Von Dagmar Henn
Manchmal fragt man sich, ob die Führungen der EU-Staaten gezielt mit der Einstellungsvoraussetzung Dyskalkulie gewählt wurden. Oder ob es besondere Prämien gibt für jene, die ihr Land besonders effizient in den Abgrund reißen. Denn es ist wirklich nicht einmal mehr ansatzweise mit eigenem Interesse erklärlich, was in der Brüsseler Politik derzeit getrieben wird. Vor allem im Zusammenhang mit der Ukraine.
Die britische Times hatte vor wenigen Tagen einen Artikel, der belegt, dass zumindest die Berufsgruppe der Waffenhändler hochzufrieden sein dürfte. Dabei sind es nicht nur Initiativen wie jene des tschechischen Präsidenten Petr Pavel, der für die Ukraine eine Million Artilleriegranaten auftreiben wollte und am Ende weniger als die Hälfte davon erwerben konnte, von denen sich wiederum jede zweite als Blindgänger erwies. Es ist auch die Ukraine selbst, die mit den aus dem Westen gespendeten oder geliehenen Geldern rund um die Welt Kriegsmaterial kauft.
Das Schönste an jenem Artikel der Times ist die Grafik, die die Preisentwicklung für eine ganze Reihe von Geschossen zeigt. Raketen für Grad-Raketenwerfer beispielsweise sind von 900 US-Dollar pro Stück im Januar 2022 auf mittlerweile 6.000 US-Dollar gestiegen, Artilleriegranaten des Kalibers 155 mm von 800 auf 4.800 US-Dollar, Mörsergranaten von 82 mm von 70 auf 230 US-Dollar, und 125 mm-Granaten für Panzer von 1.200 auf 7.420 US-Dollar. Im Schnitt haben sich die Preise in diesem Zeitraum verfünffacht. Selbst wenn übernächste Woche die Ukraine kapitulieren würde und der Konflikt beendet wäre, blieben auf jeden Fall eine Reihe sehr zufriedener Waffenhändler zurück.
"Kiew war gezwungen, sich anderen Quellen zuzuwenden, darunter Waffenhändler und Vermittler in den düstereren Teilen der Welt. Charaktere wie Marc Morales, ein 51-Jähriger aus Florida, dessen Firma, Global Ordnance, Verträge für über eine Milliarde US-Dollar mit dem Pentagon und der Ukraine abgeschlossen hat."
Die Times erzählt das alles wie eine Abenteuergeschichte, einschließlich der Bemerkung über die Beteiligung westlicher Geheimdienste.
"Ein globales Netzwerk westlicher Beamter, Geheimdienste eingeschlossen, kauft auch Waffen für die Ukraine. Britische und ukrainische Quellen sagen, dass britische Spione dabei helfen, "verdeckt" Waffen aufzuspüren und Nachschub aus Ländern einzuschmuggeln, die nicht wollen, dass Russland ihre Beteiligung entdeckt."
Abgesehen davon, dass diese steigenden Preise nicht nur das Material betreffen, das über Händler rund um die Welt erworben wird, sondern auch produktionsfrische Granaten von Firmen wie Rheinmetall, die ebenfalls ihren Schnitt damit machen, die gleiche Ware zum Vielfachen zu verkaufen – wirklich interessant ist das, was finanziell sonst noch passiert.
Die europäischen Regierungen spielen mit ihren Bevölkerungen ein falsches Spiel. Weil der permanente Abfluss von Milliarden mit der Zeit schlecht zu verkaufen ist, besteht die neueste Masche darin, die Zahlungen zur Finanzierung dieses Krieges nicht sichtbar in den Haushalt zu schreiben, sondern erst einmal zu Krediten an die Ukraine zu deklarieren. Es wird der Eindruck erweckt, als gebe es in der Ukraine jemanden, der Kredite zurückzahlt. Dabei ist streng genommen der ukrainische Staat längst bankrott, der Wert der Staatspapiere liegt bei einem Viertel des Nennwerts, und dass sich die Ukraine nicht an unterster Stelle auf sämtlichen Ratinglisten findet, liegt einzig an den großzügigen Spendern, die dem komatösen Patienten noch irgendwie das Überleben ermöglichen. Dabei ist es nicht nur so, dass die Ukraine ohne die westlichen Gaben keinen Krieg mehr führen könnte, sie könnte auch schlicht sämtliche staatliche Beschäftigte nicht mehr bezahlen. Wie die gerade stattfindenden Verhandlungen Kiews mit Gläubigern belegen, könnte sich der vermutete Bankrott jederzeit in einen realen verwandeln.
