Schweizer "Friedenskonferenz": Abschiedsgala für Schauspieler Selenskij?

Selenskijs ausgespielte Figur wird nur deswegen nicht vom Brett geräumt, weil noch kein geeigneter Anlass dazu gefunden wurde. Der Chef eines Staates wird er nicht mehr sein. Ob er zu einem Präsidenten im Exil oder einem sakralen Opfer wird, steht noch zur Debatte.

Von Gleb Prostakow

Die "Friedenskonferenz" zur Ukraine in der Schweiz, die vom 15. bis 16. Juni stattfinden und den Schweizer Haushalt 11,2 Millionen US-Dollar kosten wird, sollte für Wladimir Selenskij zu einer Benefizgala werden. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass es die Abschiedsvorstellung des Schauspielers in der Rolle des Präsidenten wird.

Diese Veranstaltung ist nicht als solche von Bedeutung, sondern als Ergebnis der diplomatischen Bemühungen, Druck auf Russland auszuüben im Vorfeld möglicher Gespräche zwischen Kiew und Moskau über die Beendigung der Feindseligkeiten. Zumindest war das die Idee der Initiatoren der Konferenz.

Doch aus mehreren Gründen scheiterte die angekündigte Veranstaltung noch vor ihrem Beginn: Die Tickets wurden nicht ausverkauft, etliche VIP-Plätze blieben unbesetzt, und das Programm selbst wurde auf wenige Diskussionsfragen zurechtgestutzt.

Den ersten Grund für das Scheitern liefern Russlands militärische Erfolge an der Front. Es ist schwierig, einem Land Friedensbedingungen zu diktieren, das die Initiative bei den Kampfhandlungen hat. "Selenskijs Formel", die eine Rückgabe der Krim und des Donbass an die Ukraine vorsieht, weicht so sehr von der Realität ab, dass sie keine sinnvolle Agenda mehr bieten kann. Deswegen musste das Programm am laufenden Band umgestaltet werden. Inzwischen bleibt als hauptsächliche inhaltliche Diskussionsthema die nukleare Sicherheit. Übersetzt heißt das: Wie weit können die westlichen Länder, die Kiew Angriffe auf Russlands Territorium mit den eigenen Waffen erlauben, gehen, ohne eine nukleare Reaktion seitens Moskaus zu provozieren? Diesem "Abtasten" wird wohl der Großteil der Diskussionen gewidmet sein.

Der zweite Grund ist die zweifelhafte Legitimität von Selenskij. Die Teilnahme regulärer Staatschefs an einer Konferenz, bei der ein Kerl im grünen T-Shirt mit abgelaufenem Verfallsdatum im Amt des Präsidenten als Hauptredner auftritt, soll de facto helfen, Selenskij in den Augen zumindest eines Teils der Weltgemeinschaft zu legitimieren. Doch nachdem selbst Präsident Biden die Schweiz gegen eine Vorwahlparty mit Hollywood-Stars in Los Angeles eingetauscht hatte und sich damit die Möglichkeit offen ließ, "den eigenen Hurensohn" fallen zu lassen, wurde die Liste der Staatschefs merklich kürzer. Wenn schon der Hegemon selbst den Kerl in Grün nicht zum Herrscher salben will, wozu sollten es andere tun? Sich für andere abarbeiten müssen höchstens der Bundeskanzler Olaf Scholz, der sein Gesicht ganz verloren hat, und Kanadas Ministerpräsident Justin Trudeau.

