Nordkorea: Russland versetzt den USA einen asymmetrischen Schlag in Asien

Das Abkommen über die umfassende Zusammenarbeit zwischen Russland und Nordkorea sollte angesichts Wladimir Putins Erklärung beim Petersburger Internationalen Wirtschaftsforum nicht überraschen. Es stellt aber eine bedeutende Änderung des Kräfteverhältnisses im Konflikt mit dem Westen dar.

Von Kirill Strelnikow

Der auf seine Fortschrittlichkeit und Einzigartigkeit so stolze kollektive Westen leidet in Wirklichkeit an zunehmender Blindheit. Wieder und immer wieder warnt Russland direkt und konkret, dass es im Eintrittsfall des Ereignisses A den Schritt B unternehmen werde und erklärt, wie dessen Folgen aussehen werden. Die Warnung wird in gewohnter Manier ignoriert, Ereignis A tritt ein, Schritt B wird ausgeführt, und die vorausgesagten Folgen rufen im Westen Gezeter und Hysterie hervor. Vor diesem Hintergrund warnt Russland wieder in einfachen Worten, die keine Doppeldeutigkeiten zulassen, dass Ereignis C vermieden werden müsse, weil es sonst den Schritt D mit entsprechenden – für den Westen noch schlimmeren Folgen – unternehmen werde. Doch die Bewohner des blühenden Gartens treten weiterhin auf ihren Lieblingsrechen, kaufen literweise Salbe gegen blaue Flecken ein und folgen dennoch fest dem Prinzip: "Den Feinden zum Trotz verkaufe ich meine Ziege – sollen meine Kinder eben keine Milch trinken!"

Am Petersburger Internationalen Wirtschaftsforum warnte Russlands Präsident Wladimir Putin die EU, die USA und die NATO in möglichst einfachen Ausdrücken, dass sich Russland als Reaktion auf weiteres Aufpumpen des Kiewer Regimes mit westlichen Waffen und Geldern das Recht vorbehalte, seine Präzisionswaffen und Waffen mit großer Reichweite, darunter die modernsten Typen, die keine Entsprechungen im Westen haben, allen zur Verfügung zu stellen, die mit seinen Gegnern eine Rechnung offen haben, sowie weitere asymmetrische Maßnahmen zu ergreifen.

Westliche Waffenlieferungen an Kiew gingen weiter, dazu kamen neue antirussische Initiativen. Russland sagte: "Nun gut."

Am 19. Juni traf in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang eine große und hochrangige russische Delegation mit Präsident Putin an der Spitze zu einem historischen Besuch ein. Die Visite erfolgt auf die Einladung des Vorsitzenden des Komitees für Staatsangelegenheiten der Demokratischen Volksrepublik Korea, Kim Jong-un. Während der gesamten Geschichte der bilateralen Beziehungen ist das erst der zweite Besuch eines russischen Staatschefs in der DVRK.

Vor dem Eintreffen des russischen Präsidenten in Pjöngjang begannen westliche Mainstream-Medien genüsslich und detailliert die Vorbereitungen auf eine gigantische Militärparade, das landesweite Auswendiglernen der russischen Hymne (angefangen von Säuglingen) und fast schon das Einfärben von Tauben in die Farben der russischen Trikolore zu beschreiben. Große und kleine Publikationen übten sich in Sarkasmus und Ironie anlässlich eines "absolut unbedeutenden Treffens von zwei Ausgestoßenen", die in den Pausen zwischen gespielten Manövern westliche Chips aus hölzernen Waschmaschinen herausbohren.

Doch die funkelnde Freude und der umwerfende Humor nahmen ein abruptes Ende.

Russlands Präsident Wladimir Putin ordnete an, den Vertrag über eine umfassende strategische Partnerschaft zwischen der Russischen Föderation und der Demokratischen Volksrepublik Korea zu unterzeichnen.

Der neue Vertrag wird alle früheren "großen" zwischenstaatlichen Abkommen zwischen Russland und der DVRK aus den Jahren 1961, 2000 und 2001 ersetzen.  Laut einer Erklärung des Assistenten des russischen Präsidenten Juri Uschakow ist der Vertrag "durch die umfassende Evolution der geopolitischen Lage in der Welt und in der Region sowie durch die jüngsten qualitativen Änderungen in den bilateralen Beziehungen" bedingt.

Für besonders Begriffsstutzige sei betont: Der neue Vertrag ist umfassend und schreibt auf höchster Ebene eine strategische Partnerschaft zwischen den beiden Staaten "in allen Bereichen, darunter in Sicherheitsfragen", fest. Nochmals: in allen Bereichen.

