Von Dr. Westen K. Shilaho
Der Afrika-Tag wurde am 25. Mai 1963 unter der Schirmherrschaft der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) ins Leben gerufen, um die vielfältigen Kulturen, die Geschichte und die gemeinsamen Kämpfe Afrikas gegen Kolonialismus, Imperialismus und Sklaverei zu würdigen.
Er wird von Afrikanern in Afrika und in der Diaspora gefeiert. Dieser Tag ist auch eine Gelegenheit, über Afrikas Errungenschaften, Herausforderungen, Unzulänglichkeiten und Perspektiven nachzudenken.
Die afrikanische Bevölkerung ist sich dieses Feiertags jedoch nicht bewusst, da sie aufgrund des allgegenwärtigen Elitismus von der Regierungsführung ausgeschlossen ist.
Die Geringschätzung gegenüber den Menschen ist Teil des kolonialen Erbes. Der Afrika-Tag wird außer von einigen wenigen Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union (AU – der Nachfolgerin der OAU) kaum anerkannt.
Die Afrikaner müssen sich unbedingt ständig selbst bestätigen. Seit einigen Jahren beobachte ich, dass sich die Feierlichkeiten zum Afrika-Tag in den Bildungseinrichtungen einiger afrikanischer Länder auf die Präsentation traditioneller Tänze, Küchen und Kleidungsstücke (Dashiki-Ausstellung) beschränken.
Damit einher geht auch ein engstirniger Nationalismus, der durch das Schwenken von Flaggen zum Ausdruck kommt. Eine derartige Romantisierung Afrikas und seiner Kulturen ist zutiefst vereinfachend und ruft Bigotterie hervor.
Eine Flagge, ein Symbol des Nationalismus und Militarismus, ist von Natur aus spaltend und zerstörerisch. Flaggen bestätigen bedeutungslose koloniale Grenzen, über die sich die Afrikaner streiten.
Auf diese Weise verunglimpfen sich die Afrikaner unbewusst und absichtlich selbst und treiben die koloniale Strategie des Teilens und Herrschens voran. Inmitten der allgegenwärtigen Mimikry kämpfen sie mit ihrer Authentizität.
Daher ist der Afrika-Tag keine Gelegenheit für Afrika, sich selbst zu bestätigen, sondern stellt die Unsicherheiten und Ängste Afrikas in den Vordergrund. Er ist daher ein Kuriosum.
Die Ineffizienz der OAU
Im Einklang mit dem Geist des Afrika-Tages hat die OAU die Befreiung Südafrikas von Kolonialismus und weißer Minderheitenherrschaft (Apartheid) vorangetrieben. Nach dem demokratischen Übergang Südafrikas im Jahr 1994 hatte die OAU ihre Arbeit praktisch abgeschlossen.
Obwohl sie ein lobenswertes Ziel und Mandat hatte, erwies sie sich später als zu eingeschränkt und obsolet. Es war notwendig, die regionalen Integrationsbemühungen in Afrika neu zu überdenken. Daher wurde 2002 die AU gegründet, um das inhärente Versagen der OAU zu beheben und um auf die veränderte globale Ordnung nach dem Triumph des Westens zu reagieren.
Die anhaltende Ineffizienz der OAU wurde in ihrer Charta durch die Nichteinmischungsdoktrin zementiert, die die Souveränität absolut setzte. Sie verbot der OAU und den einzelnen Mitgliedsstaaten, sich in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen.
Folglich begingen Tyrannen ungestraft schwere Menschenrechtsverletzungen. Während Idi Amin die staatliche Unterdrückung in Uganda anführte, leitete er 1975 die OAU, und Uganda war von 1977 bis 1979 Mitglied der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen.
Dies ist ein Beispiel für die Verderbtheit der OAU und für das anhaltende mangelnde Engagement der AU und der internationalen Gemeinschaft für die Menschenrechte.
In der AU-Charta wurde die rückschrittliche Doktrin der Nichteinmischung durch die Doktrin der Nichteinmischung ersetzt, die ein Eingreifen bei schweren Menschenrechtsverletzungen wie Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord erlaubt.
Das bedeutet, dass Souveränität als Verantwortung neu definiert wurde, aber die afrikanischen Machthaber zögern noch immer, Amtsträger wie sie, die Gräueltaten an ihrem Volk begehen, anzuprangern.