Die Absagen der Staatschefs von China, Brasilien, Indien, Südafrika und Saudi-Arabien waren absehbar. Alle diese Länder sind Mitglieder der BRICS, die ihre Zusammenarbeit unter anderem auf der Grundlage eines gemeinsamen Verständnisses der Weltlage festigen. Aus der Perspektive des Westens und der Ukraine ist die Absage von Indien, das sich nicht entschlossen hat, welchem Block – falls überhaupt – es sich anschließen soll, natürlich am schmerzlichsten. Doch Selenskij beschloss, nicht den indischen Regierungschef Narendra Modi, sondern Chinas Präsidenten Xi Jinping anzupöbeln, indem er China vorwarf, Russland unmittelbar militärisch und politisch zu unterstützen und die Schweizer Konferenz zu sabotieren. Diese Worte werden ganz sicher der US-Vizepräsidentin Kamala Harris und dem Assistenten des Präsidenten für nationale Sicherheit, Jake Sullivan, gefallen. Biden schickt sie in die Schweiz, um auf "unseren Jungen" aufzupassen.

Ungewiss bleibt indes die Teilnahme hoher Vertreter aus zentralasiatischen und transkaukasischen Staaten. Ihre Teilnahme an einem antirussischen Gipfel erscheint für Moskau schmerzhaft. Doch ersten ist es wenig wahrscheinlich, dass Spitzenvertreter der Staaten der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft, mit einer möglichen Ausnahme Armeniens, teilnehmen werden. Zweitens werden die Vertreter Kasachstans, Usbekistans oder Kirgisistans kaum irgendwelche antirussische Erklärungen unterschreiben, selbst wenn sie in die Schweiz kommen sollten. Drittens ist der Orient eine komplizierte Sache. Kasachstan etwa könnte durchaus seine Vertreter in die Schweiz schicken, und zwar nach einer vorläufigen Absprache der problematischen Momente mit Moskau. Bekanntlich macht man es dort gern allen recht.

Unter Berücksichtigung der oben genannten Punkte besteht durchaus die Möglichkeit, dass diese Konferenz in der Schweiz eher zu einem antichinesischen als zu einem antirussischen Event wird. Die Aushöhlung der chinesischen Neutralitätsbehauptungen im Russland-Ukraine-Konflikt könnte zu einem Prolog für die Bildung einer Koalition von Ländern werden, die sich gegen China stellen. Von der Unterstützung eines "Aggressors" bis zur Verwandlung in einen "Aggressor" ist es ein kleiner Schritt. In diesem Kontext spielt die Teilnahme der Staatschefs von Japan, den Philippinen und möglicherweise von Südkorea an der Konferenz eine wichtige Rolle. Und hier wird sich Washington tatkräftig einschalten. Selenskijs jüngste Asienreise, darunter sein Besuch auf den Philippinen, ist vermutlich von Bidens Administration organisiert worden.

Das Spiel um eine Schwächung Russlands zieht sich in die Länge, fordert immer mehr Kosten und lässt immer weniger Aussichten auf Erfolg. Der Konflikt zwischen Palästina und Israel und die zunehmenden Spannungen zwischen Washington und Peking verlagern den Schwerpunkt der geopolitischen Konfrontation. In diesem Sinne wird die Konferenz in der Schweiz eine offensichtliche Tatsache festhalten: Es wird nicht über eine Strategie zum Sieg über Russland diskutiert (man erinnere sich an die ersten Treffen mit Karten der Teilung des Landes), sondern über eine Strategie für den Rückzug des Westens aus dem Konflikt mit minimalem Gesichtsverlust und die Verlagerung der Bemühungen auf die Lösung echter strategischer Probleme (mit China und Taiwan im Mittelpunkt).

Selenskijs ausgespielte Figur wird nur deswegen nicht vom Brett geräumt, weil noch kein geeigneter Anlass dazu gefunden wurde. Der Chef eines Staates wird er nicht mehr sein. Ob er zu einem Präsidenten im Exil oder einem sakralen Opfer wird, steht noch zu Debatte.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 5. Juni bei Wsgljad.

Gleb Prostakow ist ein russischer Business-Analytiker und Journalist, ehemals Redakteur und Reporter des ukrainischen Wochenblattes Westi. Ab Ende 2015 war er Leiter der Abteilung Innenpolitik des Stadtrates von Saporoschje. Wenig später ließ er sich in Russland nieder und schreibt seitdem für zahlreiche russische Medien Kommentare und Analysen.

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