Von Susan Bonath
Wer in Deutschland in soziale Not gerät, findet sich in einem repressiven Bürokratiedschungel wieder. Daher sind Sozialvereine oft Anlaufstelle in größter Not. Ihnen drosselte die Ampel bereits dieses Jahr die Finanzen stark. Auch dürfen Jobcenter Erwerbslose wieder mit Hungersanktionen zu fast jeder Arbeit nötigen.
Kommendes Jahr wollen die Ampel und Teile der Opposition den Sozialstaat nun weiter stutzen. Das Geld benötigen sie für ihren explodierenden Rüstungsetat. Während die Politik und deutsche Leitmedien emsig die Kriegstrommel gegen Russland rühren und wie üblich gegen unterprivilegierte Gruppen wie Flüchtlinge und Bürgergeldbezieher hetzen, sammelt der militärisch-industrielle Komplex gigantische Profite ein.
Neue Kürzungspläne
So wurden jetzt Pläne bekannt, wonach die Ampel trotz Inflation den Etat für das Bürgergeld um weitere 2,6 Milliarden Euro kürzen will. Die Informationen sickerten aus den Koalitionsberatungen zum Haushalt für 2025 durch.
Nach Angaben der jobcenternahen Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Arbeit beabsichtigt die Bundesregierung besonders harte Einschnitte bei der Finanzierung von Maßnahmen zur Rehabilitation und beruflichen Weiterbildung sowie insgesamt bei den Jobcentern. Das dürfte zu weiteren Umschichtungen innerhalb der Behörden zulasten der Erwerbslosen und zugunsten der Personalkosten führen.
Das Bundesnetzwerk für Arbeit und soziale Teilhabe reagierte darauf mit einem offenen Brief. Schon jetzt sei öffentlich geförderte Beschäftigung zur sogenannten Eingliederung in den Arbeitsmarkt von Menschen mit zahlreichen Vermittlungshindernissen nicht mehr ausreichend finanzierbar. Das neuerliche Vorhaben der Ampel führe zur weiteren Ausgrenzung Betroffener, so das Netzwerk, das ein "Verbund von mehr als 240 Sozialunternehmen" ist.
Sozialabbau ist Ampel-Konsens
Auf die Kürzungen hat offenbar vorrangig Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) bestanden. Der würde wohl das Bürgergeld, ehemals Hartz IV, am liebsten ganz einstampfen. Deutschland gebe Milliarden aus, um Menschen zu unterstützen, "die nicht arbeiten", hetzte er jüngst in gewohnter Manier. Man dürfe nicht die Schuldenbremse lockern, "sondern muss diese Verteilungspolitik einstellen", fügte Lindner demnach an.
SPD-Chefin Saskia Esken gab sich ob der Äußerungen des FDP-Ministers pikiert. Gerade in "einer Zeit massiver Unsicherheit" dürfe man "den Sozialstaat nicht immer wieder infrage stellen", sagte sie. SPD-Vizechef Achim Post betonte, seine Partei schließe, "den Rotstift beim sozialen Zusammenhalt" aus.
Wie hohl die Phrasen der SPD-Funktionäre wieder einmal sind, zeigt die Realität: Im ARD-Sommerinterview suggerierte SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz erneut einen vermeintlich gigantischen "Missbrauch" des kläglichen Bürgergelds als angeblich größtes Problem Deutschlands. Er will "die Möglichkeiten zum Missbrauch weiter einschränken", sagte er und verteidigte die geplanten Einschnitte.
Mit anderen Worten: Um, wie SPD-Minister Boris Pistorius betonte, bald "kriegstüchtig" zu sein, soll der Sozialstaat dem Rüstungsetat weichen. Darin ist sich die Ampel einig, auch wenn sie offiziell streitet. Ob manch einer in diesen Kreisen gar darauf spekuliert, durch Sozialabbau möglichst viele Arme in den Militärdienst zu nötigen, ist nicht belegbar, aber auch nicht ausgeschlossen.
