BASF: Wenn die Industrie dem Westen fahnenflüchtig wird

Das gibt mit Sicherheit noch böse Bemerkungen aus der Politik, weil BASF so viel in China investiert und aus Deutschland abzieht. Aber strategisch macht der Konzern alles richtig. Es ist der Westen, der sich wieder und wieder ins eigene Bein schießt.

Von Dagmar Henn

Es sei eine Katastrophe für Ludwigshafen, tönt es jetzt in der Presse, wenn die Produktion von BASF geschlossen würde. Zehn Quadratkilometer Fläche bedecken die Werksanlagen, und 39.000 Personen arbeiten dort für den Konzern. Ohne BASF kein Ludwigshafen, so wie es ohne Thyssen-Krupp kein Duisburg gibt.

Aber der Konzern hat angekündigt, die Produktion nach China zu verlagern. Deutschland, so heißt es, sei das einzige Land, in dem Verlust gemacht werde. So berichtete der Focus:

"Auf einer Insel vor der Küste von Zhangjiang entsteht eine Fabrik, die ab 2030 chemische Grundstoffe für Unmengen von Konsumgütern produzieren wird. In Ludwigshafen werden hingegen elf Produktionsanlagen geschlossen, darunter auch eine moderne TDI-Anlage für die Produktion von Schaumstoffen. Die Anlage sei nicht mehr profitabel, heißt es bei BASF. Der Verlust der Anlage liege bei einer Milliarde Euro."

Zehn Milliarden soll das neue chinesische Werk kosten, und die Ankündigung von BASF, sich weitgehend aus Deutschland zurückzuziehen, führt dazu, dass alle Register gezogen werden. Die Tagesschau titelte mit "Chemieriese zwischen Profit und Moral". Gegen das Argument des BASF-Vorstands, die Energiekosten in Deutschland seien zu hoch, lässt sich wenig sagen; deshalb wird hier geklagt, der Umweltschutz sei in China doch viel schlechter, und dann sei da noch diese Geschichte mit den Uiguren.

Nun betreibt der weltgrößte Chemiekonzern weltweit 234 Produktionsstätten, auf allen Kontinenten. Und zumindest die klassische Chemieproduktion erzeugt weitgehend Vorprodukte – Kunststoffe, Grundstoffe für die pharmazeutische Industrie, Schaumstoffe…, weshalb es logisch ist, sie in nicht allzu großer Entfernung von den weiterverarbeitenden Produktionsanlagen zu betreiben. Der Produktionsschwerpunkt in Brasilien beispielsweise liegt dementsprechend in São Paulo, in unmittelbarer Nähe der Abnehmer. So ist es auch mit den chinesischen Werken. Diese Tatsache liefert aber neben den Energiekosten einen zweiten Grund, die Produktion in Deutschland zu verringern. Je weniger weiterverarbeitende Industrie es gibt, desto unsinniger wird es, diesen Standort zu halten.

"Wir investieren in China, weil es der Chemiemarkt der Zukunft ist", lautete die Antwort einer Unternehmenssprecherin gegenüber der Berliner Zeitung. Bis 2030 würden "fast drei Viertel des weltweiten Wachstums der Chemieproduktion auf China entfallen". Es gehe nicht um einen vollständigen Rückzug. Schließlich wolle man pro Jahr zwei Milliarden in die grüne Transformation investieren.

Dennoch, das erweckt eher den Eindruck einer Art Ablasszahlung; und es ist kein Wunder, wenn BASF der Fantasie der grünen Transformation nicht vertraut. Und das Fazit des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Martin Brudermüller, der sich 2021 noch optimistisch über die Ampelkoalition äußerte, lautet mittlerweile:

"Die Wirtschaft dringt mit ihren Sorgen und Rufen in der Bundesregierung nicht mehr durch."

Dazwischen liegen die unzähligen EU-Sanktionen gegen Russland, die erfolgreich vom billigen russischen Erdgas abschnitten, das die chemische Industrie nicht nur als Energieträger, sondern auch als Rohstoff benötigt, und die Sprengung der Nord-Stream-Pipeline, die die BASF gleich mehrfach betrafen, da die (inzwischen verkaufte) Tochter Wintershall an der Pipeline beteiligt war.

Was, historisch betrachtet, durchaus einen ironischen Aspekt hat. Schließlich war der Bundeskanzler, unter dessen Ägide die Westbindung des erweiterten Deutschlands zementiert wurde, ein BASF-Mann: der Ludwigshafener Helmut Kohl; zehn Jahre lang hatte er als Referent beim Verband der Chemischen Industrie gearbeitet. Man kann getrost davon ausgehen, dass die Interessen des Konzerns dabei eine Rolle spielten. Inzwischen ist jedoch der Preis für die Bindung an die USA beträchtlich gestiegen, und BASF hatte jüngst mit der Antwerpener Erklärung geradezu einen industriellen Verzweiflungsschrei organisiert, der Martin Brudermüllers Aussage deutlich unterstrich.

Neben der Verlagerung der Forschungsabteilung von VW und dem geplanten Verkauf der Stahlproduktion von Thyssen-Krupp ist der Abbau der deutschen Produktion bei BASF eines der Signale, dass die strategische Entscheidung, vor der die deutschen Industriekonzerne mehrheitlich standen, gefallen ist. Die Russlandsanktionen wurden noch hingenommen, weil vermutlich anfangs sich selbst innerhalb der Industrie viele davon überzeugen ließen, die Sanktionen würden einen wirtschaftlichen Zusammenbruch Russlands oder einen Regimewechsel auslösen, und danach winke reiche Beute. Jedenfalls lässt sich der kaum wahrnehmbare Protest gegen die Verhängung der fatalen Sanktionen im Grunde nur mit der Erwartung erklären, dass es sich dabei um eine kurze Durststrecke handele. Eine reale Deindustrialisierung hatten die Führungsspitzen der deutschen Industrie wohl kaum angenommen.

