Von Bernhard Loyen
Die EU-Wahl ist vorbei, die geheuchelte Schockstarre bei den Ampel-Politikern und Großteilen der hiesigen Medien langsam am Abklingen und Ausglühen. Der politische Alltag geht routiniert weiter, so wurde der Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang, einen Tag nach den massiven grünen Stimmenverlusten, ihrem persönlichen Berufsdebakel der Stunde, in Berlin als "Aufsteigerin des Jahres" der überflüssige "Politikaward" verliehen. Dem bedenklich stetig wachsenden Ego von Frau Lang mehr als dienlich und umschmeichelnd. So erklärte sie den anfragenden Medien zu den Gründen des EU-Wahlergebnisses, es sei aktuell eine "andere gesellschaftliche Situation und Stimmung als 2019", die Menschen seien irgendwie "verunsichert". Der Paradesatz der professionalisierten Inhaltsleere lautete, die Partei habe "Vertrauen verloren", dies müsse jetzt "zurückgewonnen" werden. Betrübte Gedanken der "Aufsteigerin des Jahres".
Auch die Redaktionsstuben der ARD bekommen irgendwie mit, dass das Land und die Leute sich verändern. Die Kritik an der Sendeanstalt und eingeforderten Nutzungsgebühren will nicht abnehmen, also muss innovativ reagiert werden. Argumentativ herhalten für das jüngste "Zusatzangebot" muss eine "LEO-Studio" aus dem Jahr 2020. Der Studientitel lautet: "Leben mit geringer Literalität". Laut den Daten von vor fünf Jahren "lesen und schreiben etwa 17 Millionen Menschen in Deutschland zwischen 18 und 64 Jahren auf Vierte-Klasse-Niveau oder schlechter". Es wird nicht besser geworden sein. Zu den Gründen heißt es bei der ARD-Tagesschau dargelegt:
"Die Gründe dafür sind vielfältig: Diese Menschen lernen gerade erst Deutsch oder sie hatten nicht die Chance auf eine gute Bildung. Oder sie haben eine Hör-, Lese- oder Lernschwäche – oder eine Krankheit, wie etwa einen Schlaganfall."
"Diese Menschen" hätten jedoch auch Bedürfnisse, weiß Marcus Bornheim, Erster Chefredakteur von ARD-aktuell, daher ermöglicht die Sendeanstalt diesen nun "sich zum Beispiel nach einem anstrengenden Arbeitstag kurz und einfach informieren" zu können. Genauer formuliert:
"Mit diesem neuen Nachrichtenangebot richten wir uns an ein für uns neues Publikum (sic), dem wir somit auch einen Zugang zu gut recherchierten Informationen aus Politik, Wirtschaft, Sport, Kultur und anderen Ländern ermöglichen wollen."
Nach gemutmaßten Monaten der Vorbereitung und gewissenhaften Abwägungen präsentierte die ARD nun am 12. Juni 2024 ihre erste Ausgabe der "Tagesschau in einfacher Sprache", weil:
"Vertrauenswürdige tagesaktuelle Nachrichten für alle – die sind nicht nur wichtig, um sich informieren zu können – sondern auch, um am gesellschaftlichen Diskurs teilzuhaben."
Die "Diskursthemen des Tages" lauteten für die ARD-Redaktion in der ersten Sendung:
- Bundeswehr: Plan für junge Menschen
- Falsche Väter: Regierung gegen Betrug
- Schulen: Aktion gegen Hass auf Juden
- Elektroautos: China soll mehr Geld zahlen
Und natürlich abschließend das Wetter. Die Inhalte wurden wie angekündigt "in einfacher Sprache" vorgetragen, dazu heißt es: "Die Texte setzen wenig Wissen voraus und werden langsamer gesprochen":
Originalzitat aus dem Beitrag:
"Bei der Bundeswehr arbeiten Soldaten. Wenn es einen Angriff gibt, dann müssen die Soldaten kämpfen. Das ist Verteidigung."
Verteidigung des eigenen Lebens, des dienenden Landes, der NATO-Vorgaben, des Verstands? Es wird noch schlimmer. Die Frage, die sich dem Zuschauer unmittelbar stellt, lautet, welche Zielgruppe soll wirklich mit dem Format erreicht werden, beziehungsweise wurde seitens der Macher inhaltlich abgewogen. Der – provokativ formuliert – "minderbemittelte" Deutsche bekommt ein Thema, dann der "dumme" Flüchtling/Asylant? Das zweite Thema hat es in sich, Originalzitat:
"Manche deutsche Männer sagen: Ich habe ein Kind mit einer Frau aus dem Ausland. Ich bin der deutsche Vater von dem Kind. Deshalb ist das Kind auch Deutsch. Wenn das Kind deutsch ist, dann können die Frauen in Deutschland bleiben. Die Frauen wollen nämlich in Deutschland bleiben. Die Männer lügen aber. Die Männer haben nämlich kein Kind mit einer Frau aus dem Ausland. Für die Lügen wollen die Männer Geld von den Frauen, das ist alles Betrug. Die Regierung sagt: Betrug ist verboten, mit dem Betrug muss jetzt Schluss sein."