Die Neudefinition der Souveränität wurde durch die Untätigkeit während des Völkermords in Ruanda 1994 und der Gräueltaten auf dem Balkan zur gleichen Zeit geprägt. In Ruanda wurden innerhalb von 100 Tagen fast eine Million Menschen massakriert, während Afrika und der Rest der Welt tatenlos zusahen.
So ist die Schutzverantwortung (Responsibility to Protect, R2P) Teil des Konfliktmanagements geworden, auch wenn ihre Anwendung durch Geopolitik, mangelnden politischen Willen und Heuchelei behindert wird.
Auf internationaler Ebene ruft die R2P den Vorwurf des Regimewechsels hervor, wenn sie einseitig durchgeführt wird, wie es 2003 im Irak der Fall war, als die Vereinigten Staaten in den Irak einmarschierten und Saddam Hussein stürzten.
Die Invasion der Nordatlantikvertrags-Organisation (NATO) in Libyen im Jahr 2011 wurde zwar vom UN-Sicherheitsrat sanktioniert und war multilateral, führte aber zum Sturz von Muammar al-Gaddafi, der anschließend ermordet wurde.
Qualitativ hochwertige und integrative Bildung wurde vernachlässigt
Am Afrika-Tag geht es auch darum, über die Bildung in Afrika nachzudenken. Laut der AU-Webseite lautet das Thema für 2024 "Ein Afrika bilden, das fit ist für das 21. Jahrhundert: Aufbau widerstandsfähiger Bildungssysteme für einen verbesserten Zugang zu inklusivem, lebenslangem und relevantem Lernen in Afrika".
Dieses Thema kommt zur rechten Zeit, ist aber ein Irrweg. Die zentrale Bedeutung der Bildung für den Wohlstand und die Stellung Afrikas kann gar nicht genug betont werden. Ich frage mich jedoch, was so besonders am 21. Jahrhundert ist, dass es entschuldigt, dass früher nicht in Massenbildung investiert wurde, um Inklusion und sozialen Zusammenhalt zu gewährleisten.
Die Vorbereitung der so genannten Afrikaner auf das 21. Jahrhundert hätte schon bald nach der Unabhängigkeit beginnen müssen. Bildung muss ein kontinuierlicher Prozess sein und darf nicht als Modeerscheinung bagatellisiert werden.
Qualitativ hochwertige und integrative Bildung wurde vernachlässigt, während Afrikas Elite leichtfertig über beschleunigte Entwicklung und technologischen Fortschritt im Rahmen der Agenda 2063 spricht.
Es ist besorgniserregend, dass die Bildung in einigen afrikanischen Ländern auch nach 60 Jahren Unabhängigkeit immer noch kolonial geprägt ist und den besonderen Bedürfnissen Afrikas nicht gerecht wird. Dadurch werden Ungleichheiten und Armut verschärft, da angemessen ausgestattete Schulen für die Mehrheit der Menschen unerreichbar sind.
Die Ironie besteht darin, dass Bildung, die Armut und Ungleichheit verringern soll, genau diese Probleme verschärft und zu einem Katalysator für Konflikte und Instabilität in Afrika wird.
Die Verachtung gegenüber einheimischen Wissenssysteme und die Aufwertung fremder Kulturen ist unter Afrikas Eliten, die die Bevormundung westlicher Bildungssysteme und die Aufrechterhaltung des Eurozentrismus als Zeichen von Exzellenz und Kultiviertheit betrachten, gang und gäbe. Diese Entfremdung ist selbstzerstörerisch und führt zu Armut.
Afrika muss erst noch eine befähigende Bildung schaffen. Mit Empowerment ist hier eine Bildung gemeint, die das Selbstvertrauen der Afrikaner wiederherstellt, das durch die jahrelange Unterwerfung und Demütigung durch Kolonialismus und Imperialismus geschwächt wurde.
So hat Afrika in den Bereichen Produktion, Handel, Technologie und Innovation nach wie vor Probleme, da diese geliehene Bildung nicht zu kritischem Denken anregt und vor allem nicht in den afrikanischen Kulturen und Erkenntnistheorien verankert ist. So reproduziert die Bildung in Afrika ein ontologisch disloziertes Wesen, das nur zur Nachahmung taugt.