Was sich dann allerdings änderte, als in Deutschland die Energiepreise explodierten, die russische Wirtschaft sich aber als deutlich stabiler und die russische Armee als weit leistungsstärker erwies, als auf Grundlage der im Westen verbreiteten Informationen zu erwarten war. Im vergangenen Jahr war es noch ein Raunen, aber spätestens zu Jahresbeginn 2024 erfolgte geradezu ein Warnruf nach dem anderen. Der Grund dafür war die absehbare Entwicklung, dass auf die Runde der Sanktionen gegen Russland eine ähnliche gegen China folgen werde.

Nun ist die chemische Industrie ein Sektor, in dem die Anlageninvestitionen schon immer sehr hoch waren, und Milliarden verbaut man nicht auf Grundlage vager Aussichten. Wenn sich abzeichnet, dass der globale Markt zunehmend in zwei Teile zerfällt, die Staaten des Westens und die globale Mehrheit, die Märkte, die in den kommenden Jahrzehnten mit hoher Wahrscheinlichkeit wachsen werden, aber überall liegen, nur nicht im Westen, dann ist in dem Moment, da der westliche Block diese Spaltung forciert und daraus ein Entweder-oder macht, die Entscheidung klar. Dementsprechend ist sie auch ausgefallen.

Wobei dabei sicher eine Rolle gespielt hat, dass keine Perspektive sichtbar ist, einen politischen Kurswechsel zu erzielen. Im Gegenteil, in der politischen Landschaft Deutschlands sind noch weniger Gegenstimmen zu einem Kurs gegen China zu hören als zu jenem gegen Russland. Und derzeit deutet alles darauf hin, dass die betroffenen Konzerne dagegen entschieden haben, einen schmutzigen Krieg um politischen Einfluss zu führen. Wahrscheinlich ist es billiger, schlicht zu gehen.

Nachdem die ersten Meldungen über die Entscheidung von BASF noch teilweise regierungskritisch kommentiert wurden (nicht nur auf Tichys Einblick mit "Grüne Politik erfolgreich – BASF packt ein", sondern z. B. auch im Merkur unter "BASF macht Schluss mit Ampel-Politik: Nur weg aus Deutschland"), erfolgt nun der Gegenschlag, bei dem alle denkbaren moralischen und politischen Vorwürfe erhoben werden. Ein besonders deutliches Beispiel dafür findet sich in einem Kommentar im Focus. "Überregulierung, Bürokratie und wegen des Ukraine-Krieges gestiegene Energiepreise" seien keine gültigen Argumente für einen Abzug:

"Wer so argumentiert, der übersieht, dass der Abhängigkeit von russischem Öl über kurz oder lang die völlige Abhängigkeit vom chinesischen Markt folgen wird. Die Diktaturen von Moskau und Peking sind enge Verbündete, erklärter gemeinsamer Feind ist die westliche Welt, zu der auch Deutschland gehört."

Mal abgesehen davon, dass Wintershall vermutlich eigene Erkenntnisse darüber besitzt, wer Nord Stream gesprengt hat, und das zu einer vom Mainstream etwas abweichenden Sicht führen könnte – ein Blick auf die Entwicklung rund um BRICS zeigt, dass der westliche Eifer, die Welt konsequent auch ökonomisch in Freund und Feind zu teilen, schlicht dazu führen wird, dass jene Konzerne, die es sich leisten können, dem Vorbild von BASF folgen werden.

Gerade die vehementen Verfechter einer Ausdehnung des Sanktionsregimes sorgen dafür, dass sich diese Entwicklung stetig beschleunigt. Denn es zeichnet sich bereits ab, dass, sofern sich die US-Eliten verkneifen können, den Planeten abzufackeln, dieses Sanktionsregime nach China auch alle erfassen wird, die mit Russland und China, und dann auch mit BRICS, kooperieren. Damit sind aber perspektivisch – und der Planungshorizont für Milliardenanlagen umfasst Jahrzehnte, nicht Jahre – alle Märkte des Globalen Südens verschlossen, wenn man in diesem Moment den Westen wählt. So traurig es für die deutsche Bevölkerung ist, deren Chancen, den Weg in den Abgrund bremsen zu können, dadurch noch weiter verschlechtert werden, so logisch und nachvollziehbar sind diese Überlegungen.

Die augenblickliche Reaktion könnte andeuten, dass die Bundesregierung oder die EU sogar nach Wegen suchen könnte, derartige Schritte wie jenen von BASF zu verbieten, weil sie nie das Paradoxon begreifen, dass das Unheil, das sie vermeiden wollen, gerade durch ihr Handeln beschleunigt wird. Und diese zwei Milliarden für die "grüne Transformation" könnten die vorweggenommene Reaktion sein, um diese Versuche auszubremsen. Auf jeden Fall sind das ungewöhnliche Prozesse zwischen Industrie und Politik, die gerade ablaufen. So ungewöhnlich wie der globale Umbruch, den der Westen mit allen Mitteln verhindern will. BASF jedenfalls ist ihm gerade von der Fahne gegangen.

Mehr zum Thema - Blinken in China – Europa steht vor einer Schicksalsentscheidung