Die "Faulpelz"-Nummer der CDU
Rückendeckung bei ihrer Sozialabbau- und Kriegsertüchtigungsagenda bekommt die Ampel wie erwartet von den Unionsparteien CDU und CSU. Ihnen reicht der inzwischen auf über 90 Milliarden Euro explodierte Militäretat noch lange nicht aus. Doch der Sozialstaat, ausgenommen freilich die Gaben für Reiche, ist ihnen lange schon ein Dorn im Auge. Das zeigen einmal mehr die aktuellen Hetzkampagnen der Unionsparteien.
Es ist die alte Nummer: Die CDU stachelt wie gewohnt die Neidgefühle in der Bevölkerung auf vermeintliche "Faulpelze" an. Dies will sie in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes stellen. Der Axel-Springer-Verlag geht ihr dabei wie immer gern zur Hand.
Der ehemalige Gesundheitsminister und stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Jens Spahn ätzte im Springer-Boulevardblatt Bild, das Bürgergeld widerstrebe "dem Gerechtigkeitsgefühl der Deutschen fundamental". Abgesehen davon, dass Spahn nicht alle Deutschen kennen kann, wetterte er weiter: "Wer arbeiten kann, soll arbeiten." Die CDU werde "dafür sorgen, dass dieser Grundsatz wieder gilt".
"Bezahlkarte" auch für Bürgergeldbezieher?
Dass schon jetzt Bürgergeldbezieher durch zweimonatige Totalsanktionen in jeden Niedriglohnjob gezwungen werden können, erwähnt Spahn dabei nicht. In diese populistische Trickkiste griffen dann auch andere Mitglieder seiner Partei, darunter Kai Whittaker und Gitta Connemann.
Doch da geht noch mehr: Erst vor kurzem führte der Gesetzgeber, wie bekannt, die sogenannte Bezahlkarte für Asylbewerber ein. Das ist ein Erpressungsinstrument neuer Qualität: Staatliche Behörden können den Zugriff der Betroffenen auf ihr Geld bei Ungehorsam beliebig einschränken oder ganz kappen.
Wie befürchtet fordern Teile der CDU nun, eine solche Karte auch für Bürgergeldbezieher einzuführen. Das wäre eine Drohung an alle lohnabhängig Beschäftigten: Riskiert es bloß nicht, erwerbslos zu werden.
Solch eine Praxis, die mit Hartz IV erstmals ausuferte, dient der herrschenden Klasse dazu, Widerstand gegen Arbeitsunrecht oder zu niedrige Löhne zu minimieren. Wer würde schon streiken oder eine Lohnerhöhung fordern, wenn ihm bei Entlassung derartige Schikanen drohen?
Arbeiten oder an die Front
Die kleine Bayern-CDU-Schwester CSU trumpft mit weiteren antisozialen Forderungen auf. Deren Bundestagsabgeordneter Alexander Drobrint will ukrainische Flüchtlinge, die in Deutschland keine Arbeit finden, als Kanonenfutter in das ukrainische Kriegsgebiet abschieben.
Dobrints Forderung verstößt zwar gegen deutsches Recht, aber das, so denkt er sich vermutlich, ließe sich wohl ändern. Zumal dies für viele Ukrainer kaum umsetzbar sein dürfte, denn ohne ausreichende Sprachkenntnisse gibt es schwerlich einen Job. Er ruft also nach Erpressung mit drastischer Konsequenz.
Politisches Programm: Sozialneid schüren und aufrüsten
Derartige Kürzungsdebatten sind keine neue politische Taktik in der Bundesrepublik. Schon seit den 1970ern Jahren, als die erste große Wirtschaftskrise nach dem Zweiten Weltkrieg übers Land rollte, flammen sie regelmäßig auf. Die Propaganda vom "überbordenden Sozialstaat" für "faule Arbeitslose" die an allem schuld seien, ist ein politischer Dauerbrenner. Auch heute wieder sind selbst die Öffentlich-Rechtlichen voll davon.
Wahr ist indes: Kapitalismus produziert immer Arbeitslose. Das System benötigt sie sogar als Reserveheer für den Niedriglohnsektor, als Maulkorb für die Arbeitsplatzbesitzer und zum Schüren solcher Neiddebatten, mit denen die Verursacher trefflich von sich ablenken. Letztlich profitiert dabei nur einer: das Großkapital. Momentan frohlockt vor allem die Rüstungsindustrie über die laufende Umverteilung – direkt auf ihre Konten.
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