Die mangelnde Betonung der Bedeutung von Bildung für den sozialen, politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und technologischen Wandel Afrikas ist der Grund für eine verkürzte Interpretation der Entkolonialisierung, die sie mit der Unabhängigkeit und dem Abzug der Kolonialisten gleichsetzt.
Afrikas Eliten beziehen ihre Legitimation von außen
Es besteht die Tendenz, die Ablösung der Kolonialisten durch Schwarze mit ähnlicher Mentalität mit Freiheit und Unabhängigkeit zu verwechseln. Ein Bewusstsein für die Dekolonialität, die den Kolonialismus kulturell, symbolisch und institutionell fortbestehen lässt, ist nicht vorhanden. Afrikas Probleme halten sich hartnäckig, weil Afrikas Eliten ihre Legitimation von außen beziehen.
Auch die afrikanischen Nationalstaaten beziehen ihre Legitimität von außen und nicht aus dem Ausmaß, in dem sie ihrem Volk durch gute Regierungsführung dienen. Westliche Bildungseinrichtungen und die Verankerung fremder Ideologien, wie sie vom Westen vorgegeben werden, verleihen dieser Elite Anerkennung. Entfremdung ist kulturell gewalttätig und schädlich.
Das Entkolonialisierungsprojekt geriet nach der Unabhängigkeit ins Stocken, als sich die politischen Eliten aus eigennützigen Gründen auf Kosten des Wohlergehens der Bevölkerung ausländischen Interessen beugten. In der Sahelzone beispielsweise entfernten sich solche Herrscher und Regierungen zunehmend vom Volk, wurden illegitim und schließlich gestürzt.
Diese Putsche wurden von einer Welle des Jubels begleitet. In Mali, Burkina Faso, Niger und Guinea haben Militärjuntas revolutionäre Veränderungen herbeigeführt, darunter auch den Abbruch der Beziehungen zur Kolonialmacht Frankreich, deren koloniale Instinkte sich kaum verbergen lassen.
Die Militärführer haben sich aus der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS) zurückgezogen, die sie als Lakaien Frankreichs und des Westens abgetan haben. Im Senegal wurde bei den Wahlen 2024 eine junge Regierung eingesetzt, die sich ebenfalls gegen die langjährige französische Einmischung im Land und in der Subregion wendet.
Die Entschlossenheit, sich aus dem kulturellen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Würgegriff zu lösen und eine lokale Wirtschaft zum Wohle der Menschen aufzubauen, ist in der Sahelzone und den westafrikanischen Subregionen spürbar.
Auch wenn Staatsstreiche kein Allheilmittel für die Herausforderungen in Afrika sind, so zeigen sie doch, dass die Demokratie, wenn sie relevant sein soll, den Wünschen und dringenden Bedürfnissen der Menschen entsprechen muss.
Wirtschaftliche, politische und kulturelle Emanzipation ist wahre Befreiung
Beim Afrika-Tag geht es auch um Panafrikanismus. Afrikas Eliten schwärmen vom Panafrikanismus, propagieren aber als Vertreter des Imperialismus den Neokolonialismus. Diese Eliten müssen die Ideale des Panafrikanismus leben – an erster Stelle steht dabei das Engagement für die Sache der Afrikaner auf dem Kontinent und in der Diaspora.
Wirtschaftliche, politische und kulturelle Emanzipation ist wahre Befreiung. Institutionen der Global Governance wie die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF) sind fehlerhaft, spielen aber eine übergroße Rolle in den afrikanischen Volkswirtschaften, so dass der Neoliberalismus die Armut, die Ungleichheiten, die Arbeitslosigkeit und die mangelnden Investitionen in die soziale Wohlfahrt in Afrika verschärft hat.
Wirtschaftliche Ausgrenzung ist ein Auslöser von Konflikten. In Kenia beispielsweise hat die Regierung von Präsident William Ruto ihr armutsorientiertes Manifest, mit dem er in den Wahlkampf gezogen war, aufgegeben. Er hat sich die Bretton-Woods-Vorlage zueigen gemacht und zahlreiche Strafsteuern ohne entsprechende öffentliche Güter eingeführt sowie Investitionen in Bildung, Gesundheitsfürsorge und Sozialfürsorge im Allgemeinen zurückgefahren.