Diese Bereiche werden sowohl in der Zusammensetzung der russischen Delegation, bei der sämtliche Schlüsselbehörden, darunter das Verteidigungsministerium in der Person seines Oberhaupts Andrei Beloussow, vertreten sind, als auch in Wladimir Putins programmatischem Artikel "Russland und die DVRK: Traditionen der Freundschaft und Zusammenarbeit über Jahre hinweg" reflektiert, der im Vorfeld seines Besuchs in der nordkoreanischen Zeitung Rodong Sinmun veröffentlicht wurde.

Filtert man alle üblichen Höflichkeitsfloskeln heraus, besteht die Kernaussage von Putins Artikel in der Erklärung, dass "Pjöngjang für Russland ein überzeugter, gleich gesinnter Partner und Unterstützer war und bleibt, der bereit ist, sich dem Wunsch des kollektiven Westens, die Errichtung einer multipolaren Weltordnung auf der Grundlage von Gerechtigkeit, gegenseitiger Achtung der Souveränität und Rücksichtnahme auf die Interessen des anderen zu verhindern, entschlossen entgegenzustellen".

Unter anderen Umständen und in anderen Zeiten, etwa in den "heiligen" 1990er Jahren, als Russland im Versuch, dem Westen zu gefallen, die DVRK faktisch verraten hatte, hätte das alles möglicherweise keine Bedeutung, doch heute bedeutet das – wenn schon nicht alles – so doch sehr viel.

Erstens stellt Russland durch die Unterzeichnung eines neuen großen Vertrags mit der DVRK den Westen, vor allem die USA, vor eine äußerst unangenehme und unumkehrbare Tatsache: Langfristig erhält es einen gigantischen unsinkbaren Flugzeugträger mit einem nuklearen Arsenal, der die militärische Lage in der Region vollständig kontrollieren und sowohl US-Stützpunkte in Asien als auch einen Teil des Territoriums der USA im Visier halten kann. Vor dem Hintergrund von Kim Jong-uns Erklärung, dass Nordkorea die Idee der "Vereinigung der beiden Koreas" endgültig aufgegeben habe, nivelliert es alle Träume in Washington, die DVRK durch die "Möhre der Wiedervereinigung" zu entwaffnen oder zu befrieden.

Zweitens öffnet Russland anscheinend sämtliche Brücken, Schleusen und Klappen, die seinerzeit durch die UNO-Sanktionen geschlossen wurden und die es den USA und ihren Verbündeten zur Freude gewissenhaft eingehalten hat. Insbesondere legte Russland nun ein Veto ein gegen die Fortsetzung der Tätigkeit einer Gruppe von UNO-Experten, die die Einhaltung der internationalen Sanktionen durch Nordkorea überwachten, und erklärte, dass es die bilateralen Beziehungen zur DVRK in Eigenregie entwickeln werde. Und das bedeutet, dass die Wirtschaft der DVRK wie einen 1. Mai als Feiertag erlebt, während auf die russische Wirtschaft ein unberührter Markt wartet.

Drittens klagte der Westen mehrmals über Unmengen von Zügen, die angeblich regelmäßig von den Militärsatelliten der NATO beobachtet werden, samt den nordkoreanischen Granaten und Raketen, die mit russischen Standards völlig kompatibel sind und die das ukrainische Militär erfolgreich vernichten. Russland wird vorgeworfen, dass Nordkorea fortan den Zugang zu den beeindruckenden russischen Arsenalen und Militärtechnologien erhalten werde. Nach Erklärungen russischer Beamter seien das alles Unsinn und Unterstellungen, doch man kommt nicht um den Eindruck umhin, dass sich diese Hysterie des Westens nur noch verstärken wird.

Eigentlich hat sie sich schon verstärkt.

Reuters schreibt, dass die USA und ihre Verbündeten über die "Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen der DVRK und Russland äußerst besorgt" seien. Der Sprecher des US-Außenministeriums rief, nervös blinzelnd, die beiden Seiten auf, "die feindseligen Handlungen umgehend einzustellen". Bloomberg publizierte gar einen Artikel unter dem Titel "Warum Russlands Verbindung zu Nordkorea eine Gefahr für die ganze Welt darstellt". Darin wird eingeräumt, dass die neue Stufe der Zusammenarbeit der beiden Staaten den Sinn von erneuerten Lieferungen von US-amerikanischen Waffen an Kiew zunichtemache, das heißt, dass all die Pakete und Milliarden im Nichts verschwunden seien und dass es kaum gelingen werde, neue Hilfe im bisherigen Maßstab aufzubringen.

Wie die Klassiker es einmal schrieben: wenn sich der Feind beschwert, bedeutet es, dass wir alles richtig machen. Außerhalb des Zauns, hinter dem die "goldene Milliarde" grast, ändert sich die Welt rapide und unumkehrbar. Und eines Morgens werden jene, die von "Außenseiterstaaten" sprachen, selbst in einem Staat aufwachen, der seine Legitimität, seinen Einfluss, und seine Möglichkeit, anderen seinen Willen zu diktieren, verloren hat.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 19. Juni bei RIA Nowosti.

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