische Niederlage zustrebt, versucht ist, das irgendwie zu kompensieren. Es ist allerdings höchst bedenklich, dass derartige wahnhafte Kompensationsakte dem deutschen Publikum als "Analysen" serviert und behandelt werden, als wären es vernünftige Ausführungen über die Wirklichkeit. Das Risiko eines Atomkriegs ist kein Thema, bei dem man seinen Spieltrieb austoben und irrationales Handeln auch noch belobigen sollte.
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