Der lernwillige und diskursinteressierte Zuschauer erfährt weiter, die Regierung "hat neue Regeln gemacht, die Behörden sollen die Männer besser überprüfen. Dann soll es keine falschen Väter mehr geben". Dann scheint wieder die Sonne in Berlin im ARD-Hauptstadtstudio, in Fußnähe zum Regierungsviertel, und man kann beruhigt zur Tagesordnung übergehen. Gibt es ansonsten noch "andere falsche Väter" im Land? Der Messermörder von Mannheim wollte auch "in Deutschland bleiben". Dafür hatte er gleich zwei Kinder mit einer deutschen Frau und bezog Bürgergeld. Das ist aber bitte etwas ganz anderes, aus der ARD-Kategorie Äpfel und Birnen. Das sind zudem potenziell anmaßende "rechte Gedanken" und Fragen des Autors.
Apropos "rechts". Die dritte Nachricht beschäftigte sich mit "Hass gegen Juden" auf deutschen Schulhöfen. Der Zuschauer lernt im Juni 2024:
"Die Nazis haben viele Juden getötet. Die Juden hatten deshalb große Angst und viele Juden haben sich vor den Nazis versteckt."
Die Nazis haben dann "Anne Frank getötet", die hatte als "jüdisches Mädchen im Versteck Gedanken aufgeschrieben". Das Buch "mit den Gedanken" würde nun aktuell von vielen Schülern in der Schule gelesen, weil:
"Die Schulen sagen damit, es soll keinen Hass mehr auf Juden geben, dazu zeigen wir jetzt einen Film."
Porträtiert werden in dem Beitrag Schüler und Schülerinnen ohne Migrationshintergrund, auf der Bühne einer ungenannten Schule ohne Ortsangabe, im Gespräch mit einer Zeitzeugin. Das Gespräch erneut mit Kindern der Schule ohne Migrations- und/oder muslimischen Hintergrund. An welchen (Brennpunkt-)Schulen gibt es doch gleich aktuell mehr als bedenklichen lautstarken Antisemitismus, das schulische Problem "Hass auf Juden"? Wie lauten die vordergründig aktuellen Gründe für die medial regelmäßig kolportierte Angst der jüdischen Mitbürger quer durch das Land? Der ARD-Tunnelblick lautet aktuell: "Augen geradeaus, Augen nach rechts".
Warum es im letzten Beitrag über erhöhte Ausfuhrsteuersteuern für E-Autos aus China in die EU ging, spricht für den surrealen Charakter der ersten "Tagesschau in einfacher Sprache".
Gab es tagesaktuell keine relevanteren, lebensnäheren Themen für den potenziell dadurch dienlichen und "ermöglichten" – redaktionell beabsichtigten – Gesprächsansatz mit Nachbarn, im Supermarkt, im Jobcenter, vor der Schule, im schlichten Austausch eines "gesellschaftlichen Diskurses"?
Dazu heißt es bei der ARD: "Die Themen der Sendungen stammen aus der regulären Tagesschau, werden aber anders aufbereitet". Und weiter:
"Wir berücksichtigen auch kulturelle oder bildungsbedingte Herausforderungen, vor denen Menschen unserer Zielgruppe häufig stehen. Viele beschäftigen sich nämlich nicht mehr mit Nachrichten, weil sie sie nicht verstehen können."
Bezogen auf diese "Zielgruppe" war die Sendung ein Rohrkrepierer de luxe. Warum, erklärt symbolisch der SPD-Vorsitzende Kevin Kühnert im Interview nach der EU-Wahl, bezogen auf das desaströse Ergebnis für die ehemalige Partei "der kleinen Leute":
"Und was wir auch sehen, dass es bestimmte Teilbereiche der Gesellschaft gibt, die man klar abgrenzen kann, wo wir sehen, da haben wir deutlich an Boden verloren. Ich spreche von ländlichen Räumen, ich spreche vom Osten. Ich spreche von Menschen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen und aus unteren Einkommensbereichen und da muss ich jetzt ein Jahr vor der Bundestagswahl einfach festhalten, wenn das so bleibt, gewinnen wir damit keine Bundestagswahl."
Die einfache Tagesschau belehrt also die "Dummies": "Die Regierung sagt: Betrug ist verboten", welch Hohn, welche Selbstentlarvung. Weder die ARD noch die SPD, wie alle untergehakten Medienanstalten und Berliner Politdarsteller, haben aktuell etwas zu gewinnen. Neue – anmaßende – Sendeformate oder unglaubwürdige Gedankenspiele darüber, wie die Menschen im Land "zurückgewonnen" werden können, belegen alleinig die Überforderung, die Realitätsferne, die Ahnungslosigkeit und die Ideenlosigkeit genannter Protagonisten.
"Genießt den Geschmack der Panik", hieß es jüngst sehr schön zusammengefasst bei RT DE. Die Arroganz der Macht unterschätzte schon immer den glasklaren (Durch)Blick real existierender "Bauernschläue", das bodenständige und geerdete Bewusstsein des kleinen Mannes samt Anhang.
Der Elfenbeinturm erhielt am letzten Wochenende weitere Risse im Fundament, es bröckelt erheblich im Gebälk der Macht. Eine "Tagesschau in einfacher Sprache" kaschiert dabei exemplarisch lediglich die bodenlose Ahnungs- und Orientierungslosigkeit der sogenannten Eliten und Macher im Land. Medien wie Politik können aktuell nur noch als Lachnummer bewertet werden.
Das Lachen, bezogen auf den Zustand des Landes, der Stimmung bei den Bürgern, bleibt jedoch mehr als bedenklich immer höher im Hals stecken.
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