Von Susan Bonath
Bild, Spiegel, Tagesschau und Co. berichten immer gerne über "Nazis". Diese "Nazis" in ihren Geschichten stammen vorzugsweise aus der ostdeutschen Unterschicht. Am besten arm, dick und doof, dazu ein sächsischer Akzent beim "Ausländer raus"-Gebrüll, heute macht sich auch ein AfD-Fähnchen besonders gut dabei: So kann die dauerpikierte Mittelschicht im Eigenheim so richtig schön die Nase rümpfen.
Doch heutzutage gibt es Smartphones, mit denen jeder alles filmen und ins Netz stellen kann. Manchmal verbreitet sich das sogar, so wie die medial hysterisch rauf und runter ausgeschlachteten Videoschnipsel aus einer Reichenbar auf Sylt. Wer hätte das gedacht: da grölte diesmal nicht der "Unterschichtenmob", sondern der Nachwuchs der gehobenen Mittelschicht in einem Ambiente, das eine dreistellige Summe schon für den Eintritt verlangt. Leitmediale Empörung in Dauerschleife bis hin zu Entlassungsforderungen ist angesagt.
Geheuchelte Entrüstung
Entlassen werden müssten eigentlich zuerst deutsche Politiker. Diese überboten sich mit moralintriefenden Statements bis in die höchste Riege: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) beklagte eine "Verrohung der politischen Umgangsformen". Offensichtlich, so wunderte er sich, seien es "nicht mehr nur die Randständigen, Abgehängten, die sich radikalisieren". Ja, war das denn jemals so?
CDU-Chef Friedrich Merz, Meister der Scheinheiligkeit, kann sich "die Vorfälle" auch "mit Alkoholkonsum nicht mehr erklären". Dann zeigt er freilich wieder einmal auf die AfD, die schuld an allem sei. Das mutet grotesk an, denn Hardliner Merz ist stets vorn dabei, wenn es um Entrechtung von Ausländern und Armen geht. Leistungskürzungen am besten auf null für diese "Unterschicht" ist eines seiner Lieblingsthemen.
Merz verbreitet gerne auch mal Desinformationen, wenn es um die menschlichen "Kollateralschäden" geht, die Wirtschafts- und Kriegspolitik nach Europa treibt. Sein Zahnarztmärchen letztes Jahr war nichts weiter, als ein verkappter "Ausländer raus!"-Ruf der gehobenen Gesellschaft, entsprechend vornehm verpackt.
Nachuntentreter und Kriegstreiber
Allgemein tritt der Ex-Blackrock-Aufsichtsrat und Millionär notorisch nach unten. Das mickrige Bürgergeld findet Merz zu hoch und die Sanktionen, mit denen der Staat ungehorsame Bezieher zur Billiglöhnerei erpresst, nicht hart genug. Bereits 2008 plädierte Merz dafür, Hartz IV auf 132 Euro zu stutzen.
Zu theatralischer Empörung sah sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) genötigt. Und während die Entrüstungsshow nicht abzuebben scheint, rüstet seine Ampel mit Zustimmung der gesamten Opposition abseits von den Resten der Linkspartei und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) weiter auf und produziert Asylbewerber ohne Ende, deren Rechte sie dann immer weiter aushöhlt.
Schließlich, so der SPD-Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, müsse Deutschland "kriegstüchtig werden". Hier geht's bekanntlich vor allem gegen Russen, gerne gegen Araber, perspektivisch wohl auch gegen Chinesen. Das Feindbild steht sowohl politisch als auch medial fest. Rassismus ist demnach nicht immer schlecht für das angeblich so "antirassistische" Establishment.
Schlechter und guter Rassismus
Die laut beklagte Stimmung in der Sylter Nobelbar ist in Wahrheit in der Politik und den Medien direkt zu Hause. Rassistisch aufgeladen hetzt die deutsche Presse nicht nur gegen Russen. Auch gegen Araber, Muslime, hier aktuell besonders gegen Palästinenser geht es entsprechend dreist und häufig faktenfrei zur Sache. Das ist dann wohl der politisch akzeptierte, der gute Rassismus.