Dabei gibt es so viele hübsche Schemen, mit denen noch Erträge aus dem mühsam am Leben Erhaltenen gepresst werden können. Wie mit den großspurigen Plänen zum Wiederaufbau. Hauptsache, das Ganze hat einen öffentlichen Bürgen, der hinterher mit Steuergeldern die Rechnung begleicht.
Der Fall des 50 Milliarden-Euro-Kredits, den die G7 beschlossen haben, ist ein perfektes Beispiel dafür. Die Zinsen aus den eingefrorenen russischen Vermögen, die vorrangig von Euroclear in Belgien gehalten werden, sollen als Sicherheit für diesen Kredit dienen. Sollten diese Erträge nicht genügen, um die Zinsen zu decken, springen die EU-Länder ein, und leisten treulich die Zahlungen, die die überwiegend US-amerikanischen Investoren erwarten dürften.
Nachdem die ganze Idee, Erträge fremden Vermögens als Sicherheit für Kredite zu nutzen, samt und sonders illegal ist, und die reale Entwicklung nicht danach aussieht, als würde der Westen siegen, sprich, es sehr wahrscheinlich ist, dass Russland am Ende auch bezüglich der Frage der eingefrorenen Vermögen am längeren Hebel sitzen wird und sich sein Eigentum zurückholt, samt Zinsen, bleiben die EU-Länder auf den Schulden sitzen, die sie dann gegenüber den US-Gläubigern abtragen müssen, zumindest, solange sie nicht völlig mit den Vereinigten Staaten brechen.
Das sieht nicht wesentlich anders bei den Rüstungsaufträgen an US-Unternehmen aus, die sich in anderen Hilfsleistungen an die Ukraine verbergen. Die Brüsseler Bürokratie stört das nicht sonderlich, im Gegenteil. Sie existiert ohnehin weit entfernt vom gewöhnlichen Steuerzahler der Mitgliedsländer, und gemeinsame Schulden waren schon lange ein Wunschtraum der Eurokraten, um dadurch die Länder enger an Brüssel zu ketten.
Auch die Vereinigten Staaten haben dagegen nichts einzuwenden. Das wäre schließlich ein günstiges Ergebnis, wenn man selbst für den Fall einer völligen Niederlage gegen Russland zumindest Westeuropa im festen Würgegriff halten könnte. Die USA hängen sich wie ein ausgehungerter Vampir an den europäischen Hals und sind zufrieden, solange sie genug Blut erhalten, ob aus der Ukraine oder der EU.
Vermutlich gibt es in der gesamten EU kaum jemanden, der noch einen Überblick besitzt, wie viel Geld der Ukraine geschenkt und wie viel als Kredit erteilt wurde; wie viele Waffengeschenke sich in Nachbestellungen bei US-Rüstungsfirmen (und auch ein paar eigenen) verwandelt haben, Bestellungen mit einem ungewissen Lieferzeitpunkt, aber zeitnahen Rechnungen. Nachdem das Geld mal über den nationalen Haushalt, mal über die EU läuft, ist es auch wirklich schwer zusammenzustellen. Aber die Geschichte rund um den neuen "Kredit" belegt, dass hier Verpflichtungen eingegangen werden, die alles andere als transparent sind.
Wären es nur diese 50 Milliarden Euro, das könnte überstanden werden. Dazu kommt aber in Deutschland dann auch noch der Sonderhaushalt "Zeitenwende", die berühmten 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, von denen auch ein beträchtlicher Teil etwa in den Erwerb bekannt untauglicher F-35 floss, und ein anderer – in die Ukraine. Ein kreditfinanzierter Schattenhaushalt, der längst nicht mehr ausreicht und bei dem nachgelegt werden soll, genauso wie derzeit in der Koalition über eine Aussetzung der Schuldenbremse diskutiert wird, um weiteres Geld in die Ukraine weiterzureichen, das dann zum Teil bei den Gläubigern, zum Teil bei Waffenhändlern landen dürfte.