Diese Steuern und die hohen Stromtarife haben die Kosten für Unternehmen in die Höhe getrieben. Rutos Unterstützer in der armen und arbeitenden Bevölkerung sind davon stark betroffen.
Im Rahmen der Afrikanischen Union (AU) haben die afrikanischen Machthaber Initiativen wie die Neue Partnerschaft für die Entwicklung Afrikas (NEPAD) entwickelt, mit denen afrikanische Länder Investitionen anlocken können, wenn sie sich für eine gute Regierungsführung einsetzen.
Die NEPAD ist in Paternalismus eingebettet, und es ist merkwürdig, dass ihre Architekten den Rahmen zwischen Zentrum und Peripherie übersehen haben. Darüber hinaus baut die NEPAD auf vorangegangenen Entwicklungsinitiativen wie dem Aktionsplan von Lagos (1980) und dem Vertrag von Abuja (1991) auf.
Diese Initiativen haben jedoch die Wirtschaft und das Leben der Menschen in Afrika nicht verändert, weil sie in der neoliberalen Schablone stecken geblieben sind.
Als zwischenstaatliches Gremium ist die AU in prekärer Weise von externer Finanzierung abhängig, wodurch Afrikas Schicksal und Sicherheit in den Händen externer Akteure liegt. Es überrascht nicht, dass sich seit dem Völkermord in Ruanda ähnliche Gräueltaten in der sudanesischen Region Darfur und in der Region Tigray in Äthiopien (zufällig der Sitz der AU) ereignet haben, um nur zwei Fälle zu nennen.
Gegenwärtig tobt in Kamerun ein Bürgerkrieg über Unterschiede im kolonialen Erbe, der die Zerstörung des fortbestehenden kolonialen Erbes verdeutlicht. Dieser Bürgerkrieg zwischen der anglophonen und der frankophonen Region wurde ausgelöst, als die frankophone kamerunische Elite darauf bestand, ihren Landsleuten, die bei der Unabhängigkeit institutionell das britische Erbe übernommen hatten, die französische Kultur aufzuzwingen. Die AU hat diesen Konflikt heruntergespielt, ebenso wie die internationale Gemeinschaft.
Auch der Sudan und der Osten der Demokratischen Republik Kongo (DRK) sind Schauplätze der Gewalt. Der Kongo ist seit den 1990er Jahren instabil und der Aderlass hält an, ohne dass ein Ende in Sicht ist. Der Westen und einige Nachbarländer des Kongo wie Ruanda und Uganda sind in die Plünderung von Ressourcen und die damit verbundenen Gräueltaten in einem der mineralienreichsten Länder der Welt verwickelt.
Jahrelange Diktatur und Straflosigkeit im Sudan kippten nach dem Sturz von Omar al-Bashir im Jahr 2019 in einen Bürgerkrieg um. Die Afrikanische Union (AU) versprach, die Waffen in Afrika bis zum Jahr 2020 zum Schweigen zu bringen, doch in der Realität wird dieses Ziel wohl ein Wunschtraum bleiben.
Afrika schmiedet alternative Partnerschaften mit China in den Bereichen Handel, Investitionen, kultureller Austausch und Weitergabe von Fähigkeiten und Wissen, um der westlichen Hegemonie etwas entgegenzusetzen.
Doch ohne dass sich die Afrikaner, insbesondere ihre Elite, über die Interessen Afrikas im Klaren sind, wird die Hinwendung zu China und anderen aufstrebenden Mächten nicht viel an Afrikas Status und Schicksal ändern.
Der Afrika-Tag ruft vieles hervor, worüber Afrika nachdenken sollte. Die Fragen der Identität und der Führung müssen jedoch als Voraussetzung für die Emanzipation geklärt werden.
Solange die Afrikaner nicht stolz auf sich selbst sind, werden sie in multilateralen Beziehungen weiterhin auf Nachahmung setzen, was ihnen zum Nachteil gereichen wird. Dies wird Afrikas Handlungsfähigkeit und sein Streben nach echter Befreiung weiter untergraben.
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Dr. Westen K. Shilaho ist Wissenschaftler für internationale Beziehungen an der Universität von Witwatersrand, Johannesburg, Südafrika.