Da wird der Massenmord an der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen durch Israel, Zehntausende Kinder darunter, ganz offiziell als notwendiger Preis für den Sieg der "Guten" herunterspielt, in aller Regel untermalt mit viel Antisemitismusgeschrei. Da ersetzt die "gute bürgerliche Mitte" ohne mit der Wimper zu zucken den aus Europa stammenden Antisemitismus, den sie mal eben allein "den Arabern" in die Schuhe schiebt, direkt mit einer anderen Form des Rassismus.
Westlicher Überlegenheitsdünkel
Mit der Attitüde der moralischen Überlegenheit verbietet dieses "saubere" Establishment der Kriegstreiber "Russenkunst" und "Russenmedien". Mit Feuereifer mobilisiert es seine Polizei, um Palästina-Demonstranten wie Schwerkriminelle zu verfolgen. Kriegsverbrechen, begangen durch "die Guten" sind nicht nur kein Problem – Es wird geradezu erwartet, dass man sie öffentlich billigt und beschönigt.
Dabei hatte der deutsche Gesetzgeber den Volksverhetzungsparagrafen erst 2022 novelliert und genau das unter Strafe gestellt. Das trieb bereits absurde Blüten. So wurde etwa ein Mann verurteilt, weil er mit einem "Z" auf der Heckscheibe herumfuhr. Mit diesem Siegeszeichen Russlands billige er, so hieß es, den Einmarsch der Russischen Armee in die Ukraine und somit automatisch Kriegsverbrechen.
Über Russen und Palästinenser hingegen kann offensichtlich jeder alles billigen und behaupten. Da ist es kein Problem, mutmaßlich gezielte Massentötungen von Zivilisten im Gazastreifen zu feiern und Kollektivstrafen gegen "die Barbaren" zu fordern. Ja, das ist sogar erwünscht. Die Erzählung von über- und unterlegenen Menschen ist offensichtlich lange noch nicht tot im westlichen Hort ehemaliger Kolonialherren.
Da wird der Kontext jahrzehntelanger brutaler Besatzung Palästinas durch Israel genauso ausgeblendet wie der Faschismus, der die ukrainische Regierung unübersehbar durchdringt und schon im Mai 2014 zu dem blutigen Massaker in Odessa führte. In der politischen und medialen Erzählung kämpfen hier wie auch im Nahen Osten die "ultimativ Guten" den "gerechten Krieg" gegen die "ultimativ Bösen". Die Palette der von Deutschlands "Mitte" verbreiteten rassistischen Klischees über die erkorenen "Bösewichte" ist breit.
Jugendliches Abbild der "guten Mitte"
Dieser mangelhaft verdeckte Rassismus und Sozialdarwinismus dieser "Mitte", die Regierungsbänke drückt, weite Teile der "Opposition" umfasst und in Verbänden, NGOs und Institutionen regelhaft den Ton angibt, ist nur das logische Pendant des politisch propagierten Überlegenheitsgefühls, das seinen heuchlerischen Höhepunkt in der Metapher "westliche Werte" findet. Der Westen wertet sich auf, um andere abzuwerten.
Dieser Haufen 25-Jähriger aus gut betuchten Elternhäusern, der "Ausländer raus!" in einer Nobelbar grölte, ist just ein unbedarftes, jugendliches Abbild dieser "Mitte". Sich vornehm auszudrücken, will schließlich erst gelernt werden. Wenn sich nun also dieses gute Mitte-Establishment darüber echauffiert und wieder einmal mit dem Finger auf die AfD zeigt, zeigt es in Wahrheit auf sich selbst.
Verkleidet in bürgerliche Floskeln, tritt die empörte "Mitte"-Klientel weiterhin nach unten, führt "gerechte" Kriege gegen all jene, die es zu unabänderlichen "Minderwertigen" erklärt, hetzt fleißig die Bevölkerung gegeneinander auf und fabuliert von "Werten", die in Wahrheit nur einer Logik folgen: Profit und Macht. Und wenn die Jugend es ihr ungestüm nachahmt, tut sie dann ganz verdutzt: Wie kann das denn nur sein?
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