Klar ist, dass die Ukraine nach dieser Orgie aus Verschuldung und Ausverkauf im Grunde als Staat nicht mehr lebensfähig ist. Sie wäre darauf angewiesen, als Bestandteil der Russischen Föderation die aufgehäuften Schulden schlicht abzuwerfen, weil es keine Fortsetzung des Staates mehr gibt. Je länger der Krieg dauert, desto wahrscheinlicher und dringlicher wird diese Lösung.
Die europäischen Länder aber, die sich mit Sonderkrediten und vielerlei Bürgschaften zum Garanten der Ukraine gemacht haben – etwa mit der gleichen Klarsicht wie jemand, der für einen spielsüchtigen Alkoholiker bei der Bank mit seinem Häuschen bürgt – werden mitten in ihrer eigenen ökonomischen Krise, die ohne günstige Energie nicht beendet werden kann, mit beträchtlichen Schulden zurückbleiben, die ihnen das Projekt Ukraine hinterlassen hat. Und je mehr sie sich auf Gedeih und Verderb an die Vereinigten Staaten ketten, desto geringer ist ihre Chance, dieser Schuldenfalle zu entrinnen. Während das Imperium rund um den einstigen Hegemon wegbricht, begibt sich die EU zumindest scheinbar freien Willens in eine Schuldknechtschaft, die bisher den Kolonien zugedacht war.
Derzeit wird in den Medien wie in weiten Teilen der politischen Klasse noch eisern daran festgehalten, dass die Ukraine siegen könne, auch wenn der oben zitierte Artikel der Times dafür von einem Finanzbedarf von 800 Milliarden US-Dollar spricht. In Deutschland wird über die Kindergrundsicherung diskutiert, die im Vergleich geradezu winzig ausfällt (selbst der größte soziale Haushaltsposten, das Bürgergeld, kostete im vergangenen Jahr 25,8 Milliarden Euro, die ukrainischen Flüchtlinge eingeschlossen).
Eine komplette Übersicht sämtlicher für die Ukraine aufgewandten Mittel und übernommenen Bürgschaften existiert nicht, und darüber wird auch nicht debattiert, außer eben im Zusammenhang einer Aufhebung der Schuldenbremse. Die Haushaltsplanungen sehen vor, das Budget für die Reparatur der schadhaften Autobahnbrücken im kommenden Jahr zu verringern, obwohl es bisher reines Glück war, das eine Katastrophe wie in Genua verhinderte. Der Haushaltsposten (oder Schattenhaushaltsposten) Ukraine ist sakrosankt und wird weder realistisch diskutiert noch unterliegt er irgendwelchen Sparzwängen.
Das wäre schlicht eine politische Absurdität, wäre da eben nicht jene langfristige Seite, deren Folgen weit länger halten dürften als die ukrainische Staatlichkeit. Während rund um jede kleine Rentenerhöhung von der Verantwortung künftigen Generationen gegenüber gesprochen wird, denen man nicht zu viele Schulden aufbürden dürfe, bei dem Projekt Ukraine ist das kein Problem. Dabei nützt eine Rentenerhöhung wirklichen, lebenden Menschen, sogar im eigenen Land, während die "Hilfe" für die Ukraine nur dazu dient, Lebende in Tote zu verwandeln … und auf dem Umweg über die Ukraine viele Milliarden in die US-Finanzwirtschaft zu pumpen.
Womöglich ist das – nicht einmal die US-Wahl im November, sondern schlicht die Möglichkeit, die Verluste in anderen Weltregionen durch weitgehende finanzielle Versklavung Westeuropas zumindest teilweise zu kompensieren – sogar der Hauptgrund, weshalb die Vereinigten Staaten jeder Vernunft, jeder Verhandlung abhold zu sein scheinen. Sollte dem so sein, wäre der Ausstieg aus dem Projekt Ukraine für die Länder der EU eine Überlebensfrage, auch dann, wenn eine militärische Eskalation unterbleibt. Ökonomisch ist nicht zu übersehen, wo der Feind zu suchen ist, spätestens seit der Sprengung von Nord Stream: auf der anderen Seite des Atlantik.
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